Das Wissenschaftsjahr 2022 rückt Partizipation in den Fokus und sammelt Impulse für die Forschung und Wissenschaftspolitik. Sindy Duong und Anne Overbeck vom Bundesministerium für Bildung und Forschung berichten im Interview über die Neuerungen, Formate und Zielgruppen.
„Wissenschaft und Forschungspolitik profitieren von der Einbindung der Bürger*innen“
Das Wissenschaftsjahr 2022 startet heute. Worum genau geht es?
Sindy Duong: Im Fokus steht diesmal kein einzelnes oder fest umrissenes Thema. Vielmehr setzen wir einen Schritt früher an und machen die Fragen der Menschen für die Wissenschaft zum Dreh- und Angelpunkt des Jahres. Was bewegt die Menschen? Was beunruhigt sie? Was sollte erforscht werden? Wir laden alle ein, ganz ohne thematische Einschränkungen, ihre Fragen zu jedem Bereich der Wissenschaft zu stellen. Wir versuchen, die Leute in ihrem Alltag abzuholen. Denn Forschung betrifft uns alle.
Anne Overbeck: Gespannt sind wir, welche und wie viele Fragen uns erreichen werden. Wir hoffen auch, dass einige ungewöhnliche und überraschende dabei sind. So weiten wir die Perspektive. Im „IdeenLauf – #MeineFragefürdieWissenschaft“, der zentralen Mitmachaktion des Wissenschaftsjahres, können alle Bürger*innen sich zu wichtigen Themen der Wissenschaft und der Forschungs- und Innovationspolitik einbringen und diese mitgestalten.
Das aktuelle Wissenschaftsjahr unterscheidet sich recht deutlich von den Vorjahren. Weshalb wurde der neue Ansatz gewählt?
Overbeck: Wir sehen darin eine einmalige Chance, das große Erfahrungswissen und die Kreativität der Bürger*innen zu nutzen. Bestimmt haben sie viele gute Ideen, die wichtig sind für Wissenschaft und unsere Zukunft. Diese wollen wir hören und einbeziehen. Wir kennen das nur zu gut von uns selbst: Wenn man tief in eine Sache eingearbeitet ist, bewegt man sich oft innerhalb der bestehenden Strukturen. Der frische Blick von außen ist da von unschätzbarem Wert. Wir wollen wissen: Welche Ideen und Impulse haben Sie für zukünftige Forschung und Forschungspolitik?
Neben den Neuerungen im Wissenschaftsjahr 2022 wird es auch unsere Wissenschaftsjahr-Klassiker geben. Wir freuen uns auf die Tour der MS Wissenschaft und spannende Ausgaben des forscher-Magazins, bei dem dieses Jahr eine Kinderredaktion aktiv mitgestalten wird. Auch diese Formate rücken das Fragenstellen und Mitmachen in den Mittelpunkt.
Welche Ziele werden damit konkret verfolgt?
Overbeck: Wir wollen neue Impulse für die Wissenschaft und für die Forschungs- und Innovationspolitik gewinnen. Der IdeenLauf funktioniert so: Von heute an bis zum 15. April 2022 werden Fragen gesammelt. Dann werden sie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gemeinsam mit Bürger*innen diskutiert, zu Themen geclustert und zu einem Ergebnispapier zusammengefasst. Dieses wird im Herbst diesen Jahres an Politik und Forschung übergeben. Bis Frühjahr 2023 prüfen wir die innovativen Ideen der Bürger*innen auf ihre Umsetzbarkeit und stellen das Ergebnis der Öffentlichkeit vor.
Welche Zielgruppen sollen erreicht werden und wie?
Wie kann man mitmachen?
Overbeck: Auf der Website des Wissenschaftsjahres 2022 lassen sich Fragen ganz einfach einreichen. Oder ganz klassisch per Post über eine Fragenkarte, die an ausgewählten Orten ausliegt und bestellt werden kann.
Duong: Mitmachen lässt sich natürlich auch in zahlreichen Veranstaltungen unserer vielen Partner und Förderprojekte, bei denen Fragen gesammelt und mit Wissenschaftler*innen diskutiert werden.
Welche Rolle spielt Partizipation derzeit in der Wissenschaftskommunikation und welche sollte sie zukünftig spielen?
Overbeck: Bürger*innenbeteiligung spielt eine große Rolle. Das ist in der Vergangenheit deutlich mehr geworden. Früher ging es eher darum, Wissen in die Bevölkerung zu transportieren. Hier hat sich viel geändert, denn auch die Wissenschaft und Forschungspolitik profitieren ungemein von der Einbindung der Bürger*innen. Es geht also immer um Austausch in beide Richtungen.
Denn Demokratien leben von der direkten Beteiligung und Mitwirkung. Wissenschaft und Politik sind auf Austausch angewiesen und gewinnen durch die Ideen und Gedanken aus der Bevölkerung. Zugleich fördert der direkte Dialog auf Augenhöhe zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft das gegenseitige Verständnis füreinander, schafft Transparenz und Vertrauen.
Wie erleben Sie die Entwicklung von Citizen Science und Partizipation allgemein in den letzten Jahren?
