Eine gläserne Wand behindert den Austausch der Wissenschaft mit der Welt jenseits der Forschungslabore. Hannes Schlender erklärt in seinem Gastbeitrag, wo er Probleme sieht und wie die Wissenschaftskommunikation die gläserne Wand durchbrechen kann.
Wissenschaftskommunikation und Populismus
Wir müssen durch die gläserne Wand!
Nach dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf haben viele Beobachter festgestellt, dass Hillary Clinton an eine gläserne Decke gestoßen sei – also an eine unsichtbare Barriere, die Frauen im Wettstreit um hohe und höchste Führungspositionen oft nicht durchstoßen können. An die Spitze kommt der Mann, egal, was er macht, wie verhaltensauffällig er sich benimmt, wie viele soziale Gruppen er vor den Kopf stößt und beleidigt.
Mit Donald Trump wird nun ein Mann amerikanischer Präsident, der Wissenschaft, Wissen und Bildung als elitär und korrupt verachtet. Als den „ersten Anti-Wissenschaftspräsidenten, den wir jemals hatten“, hat ihn Michael Lubell, Direktor für Public Affairs der American Physical Society gegenüber dem Magazin „Nature“ bezeichnet. Den Klimawandel hielt Trump zumindest im Wahlkampf für eine chinesische Erfindung, einen Hoax, um der amerikanischen Wirtschaft zu schaden. Sein zukünftiger Vize Mike Pence streitet die Evolution ab.1 Für Trump und seine Mitstreiter sind Gefühle und der „gesunde Menschenverstand“ wichtiger als die Ergebnisse seriöser Forschung.
Damit wird überdeutlich, was seit Jahren zu vermuten ist: Auch die Wissenschaftskommunikation hat es mit einer gläsernen Barriere zu tun. Diese gläserne Wand, die direkt vor uns steht, behindert den Austausch mit der Welt jenseits der Forschungslabore. Die Verbindung zu sehr vielen Menschen ist offensichtlich unterbrochen. Informationen aus der Wissenschaft dringen nicht zu ihnen durch, sie werden als irrelevant abgetan, als Belege für Verschwörungstheorien benutzt. Zunehmend wird Wissenschaft als die Methode des Erkenntnisgewinns angezweifelt oder zu einer möglichen Methode unter vielen erklärt. Dass diese Einstellung zunehmend mehrheitsfähig wird, ist ein Desaster. Die wichtigste Aufgabe der Wissenschaftskommunikation wäre es gewesen, dieses Szenario zu verhindern. Natürlich nicht allein, sondern gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Größen, die von einer wissenschaftlichen Denkweise überzeugt sind. Aber: Das ist nicht gelungen.
Wo hakt es in der Wissenschaftskommunikation?
Über die Ursachen des sogenannten „postfaktischen Zeitalters“, von dem die gläserne Wand der Wissenschaftskommunikation einen Aspekt darstellt, ist seit der Präsidentenwahl in den USA viel geschrieben worden. Die zunehmende Komplexität der Welt, die Sehnsucht nach Vereinfachung, das Internet mit seinen vielen Möglichkeiten, sich in der passenden Informationsblase abzuschotten – all das sind natürlich Elemente, die es Fakten nicht unbedingt leichter machen, sich ihren Weg zu den Menschen zu bahnen. Aber die Wissenschaftskommunikation sollte sich fragen, wo es bei ihr selbst hakt.
Angetreten, dem Mann und der Frau auf der Straße die Forschung zu erklären (und nebenbei für eine bessere Akzeptanz von Biotechnologie, Nuklearforschung oder Tierversuchen zu sorgen), erzeugt die Wissenschaftskommunikation mittlerweile eine dermaßen große Informationsflut, dass an der Wirksamkeit so mancher Maßnahme ernsthaft gezweifelt werden darf: Eine Wissenschaftsjournalistin einer großen deutschen Tageszeitung beklagte sich vor kurzem bei mir, sie würden täglich mit mehreren hundert, gar tausend Pressemitteilungen bombardiert. Aber kaum jemand in den Pressestellen habe Zeit für ein persönliches Hintergrundgespräch.
Das gesellschaftliche und mediale Umfeld hat sich seit den 1970-er Jahren, als die ersten Pressestellen in den Forschungseinrichtungen entstanden, dramatisch gewandelt. Das betrifft die Gewohnheiten des Medienkonsums, Stichwort „Informationsblase“, aber auch das Selbstbewusstsein der Bürger: Sie wollen nicht mehr ausschließlich informiert werden; sie wollen Einfluss nehmen, mitreden, mitbestimmen. Besteht dazu nicht die Gelegenheit, werden technologische Entwicklungen schnell als aufgenötigt oder gar als gefährlich empfunden. Spätestens dann ist das Kind in den Brunnen gefallen. Die grüne Gentechnologie lässt grüßen. Die Wissenschaftskommunikation hat darauf noch nicht wirkungsvoll reagiert. So weit, so bekannt.
