20 Jahre nach dem PUSH-Memorandum sind einige Weichen gestellt, aber viele Baustellen in der Wissenschaftskommunikation lange nicht abgeschlossen. Julia Wandt, Andreas Archut, Josef Zens und Elisabeth Hoffmann schauen aus ihren ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zurück und auf die Zukunft.
„Wissenschaft auch in Kontroversen sprechfähig machen“
Mehr Dialog und gute Infrastruktur für die Kommunikation
Es ist ein wenig in Mode gekommen, sich über die Unzulänglichkeiten von PUSH und seine tatsächlich oder vermeintlich nicht erreichten Ziele zu mokieren. Kritik ist notwendig – insbesondere, wenn es darum geht, Dinge konstruktiv weiterzuentwickeln. Dabei hilft aber auch festzustellen, was funktioniert hat.
Jemand, der das PUSH-Memorandum von 1999 hoch schätzt, ohne es zu überschätzen, ist Julia Wandt: „Vieles von dem, was die Präsidenten und Vorsitzenden der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen und -verbände im Mai 1999 in ihrem Papier festgehalten haben, war damals schon Thema an den Universitäten und wurde dort bearbeitet. PUSH war keine Revolution“, sagt die Leiterin der Kommunikationsabteilung der Universität Konstanz und zugleich auch Vorsitzende des Bundesverbandes Hochschulkommunikation.
„Der Wert des Papiers besteht vor allem darin, dass viele Notwendigkeiten, die vor 20 Jahren beim Blick auf die Wissenschaftskommunikation offensichtlich wurden, in Worte gefasst und von wichtigen Personen feierlich unterschrieben wurden“, so Wandt. Mit dem Memorandum hatten die Kommunikationsverantwortlichen in Universitäten und Forschungseinrichtungen eine Art amtlichen Beleg in der Hand: Mit ihm wurden sie von ihren Chefs nicht mehr so leicht abgewimmelt, wenn sie Forderungen nach mehr Mitteln für ihre Abteilungen, nach neuen Formaten oder nach mehr Engagement der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Sachen Kommunikation stellten.
Ähnlich sieht das der Pressesprecher der Universität Bonn, Andreas Archut. Er bezweifelt, dass sich alle Forderungen aus dem Memorandum erfüllen lassen, ja, dass das überhaupt sinnvoll ist. Beispiel: Ein Anreizsystem mit Belohnungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die „sich aktiv im Dialog mit der Öffentlichkeit engagieren“, wie es im Memorandum heißt.
Die Sprache der Wissenschaft: Begutachtungen, Förderzusagen, Förderabsagen
Initiativen in diese Richtung hat es gegeben. Beispielsweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die seit dem Jahr 2000 in Verbundvorhaben Gelder für Wissenschaftskommunikation bereitstellt. „Begutachtungen, Förderzusagen oder Förderabsagen – das ist die Sprache, die Forschende verstehen. Und da sind sie dann auch bereit, aktiv zu werden und sich bewerten zu lassen“, sagt Archut.
Trotzdem arbeitet er lieber mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen, die Kommunikation nicht unter Förderungs- oder Karriereaspekten betrachten: „Wirkungsvoll über Wissenschaft zu sprechen, verlangt, authentisch zu sein. Wer nicht begeistert von seiner Arbeit berichten kann, der kommt beim Publikum nicht an.“ Archut schätzt sich glücklich, an seiner Bonner Forschungsuni viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu finden, die so ticken: „Das ist eine Frage der Haltung, und die offene, kommunikationsfreudige Haltung treffe ich jetzt deutlich häufiger an als vor 20 Jahren.“
Diesen Pragmatismus des Universitätspressesprechers Archut – dieser ist für 540 Professorinnen und Professoren und etwa 6.000 Mitarbeitende zuständig – kann Josef Zens gut verstehen. Zens leitet die Kommunikation am Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und ist Vorsitzender des Arbeitskreises Presse und Kommunikation in der Helmholtz-Gemeinschaft. Er hält an einem Anreizsystem à la PUSH fest, weil er wahrhaftige, authentische und die Realität abbildende Wissenschaftskommunikation für essenziell hält: „Wenn Motivation und Begabung die entscheidenden Kriterien dafür sind, welche Forschenden von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, entsteht ein falsches Bild. Forscherinnen erscheinen dann immer super motiviert, Forscher sind immer total begeistert.“
Die Mühen der Ebene sichtbar machen
