Foto: KielSCN

„Wissenschaftskommunikation als Design-Challenge“

Was macht eine gute Visualisierung von komplexen Inhalten – beispielsweise von Antibiotikaresistenzen – aus? Wie bezieht man die Öffentlichkeit in Designprozesse ein? Carolin Enzingmüller vom Kiel Science Communication Network spricht über Ziele des Forschungszentrums und gibt Einblicke in ein Pilotprojekt mit Studierenden.

Das Kiel Science Communication Network (KielSCN) ist eines von vier, seit 2021 von der Volkswagenstiftung geförderten Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung. Was ist Ihr Ansatz? 

Wir arbeiten interdisziplinär an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Design und bauen dabei auf langjährigen Erfahrungen auf. Am Standort Kiel haben wir eine starke biomedizinische Forschung zu Gesundheitsthemen, die nicht leicht zu kommunizieren ist, weil Sachverhalte und Prozesse sehr komplex sind. Es hat sich gezeigt, dass Visualisierungen helfen können, Einblicke in diese Welten zu geben. Wir wollen in Zukunft die Synergien von Wissenschaft und Design noch  stärker nutzen, um innovative Wege zu finden, wie man abstrakte und komplexe Prozesse anschaulicher und ansprechender darstellen kann. 

<strong>Carolin Enzingmüller</strong> ist Junior Principal Investigator im Kiel Science Communication Network und Postdoc am IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel. Sie hat Biologie, Deutsch und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien studiert und zu visuellen Darstellungen im Biologieunterricht promoviert. Ihre Forschungsinteressen sind unter anderem Wissenschaftskommunikation und Outreach sowie die Kommunikation interdisziplinärer Forschung. Foto: privat
Carolin Enzingmüller ist Junior Principal Investigator im Kiel Science Communication Network und Postdoc am IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel. Sie hat Biologie, Deutsch und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien studiert und zu visuellen Darstellungen im Biologieunterricht promoviert. Ihre Forschungsinteressen sind unter anderem Wissenschaftskommunikation und Outreach sowie die Kommunikation interdisziplinärer Forschung. Foto: privat

Wer ist an dem Forschungszentrum beteiligt? 

Das Kernteam besteht aus Vertreter*innen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, die sich mit aktueller Gesundheitsforschung beschäftigen, dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik Kiel, das seine Expertise zur wirksamen Vermittlung von MINT-Themen zur Verfügung stellt, und der Muthesius Kunsthochschule, die Überlegung zu exzellentem Design einbringt. Außerdem haben wir Praxispartner an Bord, darunter Spektrum der Wissenschaft, den NDR, den YouTube-Kanal Kurzgesagt und die Non-Profit-Organisation opencampus.sh. Mit unserem Partner Spektrum der Wissenschaft gehen wir beispielsweise der Frage nach, wie wir im Online-Journalismus Erfahrungen mit aktueller Wissenschaft schaffen können, bei denen wir Nutzer*innen aktiv in Designprozesse einbeziehen. Wir wollen auch gezielt Fellowships ausschreiben, die unsere Perspektive und die unserer Partner*innen weiter ausweiten und ergänzen sollen. Je nach Projektphase richten sich die Fellowships an Forschende aus der Wissenschaftskommunikation, die eigene Forschungsstudien bei uns durchführen, oder auch an Design-Expert*innen, die an Visualisierungsprojekten mitarbeiten.

Das KielSCN hat Ende 2021 seine Arbeit aufgenommen und wird für fünf Jahre gefördert. Wozu forschen Sie genau? 

Wir haben eine recht umfangreiche Forschungsagenda und wollen dabei nicht erst bei der Wirkung von Produkten anzusetzen. Wir wollen früher ansetzen und die User-Experience und auch den Designprozess an sich untersuchen. Uns interessiert: Was macht eigentlich die Attraktivität von Visualisierungen aus? Welche Emotionen werden von ihnen ausgelöst? Und wie wirken sich diese Emotionen dann auf das Verständnis und die Wahrnehmung von Wissenschaft aus? Wie können wir in interdisziplinären Teams Visualisierungen designen, die aktuelle Forschung attraktiv und verständlich darstellen? Welche Voraussetzungen müssen wir auf Seiten unserer Zielgruppen berücksichtigen? Unser Ziel ist, dieses Co-Design an der Schnittstelle zwischen Fachwissenschaft, Design, aber auch Bildungsforschung zu charakterisieren und weiterzuentwickeln. 

 

VIER NEUE ZENTREN FÜR WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATIONSFORSCHUNG

Die VolkswagenStiftung fördert mit insgesamt 15 Millionen Euro vier neue Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung. Auf die Ausschreibung „Wissenschaftskommunikation hoch drei“ konnten sich Projekte bewerben, in denen die Perspektiven Wissenschaftskommunikationsforschung, Fachwissenschaft und Kommunikationspraxis zusammenwirken. Der Förderzeitraum beträgt fünf Jahre und kann um maximal drei Jahre verlängert werden. Die Stiftung erreichten 27 Anträge von Konsortien verschiedener Institutionen aus 24 Ländern. Wie Ende Juni 2021 bekannt wurde, erhielten folgende Zentren den Zuschlag: The Munich Science Communication Lab zum Thema „Communicating Planetary Health“, The Kiel Science Communication Network zum Thema „Evolving Visualizations for Evolving Health“, das Rhine-Ruhr Center for Science Communication Research und das Tübinger Center for Rhetorical Science Communication Research on Artificial Intelligence.  