Aber was können wir – die Wissenschaftskommunikatoren – denn nun tun, um die gläserne Wand zu durchbrechen?
Ganz oben auf unserer Agenda sollte stehen, dass die Wissenschaftskommunikation zielgerichtet arbeiten darf. Zielgerichteter, als es hier und dort zu beobachten ist. Wissenschaftskommunikation bedient an vielen Stellen zu stark die Bedürfnisse derer, die die Wissenschaftskommunikatoren eingestellt haben. Da spielt das Erscheinen bestimmter Namen, die Ansprache vermuteter Zielgruppen unter Umständen eine größere Rolle als die Erreichung eines vorher vereinbarten übergeordneten Ziels: der Transport von Kernbotschaften, die systematische Betonung bestimmter Forschungsinhalte oder deren gesellschaftlicher Implikationen. Das ist eine fatale Entwicklung.
Um sie zu ändern, muss sich Wissenschaftskommunikation konsequent strategisch ausrichten. Das verlangt die Bereitschaft, die Fähigkeit und die Rahmenbedingungen, Kommunikationskonzepte zu erarbeiten, die auf die Strategie der kommunizierenden Organisation abgestimmt sind. In diesem Kontext kann die Forderung des DFG-Präsidenten Peter Strohschneider nach mehr „konzeptionellem Selbstbewusstsein“ der Universitäten2, aber sicher auch anderer Forschungseinrichtungen nur begrüßt werden.
Zum anderen müssen erarbeitete Konzepte auch wirklich umgesetzt werden. Das bedeutet für die Wissenschaftskommunikatoren, sich operative Freiheiten zu erkämpfen, langfristige Ziele zu identifizieren und ihren Erreichungsgrad regelmäßig zu überprüfen. Nur dann haben sie die Möglichkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, definierte Zielgruppen mit wirksamen Formaten im richtigen Ton anzusprechen und so das Informationsrauschen zu verringern. Wissenschaftskommunikation kann dadurch in der Überfülle der Informationen wieder wahrnehmbar und relevant werden. Wissenschaft gewinnt langfristig an Glaubwürdigkeit.
Gute Ansätze werden auf der Straße liegen gelassen
In diesem Zusammenhang scheint es auch angeraten, auf höchster organisatorischer Ebene für eine bessere Koordination der Kommunikationsaktivitäten zu werben. Wettbewerb muss sein. Ob Max-Planck, Helmholtz, Leibniz, Fraunhofer oder Universitäten: Jeder will die „besten Köpfe“ für sich, jeder muss versuchen, sein Budget zu steigern. Bei der Ansprache von Themen, die von der Gesellschaft kritisch bewertet werden, hat es aber in der Vergangenheit zu große Reibungsverluste gegeben. Beispiel Tierversuche: Warum dauert es Jahre, bis dieses brandheiße Thema endlich in einer gemeinsamen Aktion in Angriff genommen wird? Warum werden erste Ansätze, die an manchen Stellen (mit öffentlicher Förderung) schon erarbeitet und in der Praxis erprobt worden sind, auf der Strecke liegen gelassen?3 Hier ist eine wirksamere Vernetzung der Wissenschaftskommunikatoren erforderlich, um gemeinsames Handeln möglich zu machen und gute Ansätze in die Breite zu tragen. Die Lobbyarbeit der Kommunikatoren „nach oben“ sollte dabei systematisiert und professionalisiert werden. Ohne das grüne Licht der obersten Führungsebenen geht gar nichts.
In dem Prozess, Wissenschaftskommunikation auf der Basis strategisch ausgerichteter Konzepte zu betreiben, sollte die Analyse der Zielgruppen und der Formate eine herausragende Rolle spielen. Es ist eine Illusion zu glauben, „die Wissenschaft“ könne „die Bürger“ erreichen. Dagegen spricht allein schon die Fragmentierung der Öffentlichkeit in viele Teilöffentlichkeiten. Wir sollten uns auf einige wenige Gruppen konzentrieren und mit diesen in einen aufrichtigen Austausch treten, ihnen Service und Dialog anbieten. Schüler, Studierende, Journalisten, Politiker, Vertreter von Bürgerinitiativen, Wirtschaftsvertreter: Das wäre immer noch eine große Zahl an Zielgruppen – und trotzdem eine enorme Einschränkung gegenüber dem Versuch, alle und damit niemanden zu erreichen.
