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„Wissenschaftskommunikation läuft nicht nebenbei!“

Kommunikation als Kernaufgabe der Wissenschaft – ist das realistisch? Das neue Positionspapier des Verbands für Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO) setzt auf langfristige strukturelle Veränderungen. Wie könnten diese in der Praxis aussehen?

Im Mittelpunkt des kürzlich veröffentlichten Positionspapiers des Verbands für Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO) steht der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Was fordert der Verband?

Kerstin Elbing ist promovierte Biologin und Wissenschaftskommunikatorin. Aktuell ist sie in der Geschäftsstelle Berlin des VBIO für den Bereich Kommunikation sowie Wissenschaft und Gesellschaft zuständig. Foto: Elbing privat

Ich möchte vor allem zwei Stichworte nennen: Wertschätzung und Awareness. Wertschätzung zielt auf Forschungsfördernde, auf Hochschulen, auf Wissenschafts- und Bildungsministerium, Bund und Länder ab. Damit verbunden ist die Forderung, Wertschätzung, ideell, aber auch durch finanzielle Unterstützung, langfristig in Strukturen einzubauen, zum Beispiel an der Universität oder an der Fakultät. Und es gibt die Empfehlung, Leistungen in der Wissenschaftskommunikation gegebenenfalls im Rahmen von Berufungs- und Evaluierungsverfahren zu berücksichtigen.

Das ist natürlich nicht ganz unumstritten, aber ich denke, man sollte darüber zumindest nachdenken. Eine Forderung, die wir sehr intensiv diskutiert haben, ist die nach Unterstützung der Wissenschaftler*innen durch Kommunikationsexpert*innen mit soliden biologischen Kenntnissen.

Awareness ist dann die interne Botschaft. Es geht darum, dass Wissenschaftler*innen Kommunikation als Teil der eigenen Aufgabe verstehen. Das heißt auch, sich Grundkompetenzen anzueignen und sich gegebenenfalls weiterzubilden.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die im Positionspapier skizzierten Ansätze zur Verbesserung der Wissenschaftskommunikation umzusetzen?

Was wir brauchen, ist die Erkenntnis, dass Wissenschaftskommunikation nicht nebenbei läuft, weder in Bezug auf Zeit und Ressourcen noch in Bezug auf eine gute Präsentation. Wir brauchen eine gewisse Offenheit, um sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Einzelne Beispiele gibt es genug. Man muss aber sehen, wie man das institutionalisiert.

„Was wir brauchen, ist die Erkenntnis, dass Wissenschaftskommunikation nicht nebenbei läuft, weder in Bezug auf Zeit und Ressourcen noch in Bezug auf eine gute Präsentation.“ Kerstin Elbing

Vor welchen Herausforderungen steht die Biologie, wenn es um die Kommunikation nach außen geht?

Das eine ist, dass das biologische Wissen sehr schnell voranschreitet und man deshalb möglicherweise auch mal einen Teil der Ergebnisse korrigieren muss, was problematisch sein kann. Einzigartig ist die große persönliche Nähe zu den Themen der Biowissenschaften. Ein gutes Beispiel ist die Gesundheitskommunikation zu Covid-19. Es ist eine Chance, wenn die Menschen nah an den Themen dran sind und sich interessieren, aber es birgt auch ein gewisses Risiko. Wissenschaftskommunikation im Bereich der Biologie muss mit den Erwartungen und Unsicherheiten umgehen und die Forschungsergebnisse entsprechend einordnen.

Sie erwähnen im Papier, dass Wissenschaft ein Prozess ist, der ständig neue Erkenntnisse generiert und die Bereitschaft erfordert, Aussagen auch zu korrigieren. Wie kann diese Realität effektiv in der Gesellschaft kommuniziert werden, ohne ein allgemeines Misstrauen zu erzeugen?

