Welche Themen werden auf dem Subreddit r/science diskutiert? Was führt zu Kontroversen? Die Kommunikationswissenschaftlerin Laura Heintz gibt Einblick in eine Studie, bei der erste Erkenntnisse zur Wissenschaftskommunikation auf Reddit gewonnen wurden.
„Wir wollten wissen: Wie wird auf Reddit über Wissenschaft kommuniziert?“
Zusammen mit Ihren Kolleg*innen Jonas Kaiser und Birte Fähnrich haben Sie Diskursdynamiken in der Wissenschaftskommunikation auf Reddit untersucht. Warum haben Sie sich für diese Plattform entschieden?
Die Forschung zu Wissenschaftskommunikation interessiert sich zwar immer mehr für partizipationsorientierte Plattformen, aber speziell zu Reddit gibt es bisher wenig. Das hat uns gewundert, weil es ein Kanal mit mehr als 300 Millionen aktiven Nutzer*innen ist. Dieser unterteilt sich in Segmente zu verschiedenen Themen, sogenannten Subreddits, in denen eigene Regeln und Dynamiken gelten. Der Wissenschafts-Subreddit r/science ist mit 29 Millionen Nutzer*innen einer der größten. Die bisherige Forschung hat vor allem einzelne Formate untersucht, beispielsweise „Ask me anything“-Sessions, bei denen Nutzer*innen Fragen an Wissenschaftler*innen stellen können. Aber es gab bisher wenig zur globalen Diskussionsagenda der Plattform. Das war für uns der Ausgangspunkt für eine explorative Studie zu allgemeinen Trends hinsichtlich der Themen, Quellen und der Reaktionen der Community. Wir wollten wissen: Wie wird auf Reddit über Wissenschaft kommuniziert?
Um einen Überblick zu bekommen, haben Sie sich einen relativ langen Zeitraum angeschaut – von 2007 bis 2018. Welche Posts haben Sie dabei untersucht?
Erst einmal haben wir uns alle veröffentlichten Posts dieses Zeitraums auf r/science angeguckt, das waren etwa 694.000 Posts. Zusätzlich haben wir die Themen, die Anzahl der Kommentare und die Quellen, auf die sich die Post beziehen, erfasst. Eine Besonderheit von Reddit ist das Upvote- und Downvote-System, mit dem die Nutzer*innen Ihre Zustimmung und Ablehnung zu einzelnen Posts zum Ausdruck bringen können. Das gibt es auf anderen Plattformen so nicht. Je mehr Upvotes ein Post hat, desto prominenter erscheint er oben auf der Seite. Uns hat auch interessiert, wie kontrovers die Posts sind. Um das zu bewerten, haben wir uns das Verhältnis von Up- und Downvotes angeschaut.
Warum hat es Sie interessiert, wie kontrovers Posts diskutiert werden?
Was zeigen Ihre Ergebnisse: Welche Quellen spielen eine Rolle – und wie werden sie diskutiert?
Die verlinkten Quellen sind sehr vielfältig. Es ist aber wichtig zu sagen, dass sich diese bei r/science auf wissenschaftliche Inhalte beziehen müssen. Es ist eine Besonderheit von Reddit, dass recht streng moderiert wird. Zitierte Studien müssen beispielsweise ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben und dürfen nicht älter als ein halbes Jahr sein. Dementsprechend müssen alle Posts eine Verlinkung zur Originalstudie enthalten oder alternativ diese in einem Kommentar erwähnen.
Die meisten Inhalte, die in unserer Stichprobe gepostet wurden, stammen von Massenmedien. Gleichzeitig gibt es aber auch viele sogenannte ,Self-Posts’, also Posts, die von Reddit stammen oder Reddit-Bezug haben nicht auf externe Quellen verweisen. Außerdem werden viele Social-Media-Quellen verlinkt. Vor allem Self-Posts und auch Links zu offiziellen Webseiten, wie beispielsweise nasa.gov bekommen relativ viel Resonanz, werden also stark kommentiert und erzeugen ein höheres Echo als Inhalte von Bildungseinrichtungen oder wissenschaftlichen Journals.
Wenn man sich die Kontroversität der Quellen angeguckt, stehen Self-Posts an erster Stelle, danach folgen Social-Media-Quellen. Es war zu erwarten, dass diese kontroverser diskutiert werden als Links zu Massenmedien. Insgesamt aber müssen wir sagen, dass die Unterschiede in der Kontroversität gar nicht so groß sind. Viele Inhalte werden insgesamt eher als positiv oder neutral bewertet.
