Im Projekt Debate Science! – Europäische Schülerparlamente diskutieren Jugendliche wissenschaftliche Themen mit Unterstützung von Forschenden. Projektleiterin Arwen Cross gibt einen Einblick in das Schülerparlament 2018 zum Thema „Zukunft der Mobilität“.
Wissenschaftliche Debatten im Schülerparlament
„Zu welchem Eingang sollen wir?“, fragt die Kollegin am Telefon. Vom Fenster des Abgeordnetenhauses der Region Haute-Garonne aus sehe ich, wie sich etwa 70 Jugendliche hinter ihr durch die Straßen von Toulouse schlängeln. Schnell drücke ich meiner Ansprechpartnerin von der Region mein Handy in die Hand – sie kennt sich aus und meine Kollegin unten versteht auch die Wegbeschreibung auf Französisch. Heute darf sich die Gruppe nämlich nicht verlaufen auf ihrem Weg in den Plenarsaal. Denn dort tagen wir und haben ein straffes Programm: Die letzten Debatten müssen geführt werden, bevor Carlos Moedas, EU-Kommissar für Forschung und Innovation, am Nachmittag kommt. Er wird die Resolution entgegennehmen, die die Teilnehmenden im Europäischen Schülerparlament erarbeitet haben.
Seit drei Tagen arbeiten die Schülerinnen und Schüler aus zehn Ländern auf diesen Höhepunkt hin. Die Jugendlichen, die am ersten Tag beim Kennenlernspiel noch schüchtern wirkten, treten am dritten Tag ganz anders auf. Heute kann man sich vorstellen, dass sie als junge Politikerinnen und Politiker ihre Plätze im Abgeordnetenhaus einnehmen. Und das tun sie auch, denn im Simulationsspiel debattieren sie als Parlamentarier und Parlamentarierinnen Themen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und stimmen über diese ab. Bei der Abstimmung stehen aber keine politischen Interessen im Vordergrund, denn anders als bei anderen Simulationen sind beim Europäischen Schülerparlament keine Länder vertreten. Das Parlament ist stattdessen nach thematischen Gruppen organisiert, die sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen im politischen Kontext befassen – das Projekt heißt nicht umsonst Debate Science!.
Resolution zur Zukunft der Mobilität
Aber zurück zum Anfang: Die ersten beiden Tage verbringen die Schülerinnen und Schüler mit Diskussionen zum diesjährigen Hauptthema „Zukunft der Mobilität“. Zwei Tage lang erarbeiten sie in Kleingruppen Fragen wie: Welche Daten dürfen autonome Fahrzeuge an Hersteller und Staat übermitteln? Wie sollen Drohnen im städtischen Luftraum reguliert werden? Oder: Welche Infrastruktur wird für elektrische Fahrzeuge gebraucht und wie kann sie finanziert werden?
Unterstützt werden sie dabei von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Diese geben zunächst in Expertenhearings Impulse aus der Forschung und beantworten die Fragen der thematischen Kleingruppen. Im Anschluss sammeln die Schülerinnen und Schüler ihre Ideen zum jeweiligen Themengebiet und formulieren sie aus. Am Ende des zweiten Tages fassen sie ihre Ergebnisse dann in sechs bis acht Thesen zusammen, die mit den Ergebnissen der anderen Gruppen in einem gemeinsamen Resolutionsheft veröffentlicht werden. Und das dauert in guter Politikermanier bis weit nach Feierabend. Gut also, dass eine Druckerei in Toulouse bereit ist, an einem sommerlichen Sonntagabend noch spät zu arbeiten, um die Ideen aus dem Schülerparlament auf Papier zu bringen.
Zu Besuch beim EuroScience Open Forum in Toulouse
In Toulouse sind wir, weil hier das EuroScience Open Forum (ESOF), die größte Wissenschaftskonferenz Europas, stattfindet. Bereits zum dritten Mal führt Wissenschaft im Dialog das Europäische Schülerparlament bei der ESOF durch. Europäische Partnerorganisationen wählen die Teilnehmenden bei lokalen Schülerparlamenten aus und die Ergebnisse des Schülerparlaments werden im ESOF-Programm in einem Slot vorgestellt. Auch am Rahmenprogramm der ESOF unter dem Motto „Science in the City“ nehmen die Schülerinnen und Schüler gerne teil: Der Abend beim Science Slam ist für manche ein Highlight. Ein Wissenschaftler erklärt dabei Physik mit einem Wäscheständer und eine Biologin singt über Krebszellen. Die anschließende Bewertung durch das Publikum bringt die Jugendlichen miteinander ins Gespräch – auch über die Grenzen ihrer Kleingruppen hinaus. Und das ist eine gute Vorbereitung für den letzten Tag im Schülerparlament.
