Wie kann aktuelle Forschung zum Thema Permafrost unterhaltsam vermittelt und besonders für Kinder und Jugendliche greifbar gemacht werden? Ein Team von Forschenden und Künstlerinnen hat dazu einen Wissenschaftscomic entworfen.
„Wir wollten etwas Neues ausprobieren“
Herr Fritz, Sie haben im Mai den Potsdamer Preis für Wissenschaftskommunikation für den Comic „Es taut! Frozen-Ground Cartoons“ erhalten. Was verbirgt sich hinter diesem Projekt?
Es ist ein Heft mit verschiedenen Cartoons zum Thema Permafrost, das in einer Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Forschenden entstanden ist. Ich bin einer der Autoren und für die deutsche Version verantwortlich. Mit diesem Ansatz wollten wir Kinder und Jugendliche für das Thema Permafrost begeistern und sensibilisieren. Viele kennen den Begriff Permafrost, wissen aber nicht, was dahintersteht und warum es relevant ist. Das wollten wir ändern.
Warum ist Permafrost so relevant, dass Kinder darüber Bescheid wissen sollten?
Ein Viertel der Landmasse, die auf der Nordhalbkugel liegt, ist von Permafrost geprägt. Das sind immerhin 20 Millionen Quadratkilometer, auf denen Menschen leben, arbeiten und wo wirtschaftliche Aktivitäten stattfinden. Global gesehen, gibt es einen zweiten wichtigen Aspekt: Im Permafrost steckt unheimlich viel Kohlenstoff. Man kann sich Permafrost als gefrorenen Boden vorstellen, in dem nicht zersetzte Tier- und Pflanzenreste seit Hunderttausenden von Jahren eingefroren sind. Mit der starken Erwärmung der Arktis fängt der Boden an zu tauen. Mit ihm taut auch der Kohlenstoff, der zu Treibhausgas werden kann, wenn Mikroorganismen aufwachen und ihn zersetzen. Damit wird der Permafrost relevant für das globale Klima. Deswegen wollen wir die Menschen für das Thema sensibilisieren.
Wie kamen Sie auf die Idee, einen Comic zu gestalten, und wer hat dabei mitgewirkt?
Wir wollten unsere Forschung in die Gesellschaft tragen und etwas Neues ausprobieren. Wir, das ist eine Gruppe junger Forschender aus 13 Ländern, mit denen ich im Vorfeld bereits wissenschaftlich eng zusammengearbeitet habe. Wir hatten die Idee, Kinder und Jugendliche mit einem Cartoon für das Thema Permafrost zu begeistern. Die Comics sollten in Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern entstehen, um das Ganze auch ansprechend zu gestalten. Diese Idee stellten wir 2016 bei einer Ausschreibung der Internationalen Permafrostgesellschaft (IPA) als Projektantrag vor und bekamen den Zuschlag. Dadurch hatten wir 5000 Euro für eine zweijährige Laufzeit und konnten loslegen.
Wie haben Sie die beiden Künstlerinnen für Ihr Projekt gewinnen können?
Als erstes starteten wir einen internationalen Aufruf über diverse soziale Netzwerke und mit Hilfe von Mund-zu-Mund-Propaganda. Es haben sich 49 Künstlerinnen und Künstler aus 16 verschiedenen Ländern beworben! Unsere Forschendengruppe mit Mitgliedern aus Kanada, Deutschland, Norwegen, Portugal, Schweden und den USA setzte sich virtuell an einen Tisch und begutachtete die Einreichungen.
Zehn der Einreichungen wurden ausgesucht und die jeweiligen Künstlerinnen und Künstler gebeten, einen einseitigen Comic zum Thema Permafrost zu zeichnen. Dafür stellten wir ihnen Texte, Bilder und Material zur Verfügung. Aus diesen Einreichungen wollten wir ursprünglich einen Favoriten aussuchen. Da wir uns aber nicht entscheiden konnten, haben wir letztendlich zwei Künstlerinnen, eine aus Kanada, die andere aus Finnland, ausgewählt. Mit Ihnen sollte ein 10- bis 20-seitiges Comicheft entstehen.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte hat das Heft?
Wir wollten zunächst zeigen, was Permafrost in der Arktis überhaupt ist und wie er aussieht. Außerdem, wie die wissenschaftlichen Arbeiten vor Ort im Gelände vonstatten gehen. Es sollte auch gezeigt werden, wie Menschen, die auf Permafrost leben, damit umgehen. Daher haben wir den Künstlerinnen Fotos, wissenschaftliche Abbildungen, Publikationen und allgemeinverständliche Zusammenfassungen unserer Arbeiten weitergeleitet.