Wie sieht es bei den Themen aus? Worüber wird auf r/science gesprochen?
Warum endet Ihr Untersuchungszeitraum 2018? Hat das mit der Coronapandemie zu tun?
Wie hatten zu Beginn der Pandemie die Daten schon erhoben und ausgewertet. Wir haben dann überlegt, ob wir den Zeitraum noch mal verlängern. Durch Corona hätte sich noch einmal einiges an den Themen und deren Kontroversität geändert – besonders was den ganzen Komplex an gesundheitsbezogenen Themen und die gesellschaftlichen Aspekte der Coronapandemie betrifft, daher haben wir uns gegen eine Verlängerung entscheiden.
Wie ändert sich die Nutzeraktivität im Verlauf der Zeit – und woran liegt das?
Wir haben gesehen, dass es bis 2014 einen Anstieg gab, was damit zusammenhängen könnte, dass 2011 ein großer, allgemeiner Subreddit geschlossen wurde und sich die Aktivitäten eher auf kleinere, spezifischere Subreddits verteilt hat. Das ist aber nur eine Vermutung, aus unseren Daten können wir das nicht ableiten. Danach ist die Aktivität gesunken, möglicherweise, weil die Richtlinien für Posts auf r/science verschärft wurden. Außerdem wurde 2015 eine bekannte Mitarbeiterin, die Moderator*innen betreute, entlassen, was einen eintägigen Moderatorenstreik und eine Diskussion zu Arbeitsbedingungen der freiwilligen Moderator*innen zur Folge hatte. Bei diesem „reddit blackout“ waren öffentlich nicht mehr sichtbar. Interessant wäre aktuell auch der Protest Mitte Juni dieses Jahres von Moderator*innen unter anderem auch bei r/science, der sich gegen geänderte Nutzungsbedingungen von bisher kostenlosen Drittanbieter-APIs zur Nutzung von Reddit ausspricht. Dennoch wurden vorerst viele Drittanbieter-Apps wie „Apollo“ eingestellt, was sich auch auf die Nutzerzahlen auswirken dürfte.
Gab es Ergebnisse, die Sie überrascht haben?
Bei der Klimaberichterstattung und Forschung zu Gentechnik hätte ich mit mehr Kommentaren gerechnet. Ich dachte auch, dass diese Themen kontroverser diskutiert werden. Die Frage ist, inwieweit wir auf Reddit eine Art eigene Themenagenda beobachten können, die sich nicht unbedingt nach der Medienberichterstattung richten muss. Auf so einer Plattform können durchaus eigene Dynamiken entstehen. Aber das war in diesen Themenfeldern nicht der Fall.
Das berührt die Frage der Demokratisierung von Wissenschaftskommunikation. Kann eine Social-Media-Plattform wie Reddit tatsächlich dazu beitragen, dass ein diverseres Publikum über wissenschaftliche Themen diskutiert?
Ich würde sagen, das ist schon so in dem Sinne, dass sich prinzipiell jede*r an der Diskussion beteiligen kann, also auch Lai*innen. Wir sehen bei den Posts eine recht hohe Reichweite und eine Nutzung durch verschiedene Akteursgruppen.
Es stellt sich natürlich die Frage, welche Chancen und Risiken sich durch die Partizipationsorientierung einer solchen Online-Plattform für die Wissenschaftskommunikation ergeben. Für weitere Forschung wäre deshalb interessant, sich die verwendeten Quellen noch genauer anzuschauen: Sind das eigentlich qualitativ hochwertige und glaubwürdige Inhalte? Entsprechen sie journalistischen Qualitätskritierien? Und wie wirkt sich die Qualität darauf aus, wie Nutzer*innen auf Posts reagieren?
Planen Sie, weiter zum Thema zu forschen?
Wir planen nichts Konkretes, aber ich könnte mir vorstellen, mir die Kommentarspalten noch mal genauer anzugucken. Gerne würde ich untersuchen, wie in den Kommentaren konkret auf die Posts Bezug genommen wird. Gerade bei Forschung zu Youtube und Twitter geht es viel um das Thema Inzivilität, also die aggressive Überschreitung von Grenzen.
Bei r/science haben wir gesehen, dass nicht viele negative Reaktionen zu finden waren. Wir gehen davon aus, dass aufgrund der Moderation weniger inzivile Kommentare zu finden sind, aber das müsste man noch mal genau untersuchen. Es wäre auch interessant zu schauen, ob auf r/science – zumindest auf bestimmte Themen bezogen – polarisierende Meinungen vorliegen.