Martin Bujard berät als Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung regelmäßig Ministerien. Dabei findet er es wichtig, der Politik auch Kontexte mitzuliefern, die für eine substanzielle Einschätzung wichtig sind. Im Interview spricht er über die Rolle der Ressortforschung und Formate der Politikberatung.
Wissenschaftliche Politikberatung als Partnerschaft
Herr Bujard, was ist aus wissenschaftlicher Sicht das Besondere an der Zusammenarbeit mit der Politik?
Die Politik geht oft von Entscheidungen aus, die vorbereitet werden müssen und dafür braucht sie Einschätzungen. Zentrale Kriterien für die wissenschaftliche Politikberatung sind, dass sie evidenzbasiert, neutral, zielgruppenadäquat und verständlich ist. Von Seiten der Familienpolitik wird etwa gefragt, wie sich gewisse Maßnahmen wie das Elterngeld auf die Geburtenrate oder die Müttererwerbstätigkeit auswirken. Da sind sehr gezielte Antworten gefragt. Allerdings sind Auswirkungen nur mit entsprechenden Forschungsmethoden zu identifizieren, die Längsschnittdaten benötigen. Zudem muss man dabei den wissenschaftlichen Kontext mitliefern und welche anderen Faktoren hier mit einfließen. Bei der Kinderbetreuung ist nicht nur wichtig, wie hoch die Kitaquote ist, sondern auch, wie akzeptiert es in verschiedenen Bevölkerungsgruppen ist, seine Kinder dort betreuen zu lassen. Insofern müssen wir gewisse Informationen mitgeben, nach denen wir nicht immer direkt gefragt werden. Diese sind aber wichtig, um unsere Einschätzungen richtig einzuordnen und deutlich zu machen, wo die Grenzen der Aussagekraft liegen.
Worauf achten Sie noch, wenn Sie die Politik beraten?
Aus meiner Sicht ist ein gegenseitiges Verständnis vom jeweiligen Rhythmus und der Arbeitsweise der anderen Seite bei der Politikberatung zentral. Das bedeutet für mich als Wissenschaftler, dass Fragen, die aus der Politik kommen, oft sehr schnell beantwortet und kurz und knapp aufbereitet werden müssen. Das kann mündlich in einem Gespräch oder einem Vortrag passieren oder schriftlich. Bei letzterem müssen die Informationen immer so aufbereitet sein, dass sie über mehrere Stationen, Tische und E-Mail-Postfächer weiter wandern können und trotzdem noch verständlich und nutzbar sind. Wir müssen also auch die Arbeitsstrukturen in Behörden und Politik mitdenken und antizipieren.
Wie sieht das konkret in Ihrem Arbeitsalltag aus?
Wir haben in diesem Jahr zum Beispiel den Corona-Krisenstab des Bundesinnenministeriums unterstützt. Aus meinem Forschungsbereich kamen etwa Informationen zu Familien und deren Arbeits- und Lebenssituationen, zum Beispiel wie viele Familien Zugang zu einem Garten haben oder zur Arbeitsteilung von Müttern und Vätern beim Homeschooling. Von meiner Kollegin und meinem Kollegen aus den anderen beiden Forschungsbereichen Migration und Mobilität sowie Demografischer Wandel und Alterung kamen Lageberichte zur regionalen Verteilung von gefährdeten Altersgruppen und Vorerkrankungen sowie – hinsichtlich der Infektionsausbreitung – Informationen zur Binnenwanderung zwischen Städten und Regionen sowie zum Pendelverkehr an den Grenzen. Die Lageberichte haben wir kurz und bündig auf jeweils einer Seite dargestellt und eingeordnet, warum wir diese Daten in der aktuellen Situation für relevant halten. Zusätzlich zu diesen Lageberichten haben wir die Daten auf einer passwortgeschützten Website zur Verfügung gestellt, die die Möglichkeit bot je nach Interesse verschiedene Parameter auszuwählen und sich Informationen hierzu anzeigen zu lassen. Über diesen Weg ermöglichen wir politischen Akteurinnen und Akteuren somit einen möglichst schnellen Zugang zu Daten aus der Wissenschaft, die in der Corona-Krise relevant sind.
Wie werden diese Informationen dann auf politischer Seite genutzt?
Wie sehen Sie die Rolle der Ressortforschung, also der Bundeseinrichtungen mit Forschungsaufgaben in den Geschäftsbereichen der Ministerien, im politischen Prozess?
Wir sind ein Partner, der versucht, Fragen zu beantworten und die Kontexte und Grenzen nennt, die notwendig sind, um eine Situation einzuschätzen. Wir beraten evidenzbasiert und neutral, weil die Wissenschaft nicht die Aufgabe hat, Politik zu machen. Und Partner sind wir, weil wir umgekehrt auch Impulse für unsere Forschung mitnehmen. Der Austausch mit der Politik hilft uns dabei, relevante Fragen zu finden. Das ist es, was die Arbeit in der Ressortforschung für mich besonders spannend macht.
Wie sieht proaktive Politikberatung bei Ihnen aus?
Wir geben seit 2017 dreimal im Jahr einen Policy Brief zu politisch relevanten Themen heraus, in denen wir auf Themen aus unseren Forschungsbereichen aufmerksam machen. Diese bereiten wir auf vier Seiten allgemein verständlich und mit Grafiken auf und verbreiten sie an Ministerien, Abgeordnete und über das Web an eine interessierte Öffentlichkeit. Die Policy Briefs stoßen auf großes Interesse und wir bekommen durch die Bank gutes Feedback. Außerdem laden wir zu verschiedenen Veranstaltungen in Berlin ein, halten Vorträge und diskutieren mit Personen aus Ministerien oder dem Bundestag. Dafür haben wir seit kurzem auch ein eigenes Büro in Berlin.
Wie findet man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler die richtigen Ansprechpersonen für ein Thema auf politischer Seite?
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der wissenschaftlichen Politikberatung?