Wir haben ihnen aber freigestellt, welche der Inhalte sie darstellen wollen, und auch gestalterisch nicht eingegriffen. Daher hat die finnische Künstlerin Heta Nääs eine 10-seitige Geschichte produziert, die zeigt, wie Forschende und die lokale Bevölkerung mit dem Permafrost umgehen und wie die Feldstudien in der Realität funktionieren. Ihre kanadische Kollegin Noémie Ross greift mit fünf kürzeren Comics verschiedene Themen auf. Hier geht es darum, wie unsere Feldforschung abläuft, wie sich das Klima verändert und welche Auswirkungen das beispielsweise für Rentiere hat.
Wie machen Sie auf ihr Projekt aufmerksam und wen erreichen Sie?
Unsere Seite Frozengroundcartoon.com wurde zwischen Anfang 2017 und März 2019 immerhin 13.000 Mal aufgerufen, und das aus 91 Ländern. Viele gedruckte Comics wurden verteilt, wir haben aber keine konkreten Zahlen dazu. Wir bekommen oft Anfragen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt, die beispielsweise einen Vortrag an einer Schule halten und dort auch unsere Comics verteilen wollen. Auch die Lange Nacht der Wissenschaften hier in Potsdam ist ein Forum, bei dem wir den Leuten unsere Comics an die Hand geben und im Gespräch noch mehr Inhalt vermitteln können. Bei dieser Veranstaltung kommen immer Tausende interessierte Besucher an die Universitäten und Institutionen.
Was sagen Ihre Kollegen, wenn Sie vom Permafrost-Cartoon hören?
Die Reaktionen sind durchweg positiv, da es ein Format ist, das man in der Wissenschaft selten sieht. Man kann den Comic digital ansehen, aber auch in der gedruckten Variante auf Englisch, Deutsch, Französisch und Schwedisch bekommen. Wenige kritische Stimmen bemängeln, dass die Informationen nicht 100-prozentig wissenschaftlich korrekt seien. Wir stimmen zu, dass die Inhalte zum Teil stark reduziert sind und nicht jeder Aspekt beleuchtet werden kann. Das liegt an dem Format eines Comics und auch daran, dass er für Kinder und Jugendliche gedacht ist. Falsch sind die Informationen aber nicht. Dafür haben zu viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darauf geachtet, dass es wissenschaftlich korrekt ist.
Wie finanzieren Sie das Projekt?
Angefangen hat es mit den 5000 Euro der Permafrostgemeinschaft, die hauptsächlich für das Honorar der Künstlerinnen genutzt wurden. Wir haben weitere nationale und internationale Sponsoren angesprochen, die unsere Idee unterstützten. Zu denen gehört auch mein Arbeitgeber, das Alfred-Wegener-Institut. Mittlerweile sind seit 2016 somit 22.000 Euro zusammengekommen. Dieses Geld brauchen wir für den Druck der Hefte, für Flyer, die Homepage und weitere Honorare an die Künstlerinnen für die Übersetzungen. Was die beteiligten Forschenden an Zeit und Ideen beitragen, wird nicht vergütet. Das machen wir weitestgehend neben unserer wissenschaftlichen Forschung. Ich kann einen Teil davon auch in meiner Arbeitszeit erledigen, da mein Arbeitgeber es befürwortet. Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind ja angehalten, ihre eigene Forschung in die Welt zu tragen – sei es mit Publikationen, universitärer Lehre oder anderen an die Öffentlichkeit gewandten Aktivitäten. Es freut mich sehr, dass solche Bemühungen mit einem Preis wie dem Potsdamer Preis für Wissenschaftskommunikation honoriert werden. Dabei geht es nicht um das Preisgeld, sondern um die Anerkennung und Wertschätzung unserer Arbeit.
Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus?
Wir wollen den Comic in weitere Sprachen übersetzen. Neben Deutsch und Englisch haben wir bereits Versionen in Französisch und Schwedisch. Momentan arbeiten wir an Russisch, an Grönländisch und Dänisch. Wir würden es auch gerne in indigenen Sprachen wie Sami, Komi oder Inuktitut publizieren, da es die Sprachen der Menschen sind, die im Permafrostgebiet leben. Das können wir aber selber nicht leisten und wissen nicht, wie wir nach erfolgter Übersetzung prüfen sollen, ob es nach wie vor wissenschaftlich korrekt ist.
Aktuell arbeiten wir gerade mit Geldern im Rahmen eines EU-Projektes an 3D-Augmented-Reality-Elementen, die sich aber noch in der Entwicklungsphase befinden. Wir entwickeln auch ein digitales Brettspiel, das ähnlich wie Trivial Pursuit funktioniert. Die Fragen kommen dann aus der Biologie, Geochemie, Geografie oder Geschichte der Arktis, natürlich meist mit Bezug zu Permafrost. Wir wollen uns damit an Jugendliche auf dem Niveau von weiterführenden Schulen richten und das Spiel als App auf dem Smartphone frei verfügbar anbieten.