Wie groß ist das Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft und Forschung? Nach wie vor hoch, zeigt das Wissenschaftsbarometer 2023. Warum Liliann Fischer dennoch befürchtet, dass sich manche bei den Ergebnissen erschrecken könnten und inwiefern Menschen KI-Tools wie ChatGPT vertrauen, erzählen sie und Bastian Kremer im Interview.
Wissenschaftsbarometer 2023 – die neuen Ergebnisse!
Was sind die wichtigsten Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers 2023?
Liliann Fischer: Erfreulich ist, dass sich mehr Leute auf dem Laufenden fühlen über Neuigkeiten aus Wissenschaft und Forschung. Auch das Vertrauen ist nach wie vor hoch. 56 Prozent der Befragten geben an, dass sie Wissenschaft und Forschung eher oder voll und ganz vertrauen. Dennoch befürchte ich, dass sich Leute über dieses vermeintlich niedrige Ergebnis erschrecken. Es ist verlockend, die 73 Prozent aus dem April 2020 zu Beginn der Pandemie als Vergleichswert zu nehmen. Aber wir sollten die Einstellung der Bevölkerung nicht am größten Krisenmoment der letzten Jahre messen. Und deshalb würden wir das Ergebnis eher im Kontext der Werte vor der Pandemie und der Erhebungen im Herbst 2020 und 2021 sehen. Und da bewegen wir uns um die 60 Prozent.
Bastian Kremer: Auffällig ist in diesem Jahr, wie stark die Unterschiede zwischen den formalen Bildungsgruppen sind. Im April 2020 gab es eine Corona-Spezialerhebung, bei der das Vertrauen kurzzeitig nach oben schnellte und rund 80 Prozent der Befragten mit hoher formaler Bildung angaben, Wissenschaft und Forschung zu vertrauen. Seitdem ist das Vertrauensgefühl in dieser Gruppe konstant hoch geblieben. Demgegenüber scheint das Vertrauensempfinden von Personen mit mittlerer und niedriger formaler Bildung zum einen deutlich sprunghafter zu sein, zum anderen liegt es dieses Jahr aber auch nochmal unter den Anteilen der Vorjahre. Letztes Jahr vertrauten noch rund 44 Prozent der Befragten mit formal niedriger Bildung Wissenschaft und Forschung, in der aktuellen Umfrage sind es nur 31 Prozent.
Welche Schlüsse sollte die Wissenschaftskommunikation aus diesen Ergebnissen ziehen?
Fischer: Es sollte nicht in den Gedanken münden, dass wir nun das Defizitmodell neu beleben müssen nach dem Motto: „Wir müssen die Leute nur über Wissenschaft und Forschung informieren, dann werden sie positivere Einstellungen haben.“ Wir wissen aus der Forschung ganz klar: Diese Kausalität gibt es nicht. Unser Appell an die Wissenschaftskommunikation ist, zielgruppengerecht zu kommunizieren und Formate für neue Zielgruppen zu öffnen. Das ist eine ganz wichtige Diskussion, die wir in der Wissenschaftskommunikation schon lange führen. Wen adressieren wir eigentlich, wie können wir Zielgruppen erreichen, die nicht schon stark vorgebildet sind?
In der diesjährigen Umfrage stimmten deutlich mehr Befragte mit formal niedrigem Bildungsniveau der Aussage zu, dass sich Forschende zu wenig bemühen würden, die Öffentlichkeit zu informieren. Kommunizieren Forschende nicht genug?
Fischer: Wir sollten dieses Ergebnis im Zusammenhang mit der Frage sehen, „Inwieweit sind Sie auf dem Laufenden über Neues aus Wissenschaft und Forschung?“, und da sehen wir nicht so starke Schwankungen. Das heißt, wir haben die Vermutung, dass dieses Gefühl, ob sich die Wissenschaftler*innen genug bemühen, von der aktuellen Berichterstattung oder medialen Präsenz geprägt ist. Also dass dieses Gefühl wenig mit dem Trend zu tun hat, dass sich mehr Leute über Wissenschaft und Forschung auf dem Laufenden fühlen.
Wenn also Wissenschaftler*innen mehr in den Medien zu sehen sind und über Themen sprechen, die auch meinen Alltag als Bürger*in betreffen, habe ich auch eher das Gefühl, dass sich Forschende ausreichend bemühen?
Kremer: Das wäre eine mögliche Erklärung. 2020 und 2021 waren die Pandemiejahre, in denen Forschende viel kommuniziert haben und die Wissenschaft in den Medien sehr präsent war. Je mehr über Forschung und Wissenschaft berichtet wird und je größer die Alltagsrelevanz ist, desto mehr beschäftigen sich die Menschen damit.