In einem Pilotprojekt haben Studierende Pop-Up-Science-Konzepte entwickelt. Wie sah das aus?

Die Idee hinter unserem Pop-Up-Science-Projekt war, Wissenschaftskommunikation als Design-Challenge zu sehen. Studierende aus dem Design haben sich als aktuelles Forschungsthema im Gesundheitsbereich Antibiotikaresistenzen vorgenommen. In Teams haben sie sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie man dieses abstrakte und nicht unbedingt positiv besetzte Thema an die Öffentlichkeit bringen kann. Dafür haben wir als Methode zur Problemlösung Design Thinking genutzt. Der Ansatz eignet sich gut, um kreativ an komplexe Probleme heranzugehen und die Zielgruppe stark in den Fokus zu stellen. Dabei sind sehr unterschiedliche Ideen entstanden. Eine Gruppe will Kunstobjekte im öffentlichen Raum als Eingangstor für Wissenschaftskommunikation nutzen. Eine andere verfolgt co-kreative Ansätze, die Schüler*innen direkt ins Erstellen von Inhalten für die Wissenschaftskommunikation einbinden. Eine Gruppe hat eher marketingorientiert gearbeitet und möchte einen Shop aufbauen, eine weitere entwickelte ein modulares Ausstellungssystem.

Können Sie eines der Pop-Up-Science-Konzepte genauer beschreiben?

Wir haben bei dem Projekt sehr intensiv Fachforschende aus der Evolutionsbiologie und –medizin, der Mikrobiologie und der Tierhaltung eingebunden, um Forschung zu Antibiotikaresistenzen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Sie haben ihre Themen am Anfang als Impuls hineingegeben und standen als Ansprechpartner*innen für Feedback bereit. Einer der Forschenden hat sich mit einer ganz bestimmten Struktur von Bakterien beschäftigt. Ein Studierenden-Team hat sich diese Struktur vorgenommen und ein Kunstobjekt in Form eines überdimensionierten Bakteriums aus Acrylglas entworfen, das über die ästhetische Wirkung Menschen ansprechen und sie motivieren soll, sich mit Wissenschaft auseinanderzusetzen. Zum Kunstobjekt gibt es eine Webseite, auf der Betrachter*innen über einen QR-Code Informationen zum Thema Antibiotikaresistenzen abrufen können. 

Studierende haben beim Pilotprojekt Pop-Up-Science-Konzepte entwickelt. Foto: KielSCN

Vor welchen Herausforderungen standen die Studierenden? 

Das Ganze war eine sehr komplexe Aufgabe. Deshalb haben wir den Prozess begleitet und an verschiedenen Stellen evaluiert. Bestätigt hat sich unsere Vermutung, dass kollaborative Designprozesse hohe Ansprüche an Teams stellen. Die Studierenden mussten eine gemeinsame Sprache finden und ihren Kreativprozess koordinieren. In Workshops und Beratungen haben wir sie dabei unterstützt. Die Evaluation hat aber gezeigt, dass wir noch nachsteuern können. Denn die Auseinandersetzung mit dem hochkomplexen Fachthema war nicht leicht. Die Studierenden mussten die Inhalte so tief durchdringen, dass sie sie in eine gestalterischere Sprache übersetzen können. Nur wenige Studierende kennen Design Thinking als Methode. Gerade zu Beginn braucht es deshalb relativ viel Struktur. In der Bildungsforschung nennen wir das Scaffolding: den Gruppen ein Gerüst geben. 

Wie läuft so ein Prozess im Design Thinking ab? 

Am Anfang geht es darum, die Herausforderung bis ins Detail zu durchdringen: In welchen Rahmenbedingungen bewegen wir uns? Was sind unsere Anforderungen an das Projekt? In dieser „Verstehensphase“ finden Recherchen statt. Wer sind die Zielgruppen? Welche Strategien sollen eingesetzt werden? Welchen Impact wollen wir erreichen? Wie gewährleisten wir, dass dieses Projekt ein Erfolg wird? 

Die nächste Phase heißt im Design Thinking „Beobachten“. Im Idealfall tritt man dabei in Kontakt mit der Zielgruppe. Durch teilnehmende Beobachtung, aber auch durch Interviews und andere Techniken versucht man, sich in diese Personen zu versetzen und Einblicke in ihre Erwartungen und Erfahrungen zu bekommen. Wir haben die Studierenden in einem Workshop losgeschickt, um kleinere Interviews mit Passant*innen zu führen. Sie sollten früh ein Gefühl dafür bekommen, welche Erfahrungen und Befürchtungen in den Köpfen der Menschen zum Thema Antibiotikaresistenzen verankert sind. 