Overbeck: Egal ob Beteiligung in der Forschung, wie bei Citizen Science, oder Beteiligung in der Forschungspolitik – die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass das Interesse von Bürger*innen sich an Forschung und Forschungspolitik zu beteiligen groß ist und die Bürger*innenbeteiligung unsere Arbeit bereichert. In den Niederlanden und in Flandern wurden in den vergangenen Jahren sehr erfolgreiche Bürger*innenbeteiligungsprozesse aufgesetzt, die uns für den IdeenLauf als Vorbild gedient haben. Irland führt einen solchen Prozess in diesem Jahr durch.
Parallel zum IdeenLauf ist der Bürgerrat Forschung gestartet. Hier erarbeiten Bürger*innen Empfehlungen in Form eines Bürgergutachtens für eine Partizipationsstrategie des BMBF im Bereich Forschung. Auch der Bereich Citizen Science ist den vergangenen Jahren weiter gewachsen. Beteiligung von Bürger*innen wird also immer mehr zu einem selbstverständlichen Teil unserer Arbeit.
Was macht ein erfolgreiches Wissenschaftsjahr aus?
Duong: Wir wollen die Menschen für Wissenschaft begeistern und zeigen, wie vielfältig, alltagsnah und aufregend Forschung sein kann. Dabei wollen wir die Bürger*innen mitnehmen. Forschung soll transparent sein und zum Mitmachen, Mitdiskutieren und Mitgestalten einladen. Wenn möglichst viele Bürger*innen ganz individuelle Aha-Erlebnisse hatten, gesehen haben, wie sie Forschung direkt betrifft und Lust bekommen haben, sich einzubringen. Dann war es ein erfolgreiches Wissenschaftsjahr.
Overbeck: Für dieses Wissenschaftsjahr wird sich der weitere Erfolg erst in den Folgejahren zeigen. Denn dieser liegt in der Verwertung des Inputs der Bürger*innen.
Wie war das Feedback aus der Wissenschaft und auch der Wisskomm-Community auf das eher explorative Thema?
Duong: Überwiegend positiv. Und neugierig. Wir machen es in diesem Jahr eben einmal ganz anders und wir wissen nicht genau, was uns erwartet. Beteiligen sich viele Bürger*innen? Was bekommen wir für Fragen? Welche neuen Ideen und Perspektiven werden eingebracht? Werden sich diese umsetzen lassen? Wir alle sind gespannt.
Wie soll gesichert werden, dass die Fragen, die für die Wissenschaft gesammelt werden auch beantwortet werden?
Es gibt ein Citizen und ein Science Panel. Wie funktioniert das Zusammenspiel und was sind die jeweiligen Aufgaben der Panels?
Overbeck: Das Citizen Panel setzt sich aus 30 zufällig ausgewählten Bürger*innen zusammen, die sich für Forschung interessieren. Sie spielen eine ganz zentrale Rolle, indem sie den gesamten Prozess begleiten und am Ende Mitherausgeber des Ergebnispapiers sind.
Sie arbeiten zusammen mit dem Science Panel, einem Gremium aus anerkannten Wissenschaftler*innen. Sie geben der Forschung durch ihre Expertise auf ganz unterschiedlichen Gebieten ein Gesicht und bringen sich mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung intensiv in den IdeenLauf ein.
Duong: Über die Förderung von Projekten ermöglichen wir ganz unterschiedliche Mitmachaktionen. Die Projekte bewerben sich bei uns mit ihren Ideen. Wenn sie eine Jury überzeugen, finanzieren wir die Umsetzung. Beide Seiten profitieren voneinander. Hochschulen, Vereine und Einrichtungen erhalten die Möglichkeit, ihre Ideen umzusetzen und mit den Menschen in einen Dialog zu treten. Über die Kanäle des Wissenschaftsjahres werden die Veranstaltungen und Maßnahmen in die Breite getragen, indem wir sie durch Kommunikation unterstützen. Das Wissenschaftsjahr selbst profitiert, da mit den Projekten neue Formate und Ideen ausprobiert werden, die vielleicht auch von anderen übernommen werden können.
Gibt es Projekte, auf die sie sich besonders freuen?
Duong: Wir haben tolle Projekte dabei und wir freuen uns auf jedes einzelne. Es ist gerade die Vielfalt an unterschiedlichen Formaten, die für uns das Wissenschaftsjahr ausmachen. Wir haben großartige neue und alte Partner an Bord wie das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, das Goethe-Institut und das Haus der Wissenschaft Braunschweig. Persönlich freue ich mich auf Projekte, die Forschung an eher unerwartete Orte bringen: in Quartierszentren für Senior*innen, in ländliche Räume, zu Kindern und Jugendlichen mit schwächeren Deutschkenntnissen.
Overbeck: Ich kann mich kaum entscheiden. Ein Highlight werden bestimmt die „Science Seeing Tours“ sein: Sienehmen die Bevölkerung in verschiedenen wissenschaftlich geprägten Städten anhand von Fragen und Antworten spielerisch mit auf digitale und analoge Entdeckungstour. Die Touren, beispielsweise in Halle, werden gemeinsam mit Bürger*innen und Wissenschaftler*innen in einem kreativen Prozess entwickelt. Da freuen wir uns schon drauf!