Das, so Zens, stimme aber nur bedingt und blende die Mühen der Ebene aus: „Wissenschaft ist auch Klein-Klein. Sie ist mühsam, von Rückschlägen und Enttäuschungen genauso wie von Erfolgen geprägt. Die Nerds und die Arbeitsbienen gibt es häufiger als die Allround-Stars für die öffentliche Bühne.“
Damit ein vollständiges Bild von der Wissenschaft entstehe und ihre Abläufe verständlich würden, sei es wichtig, möglichst viele Stimmen aus der Wissenschaft hörbar zu machen. „Ein gut gemachtes Anreizsystem kann das befördern“, sagt Zens: „Öffentliche Kommunikation ist dann ganz formal ein Pluspunkt für die Karriere. Das fehlt heute genauso wie vor 20 Jahren.“
Und dann gibt es noch ein Thema, das für die Kommunikatorinnen und Kommunikatoren aus Universitäten und Forschungseinrichtungen heute brandaktuell ist – das aber im PUSH-Memorandum mit keinem Wort erwähnt wird: Konflikt- und Krisenkommunikation. Elisabeth Hoffmann leitet die Kommunikation der Technischen Universität Braunschweig seit mehr als 20 Jahren. Sie hat Überblick darüber, wie sich das Berufsbild der Hochschulsprecherinnen und -sprecher gewandelt hat. „Zur Zeit des PUSH-Memorandums war Dialog noch eine relativ gemütliche Sache“, sagt sie. „Es gab von der Universität organisierte Podiumsdiskussionen zu kontroversen Themen. Hin und wieder meldeten sich einzelne Kritiker zu Wort, denen man sich dann in Ruhe widmen konnte.“
Wir brauchen Ohren, die Emotionen heraushören
Das ist vorbei. Mit Facebook, Twitter und Instagram haben Universitäten ständig Tag der offenen Tür. Tierversuche, Dual-use-Forschung, autonomes Fahren, der falsche Politiker als Gastredner. Alles hat das Zeug zum Aufreger. „Im digitalen Zeitalter lassen sich für bestimmte Themen blitzschnell größere Öffentlichkeiten organisieren. Das gilt besonders für Standpunkte, die zugespitzt sind oder die polarisieren“, sagt Hoffmann. Die Welle schwappt im Netz einmal hin und einmal zurück, und schon sind aus fünf kritischen Geistern 50.000 oder eine Million Empörte geworden.
Die Universitäten und Forschungseinrichtungen seien auf diese neue Situation noch nicht gut genug eingestellt, bemängelt die Braunschweiger Hochschulsprecherin: „Wenn Debatten über wissenschaftliche Themen eskalieren, sind wir in der Regel viel zu langsam, um wirksam handeln zu können. Mit Richtigstellungen im Nachhinein erreichen wir oft nur noch einen Bruchteil der Aufmerksamkeit.“
Der Beruf der Forschungskommunikatorin bzw. des Forschungskommunikators wird sich weiter schnell wandeln, prophezeit Hoffmann, und das müsse 20 Jahre nach PUSH stärkere Aufmerksamkeit finden: „Eine immer wichtigere strategische Aufgabe wird es sein, Wissenschaft auch in Kontroversen sprechfähig zu machen.“ Ein möglicher Weg sei es, mehrere Expertinnen und Experten zu einem Thema an einen Tisch zu holen, wenn Konfliktthemen sich zuzuspitzen drohen, so Hoffmann: „Wir müssen schneller als bisher in den Dialog kommen, gut begründete Positionen erarbeiten und diese auch in den sozialen Medien angemessen darstellen.“ Wenn einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu umstrittenen Themen Stellung beziehen, machen sie sich schnell angreifbar. „Gerade dann ist es besonders wichtig, dass wir sie mit unserem Fachwissen unterstützen“, sagt Hoffmann.
Nicht zuletzt sei es auch Aufgabe der Leitungen von Forschungseinrichtungen und Universitäten, sich bei ungerechtfertigten oder unsachlichen Angriffen deutlich sichtbar vor ihre Leute zu stellen: „Es ist wichtig, dass der Mut zur Kommunikation, der in der Wissenschaft in den vergangenen 20 Jahren entstanden ist, auch dann erhalten bleibt, wenn die Kommunikation unbequemer und unberechenbarer wird.“
Weitere Beiträge zum PUSH-Jubiläum:
- Interview mit Johannes Vogel auf Wissenschaftskommunikation.de
- 20 Jahre PUSH im Rückblick von Hannes Schlender auf Wissenschaftskommunikation.de
- Gastkommentar von Carsten Könneker auf der Webseite der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
- Kommentar von Jens Rehländer in der FAZ.
- Interview mit Joachim Treusch im Blog „Wissenschaft kommuniziert“ von Rainer Korbmann.
- Beitrag von Markus Weißkopf im Blog von Wissenschaft im Dialog.
- Kommentar von Dr. Volker Meyer-Guckel im Blog „Wissenschaft kommuniziert“ von Rainer Korbmann.
Hannes Schlender berichtet in unserem Auftrag zu diesem Thema.