Liegt ein echter Fehler vor, muss dieser sehr schnell und offen kommuniziert werden. Das ist für die Betroffenen natürlich nicht angenehm. Da muss ein Umfeld geschaffen werden, dass die Wissenschaftler*innen nicht gleich verurteilt werden.
Andererseits liegt es in der Natur der Wissenschaft, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgrund der Informationen, die man hat, eine Theorie aufstellt. Und wenn man zu einem späteren Zeitpunkt andere Daten hat, dann muss man diese Theorie vielleicht korrigieren. Das ist gute wissenschaftliche Praxis, aber kein Fehler – auch wenn es vielleicht von außen als solcher wahrgenommen wird. Hier muss Wissenschaftskommunikation ansetzen, um ein besseres Verständnis für grundlegende wissenschaftliche Arbeitsweisen im Sinne einer „Scientific Literacy“ zu fördern.

Potenzielles Misstrauen kann langfristig nur abgebaut werden, wenn es gelingt, in der Schule die Grundlagen für ein allgemeines Wissenschaftsverständnis zu legen. Es geht nicht nur darum, möglichst viele Biologie- oder Chemie-Fakten zu vermitteln, sondern den Schüler*innen zu zeigen, wie Wissenschaft funktioniert. Die einzige Möglichkeit, die wir im Moment haben, ist, langfristig die Lehrpläne in den Schulen weiterzuentwickeln. Mittelfristig können Citizen Science Projekte Misstrauen entgegenwirken. Aber auch die haben ihre Grenzen; und natürlich erreicht man damit auch nur einen Teil der Bürgerinnen und Bürger.

„Potenzielles Misstrauen kann langfristig nur abgebaut werden, wenn es gelingt, in der Schule die Grundlagen für ein allgemeines Wissenschaftsverständnis zu legen.“ Kerstin Elbing

Inwieweit beeinflusst die emotionale Aufladung von Themen wie dem Klimawandel deren effektive Kommunikation und welche Strategien können eingesetzt werden, um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen?

Das Ideal wäre natürlich, dass wir alle ganz rational sind, die Argumente abwägen und dann zu einer Entscheidung kommen. Ich glaube, man muss sich darüber im Klaren sein, dass das kaum möglich ist. Wir versuchen, in den Fachdiskussionen ein bisschen von der Emotionalität wegzukommen, aber es gelingt uns nicht ganz.
Gerade bei Themen wie dem Klimawandel geht es darum, zu vermitteln, was getan werden kann, um nicht gleich den Kopf in den Sand zu stecken. Damit sind wir aber auch sehr schnell bei den Umsetzungsdefiziten. Dann geht es nicht mehr um biologisches Fachwissen, sondern um das politisch und gesellschaftlich Machbare. Da müssen sich auch andere Disziplinen einbringen, aber ohne dass sich die Fachleute zurückziehen. Stichwort „Dialog“.

Welche Rolle spielt der VBIO bei der Förderung einer umfassenden Wissenschaftskommunikation?

Wir setzen uns dafür ein, dass angesichts der Rahmenbedingungen, die wir in der Wissenschaft haben – also Finanzierung, Befristung, Publikationsdruck – Freiräume schaffen, um Wissenschaftskommunikation zu unterstützen. Dabei ist uns vor allem der Dialog mit den Wissenschaftler*innen wichtig. Wir haben eine interne Projektgruppe Wissenschaftskommunikation, die das vorantreiben will. Diese Projektgruppe hat auch das Positionspapier des VBIO vorbereitet.

Das Papier knüpft an frühere Positionspapiere zur schulischen und außerschulischen Bildung im Bereich der Biologie an, etwa an die Forderung, dass die Grundlagen biologischer Konzepte schon früh in der Schule angemessen vermittelt werden müssen. Dazu gehört eine entsprechende Ausbildung der Lehrkräfte in diesem Bereich ebenso wie die Möglichkeit, an Fortbildungen zu aktuellen Themen teilzunehmen. Die Positionspapiere finden sich auch auf unserer Seite zu “Scientific Literacy“.

