Illustration: Deborah Tangunan

Wissenschaft in Kurzgeschichten erzählt

Eine für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eher ungewöhnliche Art, über ihr Forschungsfeld zu schreiben, sind Kurzgeschichten und Gedichte. Doch genau das macht eine Gruppe von Meeresforschern, die damit den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft fördern wollen. Wie es dazu kam, verraten Dharma Andrea Reyes Macaya und Gema Martínez Méndez im Gespräch.

Wie kamen Sie auf die Idee, Wissenschaftler ihre Forschung in Geschichten erzählen zu lassen?

Dharma Andrea Reyes Macaya: Ich wünsche mir immer, dass die Menschen die mich umgeben, verstehen können, was ich erforsche.

„Érase una vez …“ oder zu Deutsch „Es war einmal …“ ist der Titel des Buches mit wissenschaftlichen Kurzgeschichten, zu dem die Biologin Dharma Andrea Reyes Macaya den Anstoß gab. In den Geschichten geben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen ungewöhnlichen Einblick in ihre Forschungsthemen rund um die Meere und Ozeane, den Klimawandelund den Einfluss des Menschen auf den Ozean. Foto: Volker Diekamp

Aus meiner ersten vagen Idee, Literatur und Forschung zu verbinden, wurde durch die Ausschreibung des Hochschulwettbewerbs zum Wissenschaftsjahr 2016*2017 bald ein konkreter Plan. Zusammen mit einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern grübelten wir, welches Projekt wir einreichen könnten. Wir beschlossen, ein Buch für Kinder über Meeresforschung zu schreiben und zu illustrieren. Wir stammen von verschiedenen Forschungseinrichtungen und wollten in den Geschichten unsere Fachgebiete von der marinen Mikrobiologie und Ökologie über die Paläozeanografie bis hin zum Einfluss des Menschen auf den Ozean darstellen.

Wir hatten Erfolg und kamen in der ersten Bewertungsrunde in die engere Auswahl. Wissenschaft im Dialog (WiD)*, die den Hochschulwettbewerb koordinieren, gaben uns auch die Rückmeldung, unsere Zielgruppe nicht ganz so eng zu fassen. Also weiteten wir unser Konzept aus, um auch Erwachsene, vor allem Eltern und Lehrer, mit unseren Geschichten anzusprechen. Zu unserer großen Freude gingen wir als eines von 15 Gewinnerprojekten hervor. Wir bekamen dadurch 10.000 Euro für die Finanzierung verschiedener Maßnahmen zur Verfügung und ein Jahr Zeit, um diese umzusetzen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des internationalen Teams, die das „Es war einmal …“-Projekt verwirklicht haben, forschen am MARUM, AWIICBM, MPI BremenIPMA, (CR)2 und dem IUP. Foto: Volker Diekamp

Warum habt Ihr Geschichten als Format ausgesucht?

Gema Martínez Méndez ist promovierte Paläozeanografin und Teammitglied des Projektes „Es war einmal … Wissenschaftliche Kurzgeschichten“. Während dieses Buch 2017 entstand, war sie am MARUM, dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, tätig. Jetzt betreut und koordiniert sie von ihrem neuen Arbeitsplatz am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven aus den zweiten Band. Foto: Volker Diekamp

Gema Martínez Méndez: Neben Dharmas Ursprungsidee, Literatur und Wissenschaft zu verbinden, hatte es auch ganz praktische Gründe. Es ist einfacher umzusetzen und wir hatten das Ziel, am Ende ein eBook veröffentlichen zu können. Sobald eine Geschichte geschrieben und illustriert war, haben wir sie im Blog unseres Gewinnerprojekts hochgeladen. Dadurch hatten unsere Geldgeber eine Art Zwischenbericht über den Verlauf unserer Arbeit.

Bei diesen sogenannten Sneak-Peaks konnten wir die Autoren und ihr Forschungsfeld mit ein paar Zeilen vorstellen. Ein Teil der Geschichte lasen wir zudem in unserer Muttersprache und auf Englisch oder Deutsch vor und haben es als Audiodatei mit hochgeladen.

Wie ging es mit der Umsetzung des Projektes weiter?

Reyes Macaya: Anfangs waren wir eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern. Wir präsentierten das Projekt am eigenen Institut und bei unserem Doktorandentag. So vergrößerte sich das Team laufend und letztendlich waren 29 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am ersten Buch beteiligt. Anfangs war es aufwendig alle Mitglieder zu organisieren. Wer schreibt was, wer stellt die Internetseite fertig, wer übernimmt die Interaktion mit WiD?

Kritisch war auch die Endphase im August 2017. Da standen die Übersetzungen an, das Korrekturlesen und die Zusammenstellung von Bild und Text. Parallel hatten wir sehr viele Kongresse und dadurch noch weniger Zeit.

In der Geschichte von Gema Martínez Méndez geht es um den Anstieg des Meeresspiegels. Die Gefahr der Überflutung die als Folge droht, erleben ihre Hauptfiguren – die Bremer Stadtmusikanten – durch eine kleine Zeitreise. Illustration: Peter Martens

Martínez Méndez: Ein Teil der anfallenden Aufgaben konnten wir im Rahmen unserer Arbeitszeit als Wissenschaftler unterbringen. Das Meiste wurde aber in der Freizeit zwischen Forschung, Lehre, Kongressen und Privatleben erledig. Ich fand es damals relativ einfach zu schreiben, weil ich zu diesem Zeitpunkt nicht voll gearbeitet habe. Jetzt ist es schwieriger. Es muss aber auch nicht jeder schreiben. Manche helfen und organisieren lieber und das ist gut so. Vor allem soll es uns allen Spaß machen. Das gesamte Projekt ist ja eine ehrenamtliche Aufgabe, bei der keiner von uns Geld verdient. Das Preisgeld haben wir vor allem für die Illustration der Geschichten, für professionelle Übersetzungen oder Werbung verwendet.

War es schwierig, schreibwillige Wissenschaftler zu finden?

Reyes Macaya: Die Begeisterung war groß und anfangs wollten alle Geschichten schreiben. Bis auf eine von uns hatten wir alle aber keine Erfahrung im Schreiben. Diese Kollegin hat vor ihrem Physikstudium Literatur studiert. Unserer Auffassung nach ist ihre Geschichte auch die Schönste und die, die sich am besten liest.

Martínez Méndez: Wir geben einander immer Rückmeldung zu den Geschichten. Das hilft sehr. Wir versuchen uns aber auch die nötigen Schreibwerkzeuge durch Weiterbildungen zu erarbeiten. Ich habe daher einen Workshop zum Geschichtenschreiben organisiert. Weitere folgten, wie einer zum Thema „Wie schreibt man für Kinder, wie für Erwachsene“.

Wie kommt es, dass das Buch gleich in mehreren Sprachen zu haben ist?

Die Wissenschaftlichen Kurzgeschichten gibt es bereits in Spanisch, Englisch und Deutsch.

Reyes MacayaWir wollten unbedingt die Internationalität unseres Teams nutzen. Daher schreibt jeder in der eigenen Muttersprache, also beispielsweise in Spanisch. Dann lesen andere, die ebenfalls Spanisch als Muttersprache haben, die Geschichte, korrigieren und geben Feedback. Erst dann wird sie ins Englische und schließlich auch ins Deutsche übersetzt. Durch die Mehrsprachigkeit können wir weltweit Menschen mit unseren Wissenschaftsgeschichten erreichen. Momentan gibt es das Buch bereits auf Spanisch, Englisch und Deutsch. Die Chinesische, Philippinische und Portugiesische Übersetzung ist praktisch fertig und muss nur noch Korrekturgelesen werden. Italienisch, Russisch und Hebräisch sind in Bearbeitung.

Wie war die Reaktion auf das Projekt?

Martínez Méndez: Sehr positive Rückmeldung haben wir am Endes des Jahres von der Jury des Hochschulwettbewerbes bekommen. Wir wurden als eines von drei Projekten ausgezeichnet, die ihre Idee am besten umgesetzt haben!

Reyes Macaya: Ganz wichtig ist uns zu erfahren, ob und bei wem die Texte ankommen. Anfangs war es ein schöner romantischer Gedanke, Geschichten zu schreiben. Wir haben alle die Texte gelesen und uns darüber ausgetauscht. Die Frage bleibt aber, ob nur wir die Texte spannend finden, weil wir ja Wissenschaftler sind und uns das Thema interessiert. Ist das bei anderen Lesern denn auch so? Das wollen wir herausfinden. Daher planen wir eine Evaluation des Projektes, für die wir gerade Gelder beantragen. Es geht zum einen um die Zielgruppe Eltern, von denen wir wissen wollen, wie sie das Buch finden und ob sie die Geschichten weiterempfehlen oder vorlesen würden. Zum anderen wollen wir von Pädagogen erfahren, wie sich das Buch im Unterricht einsetzen lässt. Wir wussten bisher auch nicht, welche Altersgruppe wir tatsächlich erreichen würden. Erste Rückmeldungen zeigen uns, dass die Geschichten für Kinder ab zehn Jahren geeignet sind.

Wie soll es weiter gehen?

Martínez Méndez: Dem ersten E-Book soll ein weiteres folgen, so viel steht fest. Für das zweite Buch sind wir inzwischen 40 eingetragene Mitglieder, von denen aber natürlich nicht alle superaktiv sind. Wir haben gelernt, dass wir uns besser organisieren müssen. Wir haben jetzt Arbeitsgruppen gebildet, deren Koordinatoren sich wöchentlich besprechen. So kümmern sich die einen um Social Media oder Marketing, andere schreiben und übersetzen, und eine Gruppe beantragt Gelder. Momentan haben wir noch keine Finanzierung – aber viele Ideen.

 

* Wissenschaft im Dialog ist auch einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de