Formate sind eine andere Spielwiese, auf der man sich herrlich verlieren kann. Natürlich ist es wichtig, Neues auszuprobieren, ein neues Dialogformat, eine anders gestaltete Broschüre, eine neue Website oder ein ungewohnte Veranstaltungsreihe. Mindestens ebenso wichtig ist es, die Wirksamkeit der Maßnahmen regelmäßig und ehrlich zu überprüfen – und Untaugliches dann auch wieder über Bord zu werfen. Dazu ist Erfahrungsaustausch unter Wissenschaftskommunikatoren unabdingbar – beispielsweise auf dieser Website, vielleicht in einem geschützten Raum. Nur wenn das gelingt, können die begrenzten finanziellen Mittel auf das gelenkt werden, was wirklich einen kommunikativen Nutzen bringt und einen Beitrag dazu leistet, dass wissenschaftliche Argumente und Fakten gehört werden.
Und dann muss das Wort „Dialog“ kritisch in die Diskussion einbezogen werden. Dialog macht heute jeder, aber meistens, wenn man genau hinschaut, ist es doch eher ein Monolog. Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft sprechen zwar miteinander, aber das, was die Laien einbringen, hat keine Konsequenzen (oder zumindest keine sichtbaren) für die Forschung. Nun ist Dialog in der Wissenschaft ein schwieriges Thema. Selbstverständlich können und sollten Laien in der Regel nicht bei der fachgerechten Gestaltung und Auswertung von Experimenten mitreden. Aber sie haben natürlich eine Meinung zu Forschungsrichtungen – und wollen diese einbringen. Wissenschaftsmanager sehen dann schnell die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr. Diese muss verteidigt werden, auch und vor allen gegenüber den Faktenverdrehern und Wissenschaftsfeinden. Das gelingt nur, wenn die Wissenschaft Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Und dies lässt sich im Zeitalter mündiger Bürger nur gewinnen, wenn wirkliche Einflussmöglichkeiten bestehen. Auch hier müssen wir Wissenschaftskommunikatoren gemeinsam auf den Leitungsebenen Überzeugungsarbeit leisten, geeignete Formate entwickeln und Best-Practice-Beispiele untereinander austauschen.
All diese Ansätze sind jedoch zum Scheitern verurteilt, wenn die Absicht, Wissenschaft zu mehr gesellschaftlicher Wahrnehmung und Glaubwürdigkeit zu verhelfen, nicht von anderen Akteuren mitgetragen wird. Zwei Beispiele seien genannt: Forschende Industrie und Bildungswesen. Gerade im Vergleich zu vielen außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist das Bildungswesen tendenziell unterfinanziert. An dieser Stelle argumentiere ich nur augenscheinlich gegen meine eigenen wirtschaftlichen Interessen, wenn ich dafür plädiere, dass Finanzmittel, die in der Forschung für Kommunikationsmaßnahmen von offensichtlich eingeschränkter Wirksamkeit ausgegeben werden, in Schulen oder im Lehrwesen der Universitäten besser aufgehoben wären. Dort dürften die Gelder langfristig mehr bewirken – Interesse für Wissenschaft aufbauen, selbständiges und kritisches Denken fördern – als in einer Broschüre, während der nächsten Festveranstaltung, auf der sich der Inner Circle trifft oder bei einem parlamentarischen Abend, den doch letztlich kaum jemand wahrnimmt. Nicht Broschürendruck, sondern Bildung sichert Wissenschaft.
Ein weiteres Beispiel ist die forschende Industrie: Auch sie kann die Bedeutung ihrer Forschung für das wirtschaftliche Wohl und die Entwicklung der Gesellschaft wirksamer als bisher geschehen darstellen. Dazu muss sie „über Bande“ spielen – und die reine Produktkommunikation um Forschungskommunikation erweitern. Wenn wir besser verstehen, wie an neuen Computerkomponenten geforscht wird, warum Stahl mithilfe von Forschung leichter und damit ressourcenschonender wird, dann wächst das Bewusstsein dafür, wie technologieabhängig im positiven Sinne wir heute leben und wie angewiesen wir auf Forschung sind.
Drehen Sie die Zeit zurück, Herr Trump!
Viele Populisten wollen die Zeit zurückdrehen. Da sollte man immer sehr kritisch sein – aber manches war in der vermeintlich „guten, alten Zeit“ vielleicht tatsächlich besser. Ich denke dabei an die gesellschaftliche Wahrnehmung, die Wissenschaft in den 1950er und 1960er Jahren hatte. Die Mission „Man to the moon“ hat ein ganzes Jahrzehnt lang die Menschen in ihren Bann gezogen. Die erfolgreiche Landung auf dem Mond war vor allem eine Leistung der USA – aber die gesamte Menschheit hat mitgefiebert. Ich träume davon, dass es wieder so ein gemeinsames wissenschaftliches Projekt gibt, für das viele Menschen eintreten. Mr. Trump! Drehen Sie die Zeit zurück, und verkünden Sie das große Wissenschaftsprojektprojekt, in dem die USA gemeinsam mit allen dazu bereiten Nationen bis 2050 den Klimawandel in den Griff bekommen!
Es ist in erster Linie eine Kommunikationsaufgabe.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.