Welche konkreten Maßnahmen und Veranstaltungen bietet der VBIO an, um die Wissenschaftskommunikation in den Biowissenschaften zu fördern und weiterzuentwickeln?

Wir haben zum Beispiel ein Format, mit dem wir Wissenschaftler*innen und Lehrkräfte zusammenbringen – und das auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Die meisten Teilnehmer*innen sind Lehrkräfte der Klassen zehn bis zwölf, aber auch Wissenschaftler*innen aus anderen Fachgebieten, die einfach mal reinhören wollen. Die Wissenschaftler*innen halten Vorträge, die einen Überblick geben, aber auch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse darstellen. Am Ende gibt es dann eine Diskussionsrunde. Es geht darum, Wissenschaftler*innen und Lehrkräfte zusammenzubringen, damit aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst rasch aus der Wissenschaft in die Schule kommen. Dabei geht es zum Beispiel auch um die Frage, an welcher Stelle und wie ein bestimmtes Thema in den Unterricht eingebracht werden kann.

Was sind grundlegende Fähigkeiten im Bereich der Wissenschaftskommunikation, die Biowissenschaftler*innen erwerben sollten, um effektiv mit der Öffentlichkeit zu interagieren, insbesondere bei komplexen oder umstrittenen Themen?

Authentizität. Bei allem, was man macht und an didaktischem Know-how einbringen kann. Das darf nicht aufgesetzt wirken. Insofern also auch persönliche Vermittlungskompetenz, gerne auch mit der Offenheit, neue Vermittlungsmethoden auszuprobieren. Ich glaube, die fachliche Kompetenz ist da. Dazu gehört aber immer, auch bei kontroversen Themen, nicht nur die Darstellung von Details, sondern auch die Einordnung in ein großes Ganzes.

Weitere Punkte sind die Kompetenz in Bezug auf Transparenz, Offenheit für aktuelle Fragen, sich von Kommunikator*innen unterstützen zu lassen und die eigene Rolle zu kennen.

Auf jeden Fall braucht es ein gutes Zeitmanagement, denn die Zeit, die sich Wissenschaftler*innen für die Wissenschaftskommunikation freischaufeln, wird wahrscheinlich an anderer Stelle knapp.

„Die Bereitschaft ist theoretisch da, es ist eher eine Frage der Zeit und der Umsetzung in der Ausbildung, an der gearbeitet werden muss.“ Kerstin Elbing

Was sagen die Zahlen über die Bereitschaft der biowissenschaftlichen Community, sich im Bereich der Wissenschaftskommunikation weiterzubilden?

Wir haben keine eigenen Zahlen. Aber ich glaube, der Wille ist da. Wenn das Training nicht aktiv eingefordert wird, geht es oft unter, weil es so viel anderes zu tun gibt: Lehrstuhlinhaber*innen sind mit Verwaltung und der Betreuung von Doktorand*innen ausgelastet, die Postdocs sind damit beschäftigt, sich auf der Karriereleiter zu etablieren. „Zuviel“ Zeit hat eigentlich niemand. Und da sollte man Rahmenbedingungen schaffen, die die Weiterbildung attraktiver machen.

Insofern bin ich der Ansicht, dass in diesem Bereich einfach mehr Systematisierung nötig ist. Außerdem denke ich, dass im Bereich der Weiterbildung niedrigschwellige Angebote für Wissenschaftler*innen notwendig sind. Diese Angebote gibt es zum Teil schon, aber man muss sie aktiv suchen und sie sind leider rar. An großen Forschungszentren wird schon einiges gemacht, aber an den Hochschulen ist noch Luft nach oben. Die Bereitschaft ist theoretisch da, es ist eher eine Frage der Zeit und der Umsetzung in der Ausbildung, an der gearbeitet werden muss.


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Position: Wissenschaftskommunikation im Bereich der Biowissenschaften