Dann kommt eine Phase, in der zusammengeführt und verdichtet wird. Im Design Thinking wird sie oft „Sichtweise definieren“ genannt. Man versucht, die Knackpunkte zu identifizieren, um die Zielgruppen abzuholen. Das ist dann der Startpunkt für den Designprozess, in dem über bestimmte Kreativmethoden Ideen gebrainstormt und ein Prototyp entwickelt werden. 

Was passiert jetzt mit den Ideen der Studierenden?

Plakat der Pop-Up-Science-Ausstellung. Foto: KielSCN

Als erstes haben die Teams ihre Prototypen bei der Jahrestagung der Muthesius Kunsthochschule in Kiel vorgestellt. Eine Jury aus Fachwissenschaft, Bildungsforschung und Design hat die Ansätze dort begutachtet. Am 30. September sollen die Konzepte beim Science Day in Kiel dann einem breiteren Publikum vorgestellt werden. Die Besucher*innen können dann an einem unserer Exponate über die vier Konzepte abstimmen. Es ist Teil unserer Forschung, zu schauen, was tatsächlich bei der Öffentlichkeit ankommt, um letzten Endes zu entscheiden, welches der Konzepte oder welche Elemente wir umsetzen wollen. 

Wie geht es nach dem Pilotprojekt beim KielSCN weiter? 

Wir arbeiten parallel auf unterschiedlichen Ebenen. Die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt lassen wir in eine nächste Runde mit Studierendenteams einfließen. Es geht in dieser ersten Projektphase außerdem sehr stark darum, vorhandene Medienformate zu analysieren. Wir starten dabei mit visuellen Darstellungen unserer Partner und nehmen uns Artikel und Videos zu Gesundheitsthemen vor, darunter auch das Mikrobiom als hochaktuelles Forschungsthema Ziel ist, zu einer gemeinsamen Typologie von Designkriterien zu kommen. Der Austausch zwischen den unterschiedlichen Perspektiven von Fachwissenschaft, Bildungsforschung und Design ist spannend, weil unterschiedliche Deutungssysteme aufeinandertreffen. Wir wollen praxisnahe Einblicke geben und die Community durch partizipatorisches Design am Prozess teilhaben lassen. Zielgruppen und relevante Stakeholder sollen durch Interviews in die Recherchephase in Designentscheidungen eingebunden werden. Geplant sind auch Praxishilfen und Toolboxen für kollaboratives und partizipatorisches Design für die Wissenschaftskommunikations-Community und Trainings für Fachwissenschaftler*nnen im Bereich visuelle Wissenschaftskommunikation.

Worauf kommt es bei Visualisierungen in der Wissenschaftskommunikation an?

„Wir wollen praxisnahe Einblicke geben und die Community durch partizipatorisches Design am Prozess teilhaben lassen.“ Carolin Enzingmüller
Das ist eine Frage, mit der wir uns ganz viel auseinandersetzen werden, weil wir sie aus unseren Disziplinen heraus erst einmal unterschiedlich beantworten würden. Aber gerade in der Synthese liegt, glaube ich, eine spannende Antwort. Ganz grob unterscheiden wir einerseits zwischen etwas, das wir Attraktivität nennen: Wie groß ist der ästhetische Appeal? Was zieht uns an? Dann geht es aber auch um einen funktionellen Wert. Wie gut führt mich diese Visualisierung durch den Content? Dabei spricht man auch von Usability, also der Nutzbarkeit dieser Visualisierung. Aber was für die Wissenschaftskommunikation aus fachlicher Sicht natürlich auch zentral ist, sind der Informationsgehalt und die Genauigkeit der dargestellten Informationen. 

In der Reihe „Visualisierung des Monats“ diskutieren Sie aus Ihrer Sicht gelungene Beispiele. Als erstes haben Sie eines aus der New York Times gewählt. Warum?

Die Visualisierung beschäftigt sich mit Corona-bedingten Todesfällen in den USA und hat uns im Team sehr beeindruckt. Eine Million Menschen, die an Corona gestorben sind, werden als kleine schwarze Punkte dargestellt. Sie setzen sich zu einer Kurve zusammen und verteilen sich dann, um verschiedene Zusammenhänge zu veranschaulichen, zum Beispielüber die Bundesstaaten der USA, um zu zeigen, in welcher Region wie viele Menschen gestorben sind. Auf diese Weise wird der individuelle Mensch in der Masse der Toten sichtbar. Gerade im Pandemiekontext sind Leser*innen inzwischen fast ein bisschen abgestumpft, was große Zahlen angeht. Aber diese Visualisierung hat es aus unserer Sicht geschafft, den Zahlen einen emotionalen Bezug zu verleihen. In der Reihe diskutieren wir den ästhetischen Wert ausgewählter Beispiele, aber auch die emotionale und kognitive Wirkung, die Usability, den Informationsgehalt und wie diese Aspekte zusammenwirken, um komplexe Informationen zu visualisieren. Es ist für uns auch ein Instrument, um in einen interdisziplinären Austausch darüber zu kommen, was gute Visualisierungen ausmacht. Das ist der Kern unseres Zentrums.

Interviews mit weiteren geförderten Zentren der Ausschreibung „Wissenschaftskommunikation hoch drei“: