Die Chefs in der Wissenschaft sollten den Kommunikatorinnen und Kommunikatoren Freiraum und Rückendeckung geben, schreibt Wissenschaftsjournalistin Heidi Blattmann in ihrem Kommentar zum Siggener Impulspapier „Walk the talk – Chefsache Wissenschaftskommunikation“. Die gesellschaftliche Situation und damit auch die Gefahren für die Wissenschaft sieht sie jedoch in entscheidenden Punkten anders.
Wissenschaftskommunikation ist Chefsache – unbedingt, wenn auch anders!
Das neue Siggen-Papier zu kommentieren ist eine echte Herausforderung, und zwar aus gleich zwei Gründen. Zum einen sträubt sich alles in mir, mich als Journalistin in eine Kategorie – die der Wissenschaftskommunikation – einzugliedern, in die ich meinem Verständnis nach nicht gehöre. Zum andern sehe ich die gesellschaftliche Situation und damit auch die Gefahren für die Wissenschaft in entscheidenden Punkten anders als die Autorinnen und Autoren des Siggener Impulses 2018. Auch wenn ich der Forderung, dass die Kommunikation im Wissenschaftsbereich Chefsache sein muss, uneingeschränkt zustimme.
Umfassender Begriff der Wissenschaftskommunikation verwäscht die Aussagen
Nun jedoch heißt es da schwarz auf weiss, dass zur Wissenschaftskommunikation auch der Journalismus zu zählen sei. Diese Ausweitung des Begriffs liegt bei Kommunikationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern im Trend und Anfang Oktober wurde plötzlich auch der entsprechende Beitrag in Wikipedia umgeschrieben. Die neue Auslegung steht aber im Gegensatz zum bisherigen Sprachgebrauch in der Praxis und auch im Gegensatz etwa zum Selbstverständnis dieser Webseite hier, auf der ich schreibe und die den Begriff im Titel führt.
Dieser alt-neue Begriff der Wissenschaftskommunikation soll zudem (laut Wikipedia) nicht mehr nur die Kommunikation aus der Wissenschaft (PR) und neu den Journalismus umfassen, sondern jegliche Kommunikation in, aus und über Wissenschaft. Dazu zählen auch Romane, Unterhaltungs-Filme, Gutachten und eine Vielzahl weiterer Kanäle, inklusive den Schulen. Lese ich den Text nun mit dieser neuen „Brille“, heißt das: Ich muss jede Aussage zur Wissenschaftskommunikation auf ihre Gültigkeit für diese verschiedenen Kanäle prüfen.
Bündnis von Wissenschaft und Journalismus lässt alle Warnlampen blinken
Diese Umdeutung des Begriffs Wissenschaftskommunikation schadet aber nicht nur der Aussagekraft des Siggener Impulses von 2018, sondern der Kommunikation aus der Wissenschaft insgesamt! Denn die Wissenschaft kommt letztlich in den Verdacht, dass sie die Unabhängigkeit anderer Meinungen, insbesondere der Medien, nicht wirklich respektiert, wenn sie den Unterschied zwischen der interessengeleiteten (weil von ihr finanzierten) Kommunikation aus der Wissenschaft und unabhängiger Berichterstattung über Wissenschaft verwischt. Die (mit großen Summen dotierte) Wissenschaft, so sehr sie auch guten, unabhängigen Wissenschaftsjournalismus schätzt und ihm immer wieder Anerkennung zollt, darf diesen zudem nicht fördern. Auch nicht vorsichtig, selbst wenn der Qualitätsjournalismus um Ressourcen kämpfen muss. Sonst zerstört sie genau das, was sie so lobt und was sie stärken will. Beinahe jede Förderung, die funktioniert, erzeugt auch eine Abhängigkeit und führt im Journalismus damit zu einer Schwächung der Kontrollfunktion, einer wichtigen Aufgabe der Medien.
Die gesellschaftlichen Veränderungen sind komplexer
Dieses Bündnis begründet der neue Siggener Impuls mit der Erosion des gesellschaftlichen Konsenses, dass Wissenschaft das nach objektiven Kriterien beste verfügbare Wissen über die Welt zur Verfügung stelle. Und damit sind wir bei der anderen Seite des Themas. Es wird auf Desinformationskampagnen oder Fake News verwiesen, und dass die Wissenschaft in Krisensituationen noch viel zu langsam reagiere. Gezielte Kampagnen, so liest man in der Einleitung, könnten heute große Teile der Gesellschaft beeinflussen und so die Aussagen der Wissenschaft über die Beschreibung der Welt in Frage stellen und neue, ihnen genehme Wirklichkeiten konstruieren. In dieser Situation werde ein Business-as-Usual in der Wissenschaftskommunikation der Situation nicht mehr gerecht.
Es ist übrigens Donald Trump, der dem Begriff Fake News eine neue Karriere verschafft und ihn ins Gegenteil verdreht hat. Er nutzt ihn als Totschlagargument GEGEN die Qualitätsmedien. Ein Kampf gegen Fake News wäre genau genommen (laut Trump) also ein Kampf gegen die Qualitätsmedien – ein Grund, um diesen Begriff zurückhaltend einzusetzen.
Doch unabhängig von Begriffen und ihren Umdeutungen ist klar, dass wir uns zurzeit in einer tiefergreifenden gesellschaftlichen Umwälzung befinden. Noch ist schwer absehbar, wohin diese führt. Die Ursachen dafür liegen jedoch nicht nur in der Beschleunigung des globalen Informationsflusses und den Neuen Medien – auch wenn die Beschleunigung dazu beigetragen hat; und diese durch die neue Medienwelt mitverursacht wird.
Kann ein übergreifendes Bündnis zur Wissenschaftskommunikation die Demokratie stärken?
Mit der Umwälzung einher geht, dass sich wichtige Institutionen der Gesellschaft – über Jahrzehnte wenig hinterfragt – neu behaupten müssen. Das dürfte auch auf die Wissenschaft zukommen. Es geht nicht zuletzt auch um die Demokratie. Und hier hat die Wissenschaft eine wichtige Rolle zu spielen – auch das soll nicht bestritten werden. Ebenso klar ist, dass die Qualitätsmedien, wie wir sie kennen, in Gefahr sind und neue Modelle finden müssen.
Eine Kultur der Genauigkeit, Transparenz, Fairness, Redlichkeit und Bescheidenheit
Aus all diesen Gründen ist Wissenschaftskommunikation – und da bin ich ganz bei den Siggen-Autoren – Chefsache, und muss es sein!
In dieser Kultur müsste auch versucht werden, die Probleme, die auf die Wissenschaft zukommen, unabhängig von den eigenen Finanzierungssorgen vertieft zu analysieren. Vor allem gilt es auch über jene Aspekte zu reden, die innerhalb des Wissenschaftssystems angegangen werden können und müssen, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Dass die Kommunikatorinnen und Kommunikatoren einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diese Kultur zu stärken, versteht sich von selbst. Ebenso, dass Mitarbeitende, die sich in dieser Kultur wohl fühlen, die ehrlichsten und überzeugendsten Botschafterinnen und Botschafter nach außen sind. Aber ohne das persönliche Engagement der Chefs können sie das alle nicht. Dies ihren Chefs klarzumachen, dürfte mancherorts eine zentrale Aufgabe der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren sein.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
Anmerkung der Redaktion:
Im Vorfeld Ihres Artikels über das Siggen-Papier hat Frau Blattmann bei uns angefragt, wie wir den Begriff Wissenschaftskommunikation, den wir im Titel führen, selbst interpretieren – und erhielt dabei leider eine falsche Auskunft.
Entgegen unserer eigentlichen Definition des Begriffs Wissenschaftskommunikation, der für uns sowohl den Journalismus als auch die institutionalisierte Kommunikation, als auch freie Kommunikatorinnen und Kommunikatoren einschließt, wurde ihr erklärt, Journalismus werde bei uns nicht unter diesem Begriff verstanden. Eine Aussage, auf die sich Frau Blattmann in ihrem Text bezieht. Für diesen Fehler bitten wir um Entschuldigung. Er ist darauf zurückzuführen, dass wir im operativen Bereich den Wissenschaftsjournalismus nur am Rande behandeln, da andere Plattformen (wie das Metamagazin) dies bereits tun. Beim allgemeinen
Wir möchten hier eindeutig klarstellen, dass der Fehler in Bezug auf unsere Definition von Wissenschaftskommunikation nicht bei Frau Blattmann lag, sondern an der unklaren Aussage unsererseits. Wir bitten sie und die Leserinnen und Leser um Entschuldigung für die Verwirrung.
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