Es wird abgestimmt
Bewertungen vornehmen und Entscheidungen treffen – das müssen die Schülerinnen und Schüler in ihrer Gruppenarbeit und vor allem an diesem dritten Tag im Plenarsaal. Denn jetzt wird mit allen zusammen abgewogen, diskutiert und entschieden, welche Thesen aus dem Resolutionsheft vom Parlament angenommen oder abgelehnt werden. Am Ende stimmen alle über jede These mit Handzeichen ab. So entscheidet sich, welche Ideen eine Mehrheit bekommen. Das Europäische Schülerparlament 2018 stimmt etwa für eine Finanzierung für die Umstellung von Fahrzeugflotten großer Unternehmen auf Elektrofahrzeuge. Abgelehnt wird hingegen eine Überwachung von Drohnen durch eingebaute Chips. Nach der letzten Abstimmung ist es soweit: Die Jugendlichen geben ihre gesammelten Thesen weiter an einen politischen Entscheidungsträger.
EU-Kommissar nimmt die Resolution entgegen
Um 14 Uhr kommt nach einem langen Vormittag im Parlament der Gast aus der „echten“ Politik dazu: EU-Kommisar Carlos Moedas. Krystabel aus Sofia und Alex aus Cork treten nach vorne und erzählen, wie sie sich in den letzten Tagen mit den verschiedenen Aspekten der Zukunft der Mobilität auseinandergesetzt haben. Dabei sei ihnen bewusst geworden, dass neue Technologien sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringen. Darum ist ihnen wichtig, dass neue Technologien zu Verbesserungen beitragen, und dass schlechte Nebenwirkungen vermieden werden. Und sie sprechen sich für ein diverses, demokratisches Europa aus. Dann übergeben sie die Resolution des Schülerparlaments an den Vertreter der EU.
Kommissar Moedas verspricht, dass er die Resolution bei seiner Arbeit für die europäische Kommission mitbedenken werde. Die Organisatoren sind zufrieden: „Die Veranstaltung zeigt, dass die Jugend Europas sich Gedanken um die Zukunft unseres Kontinents macht und sich engagieren möchte“, sagt Markus Weißkopf von Wissenschaft im Dialog in seiner Abschlussrede. Auch, dass sie wollten, dass Entscheidungen auf der Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen werden, sei ein wichtiges Zeichen an die europäische Politik.
Projektsteckbrief
Träger: Debate Science! Europäische Schülerparlamente ist ein Projekt von Wissenschaft im Dialog (WiD)*. Europäische Partnerorganisationen führen lokale Schülerparlamente durch und wählen Schülerinnen und Schüler für das europäische Finale aus.
Budget/Finanzierung: Das Projekt wurde in 2018 mit 100.000 Euro im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung Nr. 814759 aus Mitteln des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union finanziert. Darin enthalten sind die dreitägige Veranstaltung mit Reise- und Übernachtungskosten für rund 70 Schülerinnen und Schüler sowie alle Personalkosten.
Ziele: „Debate Science! Europäische Schülerparlamente“ zielt darauf ab, den Dialog zwischen Jugendlichen und Wissenschaftlern zu fördern. Das parlamentarische Format hebt die Berührungspunkte zwischen Wissenschaft und Gesellschaft mit Bezug auf kontroverse Zukunftsthemen vor. Durch eine sachliche Diskussion bilden sich Teilnehmende ein qualifiziertes Urteil und lernen komplexe Themen zu bewerten.
Zielgruppen: Jugendliche von 16 bis 19 Jahren sind die Protagonisten des Schülerparlaments. Sie setzen sich mit wissenschaftlichen Themen auseinander, erleben Kontakt mit Forschenden und geben ihre Ideen an die Politik weiter. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen an Expertenhearings teil, und lernen die Perspektiven der europäischen Jugend kennen. Politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger nehmen die Resolution entgegen.
Zahlen zur Zielerreichung: 2018 kamen rund 70 Schülerinnen und Schüler aus 10 Ländern beim europäischen Schülerparlament zusammen, um mit Forschenden über die „Zukunft der Mobilität“ zu diskutieren. Das Schülerparlament fand im Rahmen der größten europäischen Wissenschaftskonferenz EuroScience Open Forum in Toulouse statt. EU-Kommissar Carlos Moedas nahm die Resolution entgegen. Das Format Schülerparlament wurde durch das Forschungsprojekt „Wissenschaft debattieren“ erforscht (PDF: Endbericht).
Weitere Informationen: www.student-parliaments.eu
*Wissenschaft im Dialog ist auch einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de