Wissenschaftsthemen werden in den öffentlich-rechtlichen Medien seltener aufgegriffen, warnt Henning Eichler. Denn komplexe Wissenschaft hat es in den sozialen Medien schwer. Wie Hochschulen auf diesen Wandel reagieren können, erklärt der Redakteur des Hessischen Rundfunks im Interview.
„Wissenschaftskommunikation muss offensiver sein und sich mehr verkaufen“
Sie haben auf der Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation davon gesprochen, dass es für Hochschulen in Zukunft schwieriger werden könnte, Wissenschaftsthemen in den öffentlich-rechtlichen Medien zu platzieren. Warum glauben Sie das?
Die öffentlich-rechtlichen Medien befinden sich in einer Legitimationskrise. Das zeigt sich in der öffentlichen Diskussion um Reformen, den Reformstaatsvertrag und die angestrebte Erhöhung der Rundfunkgebühren. Diese Krise führt zu Handlungsdruck. Besonders junge Menschen informieren sich beispielsweise kaum noch über Radio oder Fernsehen, sondern nutzen hierfür das Internet oder Angebote in Mediatheken. Auf diesen digitalen Wandel haben die öffentlich-rechtlichen nicht schnell genug reagiert. Dies gilt es nun nachzuholen. Allerdings verfügen sie nur über einen festen Etat. Um mehr Mittel für non-lineare Verbreitungswege, also Inhalte für soziale Netzwerke und Mediatheken, zur Verfügung zu haben, muss an anderer Stelle gespart werden. Wenn es zum Beispiel ganz konkret um die Wiederbesetzung einer Redakteursstelle im Wissenschaftsbereich geht, fällt die Entscheidung heute häufiger dagegen aus, weil diese finanziellen Ressourcen eher in den digitalen Bereich umgeschichtet werden.
Die Wissenschaftskommunikation kann sich also nicht mehr darauf verlassen, dass ihre relevanten Themen von den Redaktionen von selbst aufgegriffen werden. Es gibt dort nicht mehr so viele Redakteur*innen, die mitbekommen, wenn wichtige Forschungsergebnisse veröffentlicht werden, die auch mal auf Tagungen gehen oder sich einfach informiert halten. Dieser Typus von Wissenschaftsjournalist*innen in den öffentlich-rechtlichen Sendern wird eher seltener werden und deswegen muss die Wissenschaftskommunikation offensiver sein und sich mehr verkaufen.
Welche konkreten Auswirkungen haben soziale Medien auf diese Entwicklungen?
Durch soziale Medien ist eine Eigendynamik im journalistischen Markt entstanden. Themen werden viel stärker nach den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer ausgewählt. Der Erfolg eines Themas wird heute zu einem erheblichen Teil daran gemessen, wie viele Menschen es in den sozialen Medien erreicht. Dadurch haben sich die Prioritäten für Themen stark verschoben. Ob ein Thema umgesetzt wird oder nicht, machen die Redakteur*innen immer stärker davon abhängig, wie gut es in den sozialen Medien performt. Das hat eine Studie gezeigt, die ich vor zwei Jahren durchgeführt habe. Diese Entwicklung hin zu einer sogenannten „Plattformisierung“ belegten auch weitere Studien.
Wissenschaftliche Themen, die komplex und nicht so einfach darzustellen und vielleicht auch nicht so unterhaltsam umzusetzen sind, stehen bei redaktionellen Entscheidungen eher nicht an erster Stelle. Ich halte das für eine gefährliche Entwicklung, zumal die öffentlich-rechtlichen Sender einen klaren gesetzlichen Auftrag haben, umfassend, vielfältig und hintergründig zu berichten. Hier ist für mich die Grenze überschritten, so weit darf der Einfluss kommerzieller Plattformlogiken auf den Journalismus nicht gehen.
Sie sagten, Wissenschaftskommunikation müsse offensiver werden. Wie genau?
Einerseits sollten die Mitarbeiter*innen der Hochschulkommunikation versuchen, Ansprechpartner*innen und Verbündete auf redaktioneller Ebene zu finden. Gerade wenn es darum geht, Themen zu platzieren, die vielleicht keine große Reichweite versprechen, aber relevant sind, wie zum Beispiel der Klimawandel. Das ist zugegebenermaßen nicht einfach.
