Leitlinien, Workshops, Tagungen und mehr: Seit 2012 gibt es die Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen. Was sich seither in der universitären Sammlungslandschaft bewegt hat und warum noch immer Sammlungen ungeahnt auf Dachböden verstauben, das erklärt der leitende Kustos der FAU Erlangen-Nürnberg, Udo Andraschke, im Gespräch.
Wissenschaftsgeschichte auf dem Dachboden
Herr Andraschke, worin bestehen die Aufgaben einer zentralen Kustodie an einer Universität?
Als Leiter der zentralen Kustodie der Universität Erlangen-Nürnberg koordiniere und konzipiere ich vor allem sammlungsübergreifende Projekte wie Ausstellungen, Digitalisierungs- oder Lehrprojekte. Weiterhin bin ich zuständig für die Abteilung Wissenschaftsgeschichte. Universitäre Sammlungen sind ja nicht nur Infrastrukturen für Forschung und Lehre, sondern auch ein bedeutender Teil des kulturellen und wissenschaftlichen Erbes. Nicht zuletzt berate ich meine Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel hinsichtlich konservatorischer Maßnahmen. Wir haben hier an der Universität etwa 25 Sammlungen, die je von eigenen Sammlungsbeauftragten aus den jeweiligen Fächern und Disziplinen betreut werden. Und immer wieder tauchen weitere Sammlungen und Objekte aus der Versenkung auf.
Wie taucht denn eine Sammlung auf einmal wieder auf?
Nicht selten wurden Sammlungen aus dem laufenden Universitätsbetrieb genommen, irgendwo abgestellt und dann über die Jahre hinweg vergessen. Durch Gebäudeumbauten oder schlichtweg einen anderen Zufall werden sie schließlich wiederentdeckt. Vor zwei Jahren haben wir so unsere physiologische Sammlung auf einem Dachboden, der wegen eines Umzugs geräumt werden sollte, wiedergefunden. Da standen auf einmal hunderte physiologische Apparaturen und Objekte, von denen ich auch nach fünf Jahren als Kustos nichts gewusst hatte. Bei anderen, zumal kleineren Sammlungen ist es häufig so, dass die Betreuerin oder der Betreuer erst einmal überhaupt nicht denkt, dass das vorliegende eine Sammlung ist. Dazu kommt, dass man in den Sammlungen immer wieder Dinge findet, die man gar nicht gesucht hat oder von deren Existenz man überhaupt nichts wusste.
Welche Rolle spielen die Sammlungen im universitären Kontext?
In unserem Fall sind die meisten Bestände erst einmal Lehrsammlungen oder dienten jedenfalls ursprünglich der Lehre. Uns liegt sehr daran, dass dies so bleibt oder wieder so wird. Sammlungen eignen sich ganz hervorragend zu Vermittlungszwecken, auch und gerade im digitalen Zeitalter. Wir versuchen deshalb mit viel Engagement, Sammlungen, die aus dem Kreislauf der Lehre irgendwann einmal herausgeflogen sind, wieder in die Lehre zurückzubringen. Bei der anatomischen und pathologischen Sammlung ist uns das beispielsweise sehr gut geglückt: Die historischen Präparate werden wieder aktiv in der heutigen Lehre verwendet.
Wir stellen außerdem sehr viel aus, nicht nur hier in Erlangen und Nürnberg, sondern zuletzt auch etwa in Frankfurt oder München. Ausstellungen waren mir überhaupt von Anfang an ein großes Anliegen, denn sie haben die ganz wichtige Funktion: Wissenschaftliche Zusammenhänge anschaulich zu machen und unsere Objekte ins verdiente Rampenlicht zu rücken. Aber natürlich sind unsere Sammlungen auch wichtige Forschungsinfrastrukturen, wie etwa die Sammlungen der Archäologie, der Botanik oder der Paläontologie.
Wie viele Universitätssammlung gibt es in Deutschland?
Das ist schwer zu sagen. Vor wenigen Jahren war noch völlig unklar, wie viele Sammlungen es überhaupt gibt. An den Universitäten sind die Sammlungen mittlerweile wohl größtenteils erfasst. Bei den Fach- und den künstlerischen Hochschulen ist das noch nicht der Fall. Insgesamt sind wir jetzt bei fast 1.100 Sammlungen angelangt, die die Koordinierungsstelle in Berlin gelistet hat. Das ist eine überaus stattliche Zahl, die zudem noch immer steigt.
