Im documenta-Sommer präsentierte die Universität Kassel in der Königsgalerie und an vielen anderen Orten in Kassel den „Wissensspeicher“ – eine interaktive Ausstellung mit 100 Ideen aus der Wissenschaft für eine nachhaltigere Zukunft. Wir haben mit der Projektleiterin Manuela Greipel darüber gesprochen, wie eine gelungene Wissenschaftskommunikation über komplexe Zukunftsthemen aussehen kann.
Wissensspeicher: Zukunftsthemen in der Innenstadt
Sie sind mit der Ausstellung „Wissensspeicher“ vor Kurzem in die Kasseler Innenstadt gegangen. Wie kam es zur Idee der Ausstellung und welches Ziel verfolgten sie damit?
Im Sommer 2021 wurde die Leitung des Wissenstransfers an der Universität Kassel mit Daniel Opper neu besetzt. Ihm ist es ein großes Anliegen, neue Formate des Wissenschaftsdialogs zu etablieren. Der „Wissensspeicher“ ist ein erstes solches Projekt, das wissenschaftliche Erkenntnisse – von der Studierendenarbeit bis hin zu großen Forschungsprojekten – auf eine innovative Weise einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen soll. Darüber hinaus sollte dieses Projekt einen Dialog anregen.
Zeitgleich zur Startphase unseres Projektes stellte die neue documenta-Leitung (das Kuratorenkollektiv Ruangrupa) ihr Konzept des „lumbung“ vor. Dieses steht für eine gemeinschaftlich genutzte, traditionelle Reisscheune, in der die jährliche überschüssige Ernte der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt und im Dorf geteilt wird. An das documenta-Motto angelehnt, entstand unser Konzept: “Reisspeicher des Wissens“. Das heißt, dass Wissenschaft für alle Menschen aus der Gesellschaft zugänglich sein soll und dabei wie ein Grundnahrungsmittel oder öffentliches Gut geteilt wird. Das war unsere erste Arbeitsgrundlage für den Wissensspeicher.
Sie schreiben, dass im Zentrum des Projektes die Forschung zu den großen Fragen unserer Zeit stand. Welche Fragen waren das?
Wir hatten uns im Vorfeld ein Frageformular überlegt, welches wir an die beteiligten Projekte verschickt haben. Die Fragen wurden entlang der vier Kategorien des Wissensspeichers formuliert, die da wären: Energie und Natur, Stadt und Land, Mobilität, Technik, Arbeit und Wirtschaft sowie Kultur und Zusammenleben. Zum Beispiel: Wie wollen wir unsere Energieversorgung gestalten? Wie funktioniert “Mobilität” in der Zukunft? Wie wollen wir in Kreisläufen denken, handeln und wirtschaften?
Ein klares Anliegen des Wissensspeichers war es, das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus zu rücken. Das ist sowohl für die Region sehr relevant als auch für die Universität, die mit dem „Kassel Institute for Sustainability“ gerade ein Leuchtturmprojekt mit bis zu 17 neuen Professuren entlang der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung eingerichtet hat.
Nachhaltigkeit war bereits seit der Gründung der Universität vor 50 Jahren ein Schwerpunkt in Lehre und Forschung und so soll der Wissensspeicher zeigen, in welcher Vielfalt eine Universität heute zu diesen Fragen beitragen kann.
Wie wurden entlang dieser Fragen die einzelnen Projekte ausgewählt?
Wir haben schon beim Open Call die vier Kategorien und die dazugehörigen Leitfragen über sämtliche Kanäle versendet. Bereits während der Einreichung wurden die Teilnehmer*innen darum gebeten, zu beschreiben, wie ihr Projekt zur Lösung der jeweiligen Fragestellung beiträgt. Oder alternativ zu erklären, wie das Projekt eine Idee für die Welt von morgen sein könnte. So hatten wir eine gute Grundlage für die Auswahl der Arbeiten und die Kuration der Ausstellung.
Wie ging es mit der Konzeption der Ausstellung weiter, nachdem sie die Projekte ausgewählt haben?
Wir haben uns für 40 Ideen entschieden, die wir vor Ort physisch gezeigt haben. Zum einen haben wir versucht, möglichst viele Exponate im Raum zu platzieren. Auf der anderen Seite haben wir darauf geachtet, dass es weiterhin eine kuratierte und nicht zu überladene Ausstellung wird.
Im Zentrum der Auswahl stand dabei die Machbarkeit – also ob und wie können die Exponate im Raum gemeinsam präsentiert werden. Als Faktoren dienten hier unter anderem die Verständlichkeit für das Publikum, die Größe des Exponats sowie dessen Bedürfnisse.
Im Hinblick auf das Motto der Universität Kassel „Von der Idee zur Gründung” stellt sich die Frage, welche Rolle die Wirtschaftlichkeit bei der Auswahl der Ideen spielte?
Die Wirtschaftlichkeit wurde zwar mitgedacht, stand jedoch weniger im Mittelpunkt. Vor allem ging es uns um den Wirkungsgrad. Also was bringen diese Projekte den Besucher*innen – was können sie beim Wissensspeicher für sich mitnehmen und wie können sie ins Handeln kommen? Wir haben daher den wirtschaftlichen Status des Projektes, ob nun als erste Skizze, in der Skalierung oder als fertiges Unternehmen, eher als Randnotiz geführt.
Die Projekte des Wissensspeichers behandeln komplexe Themen wie die Transformation zu einem nachhaltigen Leben. Welche Gedanken haben Sie sich im Vorfeld gemacht, wie die komplexen Themen zielgruppenorientiert präsentiert werden können?
Welches Feedback haben sie von Besucher*innen erhalten und welche Formate kamen besonders gut an?
Das allgemeine Feedback war sehr positiv. Die Stimmen von außen zeigten uns, wie hoch gegenwärtig der Dialogbedarf in der Gesellschaft ist. Am besten kamen daher die Formate an, bei denen ein direkter Austausch zwischen den Teilnehmer*innen des Wissensspeichers und den Besucher*innen der Veranstaltungsformate ermöglicht wurde. Ein gelungenes Beispiel dafür war das von unserem Kooperationspartner Studio Raamwerk entwickelte Format KuSoKo (Kunst, Sozial und Kommerz), bei dem die Autor*innen der Ausstellung in kurzen Impulsvorträgen ihre Projekte vorstellten. Im gemeinsamen Get-together nach den Vorträgen konnten sich Publikum und Autor*innen austauschen – ein Angebot, was viel angenommen wurde.
Welche Rolle spielte die massive Kritik an der documenta für Ihr Projekt?
Es war vor allem bei der Planung des Projektes wichtig, die aktuellen Debatten um die documenta zu beobachten. Wir haben dann nochmal genauer in die Projekte reingeschaut, um zu untersuchen, ob es dort Anhaltspunkte für Antisemitismus oder andere Rassismus- und Diskriminierungsformen gibt. Ansonsten war der Austausch mit der documenta-Leitung fruchtbar und viel mehr eine Synergie als eine Problemsituation. Auch wenn wir kein offizielles Kooperationsprojekt der documenta waren, standen wir gerade bei der Konzeptentwicklung im engen Kontakt miteinander.
Wie soll es mit dem Wissensspeicher in Zukunft weitergehen?
Wir werden alle Ideen digitalisieren, um ein Archiv des Wissensspeichers zu schaffen, auf das jeder zugreifen kann. Der Wissensspeicher war primär ein „Schaufenster“ der Universität. Im nächsten Schritt sollte es darum gehen, gemeinsam mit der Region an einzelnen Nachhaltigkeitsfragen zu arbeiten, die in dem Kontext aufgeworfen wurden – und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Das ist dann mehr als Wissenschaftsdialog und bedeutet, neue Formate der transdisziplinären Forschung von Wissenschaft gemeinsam mit Gesellschaft zu etablieren.
Wir haben deutlich gespürt, wie präsent das Thema Nachhaltigkeit in der Bevölkerung ist. Das bedeutet, dass wir die Brücke aus der Hochschule in die Gesellschaft noch stärker ausbauen müssen. Die Universität wird mit dem neuen „Kassel Institute for Sustainability“ intensiv zu Themen der Nachhaltigkeit weiterforschen. Wir sehen den Wissensspeicher daher als Startpunkt und nicht als ultimative Lösung.
In die Kasseler Innenstadt zu gehen und die Ideen aus der Universität an das Zielpublikum zu tragen, hat sehr gut funktioniert, nicht zuletzt dank des Engagements aller Beteiligten. Die Dialogformate haben den Wissensspeicher unterstützt und einen Austausch entlang der Themenstränge zwischen Teilnehmer*innen aus der Universität und Besuchern ermöglicht sowie die Projekte untereinander vernetzt. Der Wissensspeicher dient dabei als Plattform zum Austausch über viele relevante Fragestellungen, an denen die Projekte nun weiterarbeiten.