Das andere ist die medienpolitische Ebene. Verbände, Universitäten und Institute sollten sanften Druck ausüben und deutlich machen: Wir erwarten, dass die öffentlich-rechtlichen Medien ihren Auftrag erfüllen. Schließlich steht im Medienstaatsvertrag ganz klar, dass Bildung, Information, Wissenschaft ein Kernauftrag der öffentlich-rechtlichen Medien ist. Das kann und muss eingefordert werden.
Wie könnte dieser „sanfte Druck“ konkret ausgeübt werden?
Dieses Thema könnte zum Beispiel mit den Aufsichtsgremien, den Rundfunkräten, besprochen werden oder auch in Diskussionsrunden, wo Vertreter*innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingeladen werden. Diese Initiative müsste von den Hochschulen ausgehen. Denkbar wäre auch ein informeller Austausch direkt zwischen den Redaktionsleitungen und den Hochschulen. So könnten im besten Fall konstruktive Lösungen erarbeitet werden.
Die öffentlich-rechtlichen Medien haben auch strukturelle Änderungen angestoßen. Wie wirken sich diese konkret auf die Hochschulkommunikation aus?
Die ARD hat Veränderungen angestoßen, um Ressourcen zu bündeln. Sie wollen künftig stärker regional berichten, aber das gilt nicht für Themen aus dem Fachjournalismus, also auch aus der Wissenschaft. Wissenschaftliche Themen müssen bundesweit funktionieren. Deshalb hat man sich entschieden, Themencluster zu bilden, so genannte Kompetenzzentren.
Die Idee ist, dass sich die Landesrundfunkanstalten zusammentun und gemeinsam an Themen arbeiten und alle Inhalte, die dafür wichtig sind, für die gesamte ARD produzieren. Die bisherigen regionalen Strukturen verlieren damit an Bedeutung.
Konkret bedeutet das, wenn ich an der Universität Hannover forsche und bisher einen guten Draht zu einem Redakteur im NDR-Studio Hannover habe, der auch eine Affinität zu Wissenschaftsthemen hat, dann ist eine Zusammenarbeit in Zukunft vielleicht nicht mehr möglich. Die Wissenschaftsthemen werden dann vielleicht von einer Kollegin des Bayerischen Rundfunks zusammen mit einer weiteren Kollegin des Südwestrundfunks bearbeitet. Damit wird es schwieriger, die Hochschule am Standort und als Teil einer Stadtgesellschaft oder einer Region darzustellen.
Wie sollten Kommunikationsabteilungen auf diese Veränderungen reagieren?
Es ist wichtig, die bestehenden Kontakte zu pflegen und zu wissen, wer die zukünftigen Ansprechpartner*innen sein werden. Bei der Auswahl der Themen ist es wichtig, den Nutzen für die Gesellschaft zu betonen, die überregionale Relevanz herauszustellen oder das Thema so aufzubereiten, dass es über Protagonist*innen dargestellt werden kann. Dies sind Punkte, auf die die Kompetenzzentren bei wissenschaftlichen Themen in Zukunft sicherlich stark achten werden. Themen werden in der Regel nicht mehr nur für eine lineare Sendung produziert, sondern im besten Fall in der Mediathek oder auf anderen digitalen Plattformen ausgespielt und müssen dafür langfristig interessant und relevant sein.
Wenn Hochschulen sich nicht mehr darauf verlassen können, dass ihre Themen aufgegriffen werden, sollten sie dann verstärkt eigene Kommunikationsprojekte vorantreiben?
Das kann sinnvoll sein. Wichtig ist aber, die eigenen Ressourcen richtig einzuschätzen. Für viele Hochschulen ist die Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht sehr zielführend. Es hilft nicht, auf möglichst vielen Plattformen präsent zu sein, diese aber nur häppchenweise mit Inhalten zu füttern. Dann lieber weniger Plattformen, diese aber mit substanziellen Inhalten bespielen. Wichtig ist auch, das Community Management nicht zu vergessen. Mit der Veröffentlichung eines Beitrags ist es nicht getan. Die Interaktion mit der Community ist entscheidend, um die Reichweite zu erhöhen.
Zudem sollte es meiner Meinung nach vermieden werden, dass Wissenschaftler*innen im Alleingang ihre Forschungsergebnisse auf Social-Media-Kanälen präsentieren und die Hochschulkommunikation davon nichts weiß. Um eine höhere Reichweite zu erzielen, ist es zielführender, wenn die Wissenschaftler*innen ihre eigenen Postings vom Timing und den Inhalten her mit der Hochschulkommunikation koordinieren. Eine erfolgreiche Hochschulkommunikation sollte diese Fäden zusammenhalten.