Sie haben dann vielleicht eher das Gefühl, dass von Seiten der Forschenden genug für die Kommunikation getan wird. Wenn die Menschen in dem Moment keine Alltagsrelevanz sehen, dann neigen viele vielleicht eher dazu zu sagen: Die Forschenden bemühen sich nicht genug.
Jedes Jahr hat das Wissenschaftsbarometer einen thematischen Schwerpunkt. Letztes Jahr war es die Energieversorgung und der Krieg in der Ukraine, dieses Jahr wurden die Leute gebeten, KI-Tools, insbesondere ChatGPT, zu bewerten. Warum wurde dieser Fokus gewählt?
Fischer: Es ist wichtig, Themen zu wählen, die für die Gesellschaft relevant sind. Von den Befragten gaben 64 Prozent an, bereits vor der Umfrage von ChatGPT gehört zu haben – es ist also definitiv kein Nischenthema. Auch in öffentlichen Debatten sehen wir, dass ChatGPT viel im Zusammenhang mit Wissenschaft diskutiert wird. Welche Potenziale bietet das Tool beim Verfassen wissenschaftlicher Texte, welche urheberrechtlichen Fragen stellen sich? Uns hat interessiert: Wie nimmt die Öffentlichkeit diese Diskussion eigentlich wahr?
Eine Mehrheit von rund 60 Prozent der Befragten finden es bedenklich, dass Programme wie ChatGPT Falschinformationen wiedergeben und verbreiten könnten. Würden Sie das positiv bewerten?
Fischer: Was wir aus den Ergebnissen herauslesen, ist, dass sich die Leute offensichtlich mit ChatGPT auseinandersetzen. Wir sehen das aber deutlicher bei den positiven Einschätzungen, weil die Antworten differenzierter erscheinen. Hier werden einige Potenziale, etwa sich komplexe Sachverhalte vereinfacht erklären zu lassen, positiver bewertet als die Möglichkeit, sich mit ChatGPT wie mit einer realen Person über Wissenschaft zu unterhalten.
Bei den Fragen, die den Leuten zu bedenklichen Aspekten von ChatGPT gestellt wurden, etwa, dass ChatGPT manchmal auch Falschinformationen verbreitet oder dass es schwer zu erkennen ist, ob ein Text von einem Menschen oder einer Maschine geschrieben wurde, sehen wir, dass kategorisch immer etwa 60 Prozent der Befragten skeptisch sind.
Wir sind bei der Bewertung dieses Ergebnisses vorsichtig, denn wir fragen uns,
wie stark diese Bedenken tatsächlich reflektiert werden. Oder ist es doch eher ein unsicheres Bauchgefühl und noch keine differenzierte Einschätzung? Das würde ich weder positiv noch negativ bewerten, sondern es herrscht aktuell einfach vor.
Spannend finde ich, dass wir einen Unterschied in den Altersgruppen sehen. Jüngere Menschen scheinen generativer KI und ChatGPT tatsächlich viel positiver gegenüber zu stehen.
Was ist neben dem Fokus auf KI-Tools sonst noch neu im Wissenschaftsbarometer 2023?
Fischer: Bei der Frage, über welche Kanäle sich die Befragten über Wissenschaft informieren, haben wir im diesjährigen Wissenschaftsbarometer Messenger wie Whatsapp oder Telegram als potenzielle Informationsquellen aufgenommen.
Diese Entscheidung war stark von der Pandemie geprägt. Während der Pandemie hatten wir den Eindruck als wären Messenger tatsächlich eine wichtige Informationsquelle. Geprägt von diesem Eindruck war ich selbst überrascht über die geringe Zahl von 17 Prozent, die angeben, sich dort tatsächlich über Wissenschaft und Forschung zu informieren.
Kremer: Im Wissenschaftsbarometer der Schweiz und Österreichs wurde die Frage nach den Messengern auch gestellt. Es ist spannend, jetzt auch hierfür internationale Vergleichsdaten zu haben, denn viele unserer Fragen haben ja das Ziel, internationale Vergleiche zu ermöglichen und die Forschung zu bestimmten Fragestellungen zu unterstützen beziehungsweise mit Daten zu versorgen. Unter anderem hierfür ist es für uns so wichtig, den Fragebogen jedes Jahr mit unserem internationalen wissenschaftlichen Beirat abzustimmen.
*Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger der Plattform Wissenschaftskommunikation.de