Die Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass viele Sammlungen aus ihrem Schattendasein treten konnten. Sie hat bei vielen Sammlungen und sammlungstragenden Einrichtungen sozusagen das Licht angemacht. Und das ist – gerade auch hinsichtlich ihrer überschaubaren Ressourcen und der relativ kurzen Zeit – eine enorme Leistung.
Was leistet die Koordinierungsstelle noch?
Die universitäre Sammlungslandschaft verdankt der Arbeit der Koordinierungsstelle unglaublich viel. So sind die Universitätssammlungen sowohl inner- als auch außeruniversitär deutlich sichtbarer geworden und werden in der Scientific Community wie in der Öffentlichkeit ganz anders wahrgenommen. Das Berliner Team macht eine hervorragende Lobbyarbeit, und die Koordinierungsstelle ist – ich meine das keineswegs abfällig – eine großartige Werbeagentur in Sachen wissenschaftlicher Sammlungen. Davon profitieren wir alle.
Die Koordinierungsstelle hat sich zudem seit ihren Anfängen nahezu mit allen Themen beschäftigt, die für die Sammlungsarbeit wichtig oder notwendig sind. Ob Digitalisierung, Deakzession, Besitz- und Eigentumsfragen, Qualitätskriterien für universitäre Sammlungen, Sammlungskonzeption, Lehre mit Objekten: All das ist irgendwann schon einmal auf dem Schirm der Koordinierungsstelle und Gegenstand von Workshops, Leitfäden oder Handreichungen gewesen. Das hat stark dazu beigetragen, dass sich die Sammlungen gerade auch qualitativ weiterentwickeln konnten. Gerade was dieses qualitative Moment angeht, hat die Koordinierungsstelle wirklich Pionierarbeit geleistet. Zentral ist zudem ihre Netzwerkfunktion. Der Austausch und die Vernetzung haben uns allen nicht nur fachlich geholfen, sondern auch immer wieder gutgetan, denn da geht es natürlich auch viel um Psychologie: Man sieht überhaupt erst einmal, dass es Gleichgesinnte und mitunter auch Gleichleidende gibt, mit denen man sich austauschen und etwas voranbringen kann.
Wohin entwickelt sich die Sammlungslandschaft insgesamt?
Was sind die nächsten Ziele der Koordinierungsstelle und auch innerhalb der Community?
Die weitere Konsolidierung und Etablierung unserer Sammlungen ist sicherlich das große Ziel, ich bin mir außerdem sicher, dass wir längst noch nicht alle Potenziale ausgeschöpft haben, die in unseren Objekten stecken. Insofern liegt noch jede Menge Arbeit vor uns, für die wir auch weiterhin auf Unterstützung hoffen. Sei es durch die eigenen Universitäten und sammlungstragenden Einrichtungen, oder sei es durch die Förderung Dritter. Außerdem gilt es, weiter für den Erhalt der Koordinierungsstelle einzutreten. Es wäre ein großer Gewinn und eine ebenso große Beruhigung, wenn wir sie noch lange an unserer Seite hätten. Auch die weitere Vernetzung wird ein Ziel bleiben. In dem Zusammenhang wäre unbedingt auch die Gesellschaft für Universitätssammlungen zu nennen, die sich mehr und mehr in Arbeitsgruppen organisiert, um an sammlungsbezogenen Konzepten zu arbeiten und die überdies gemeinsam mit einem lokalen Veranstalter die jährliche Sammlungstagung ausrichtet.
Werden die universitären Sammlungen auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht?
Dieser Transfer wird bei uns immer wichtiger und ich glaube, dass Sammlungen für die Wissenschaftskommunikation einen erheblichen Beitrag leisten können. Deshalb sollte uns unbedingt daran gelegen sein, unsere Bestände im mehrfachen Sinne zugänglicher zu machen, unsere Sammlungen zu öffnen und unsere Objekte immer wieder auch zu Exponaten zu machen. Tatsächlich waren mir Ausstellungen von Anfang an ein großes Anliegen. Manche Themen oder Objekte bieten sich dafür besonders gut an: Wir haben zum Beispiel eine schulgeschichtliche Sammlung mit einem sehr großen Bestand an Spickzetteln und Schülerbriefen. Es ist erstaunlich, welche Reizwirkung und Resonanz auch solche unscheinbaren und eher randständigen Objekte entfalten können. Es wäre ein Jammer, wenn solche Dinge zu Depotleichen würden und wir die Schau- und Wissenswerte unserer Objekte nicht nutzten. Vor allem aber gilt es, der Fachöffentlichkeit unsere Bestände zugänglich zu machen und sie einzuladen, an ihnen zu forschen oder mit ihnen zu lehren.