Foto: Tim Mossholder (modifiziert)

„Wir wollen nicht mehr reagieren, wir wollen agieren“

Die Kommunikation über Gender Studies ist oft komplex und in den Medien wird die Disziplin mitunter stark angegriffen. Miriam Stehling erarbeitet Strategien für eine offene Diskussionskultur aus der Disziplin heraus und in der Öffentlichkeit. Im Interview erzählt sie, wo diese Strategien und der Aktionstag #4genderstudies dabei ansetzen.

Frau Stehling, was leistet die Geschlechterforschung, womit beschäftigt sie sich?

Die Geschlechterforschung ist ein inter- und transdiziplinäres Feld und lässt sich nicht einem konkreten Fach zuordnen. Es handelt sich um ein fächerübergreifendes Wissenschaftsprojekt, welches Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft erforscht. Ein klassisches Beispiel sind Arbeitsverhältnisse – Stichwort: Gender Pay Gap. Die Gender Studies versuchen, theoretisch und empirisch zu erklären, wieso das Geschlecht bei der Bezahlung einer Tätigkeit eine Rolle spielt. Es geht also auch um Geschlechtergerechtigkeit, um die Auswirkungen von Geschlecht in der Gesellschaft – im Positiven wie im Negativen. Ganz generell geht es darum, Geschlecht nicht nur als etwas Biologisches zu begreifen, sondern als etwas, das uns in unserem täglichen Handeln beeinflusst. Ein Geschlecht ist immer auch sozial-konstruktivistisch zu betrachten: Jeden Tag führen wir Geschlecht auf. Geschlecht ist also ständig präsent und wird tagtäglich aufgeführt, also „getan“ (doing gender).1

Wieso entbrennen um die Gender Studies so häufig kontroverse Debatten?

Miriam Stehling ist im Bereich Online Marketing tätig und gibt Workshops zu Themen der Digitalisierung und Gleichstellung, Digital Leadership sowie Öffentlichkeitsarbeit in öffentlichen Institutionen. Zuvor war die promovierte Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Lüneburg,  Bremen und Tübingen tätig und Sprecherin der Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Für den 2. Aktionstag #4genderstudies hielt sie zuletzt im November 2018 den vorbereitenden Workshop. Foto: Miriam Stehling

Vom Thema Geschlecht fühlt sich jeder Mensch irgendwie tangiert. Schließlich geht es uns alle an. Vorstellungen von Geschlecht sind in unserem Körper und Denken fest verankert. Wenn die Gender Studies diese Vorstellungen hinterfragen: „Was heißt es eigentlich Frau oder Mann, männlich oder weiblich zu sein?“, dann werden damit tiefe Überzeugungen in Frage gestellt. Und das sorgt für Widerstand. Geschlecht ist darüber hinaus immer stark verknüpft mit anderen Kategorien der Ungleichheit, es geht also stets auch um Privilegien und um Intersektionalität– also die Verschränkung verschiedener Kategorien der Ungleichheit. Das macht die Kommunikation über Gender Studies nicht unbedingt einfacher.

Sehr kritisch sind zudem einige Artikel in den sogenannten Leitmedien zu sehen: Dort werden die Gender Studies mitunter stark angegriffen. Dabei bewegen sich die Texte auf einer ganz komplexen, hochrhetorischen Ebene. Wenn das jemand liest, der sich weder mit Gender Studies noch mit Wissenschaft auskennt, dann ist das verheerend. Hängen bleibt am Ende nur: Die Geschlechterforschung ist schlimm. Erwidert wird dann aus den Gender Studies heraus in oft noch komplexeren Repliken. Aus der Sicht der Öffentlichkeitsarbeit ist das natürlich eine Kommunikation, die völlig an der Zielgruppe und den Zielen vorbeiführt.

Was sind die Schwierigkeiten in der Kommunikation über Gender Studies?

Das Fach kann keinem Fachbereich zugeordnet werden. Es gibt nur eine Handvoll Lehrstühle, die mit „Gender Studies“ benannt sind. Die meisten decken einen bestimmten Fachbereich ab und verfügen zusätzlich über den Schwerpunkt Geschlechterforschung. An der TU Hamburg-Harburg gibt es beispielsweise den Lehrstuhl Arbeitswissenschaft und Gender Studies von Gabriele Winker. Sie leitet dort die Arbeitsgruppe Arbeit-Gender-Technik. Im letzten Jahr wurde an der Ruhr-Universität Bochum eine Professur mit dem Titel „Transformationen Audiovisueller Medien unter besonderer Berücksichtigung von Gender und Queer Theory“ ausgeschrieben. Diese Schwerpunkte in bestimmten Fachbereichen werden von gegnerischen Fronten dann oft als „künstlich und aufgedrückt“ bezeichnet.

Inwiefern?

Der Zusatz Gender Studies wird schnell missverstanden. Oft ergibt sich daraus der Vorwurf, die Geschlechterforschung sei kein Fach, sondern reine Ideologie und von der Politik auferlegt. Solche Vorwürfe erzeugen einen Rechtfertigungsdruck. Doch dabei dreht man sich schnell im Kreis: Gehen die Gender Studies mit sachlichen Argumenten auf unsachliche Vorwürfe ein, folgt oft das Totschlagargument: „Wenn ihr so wissenschaftlich und keine Ideologie seid, warum müsst ihr euch dann die ganze Zeit rechtfertigen.“ Hinzu kommt, dass viele Professorinnen und Professoren keine professionelle Öffentlichkeitsarbeit machen oder machen können, weil dafür die Ressourcen fehlen oder keine Expertise vorhanden ist.

Darauf wollten Sie mit dem Aktionstag #4genderstudies am 18.Dezember 2018 reagieren. Wie ist er gelaufen?

„Mit dem Aktionstag konnten wir auf die Situation und die Vielfalt der Gender Studies aufmerksam machen. Die Gender Studies wurden mit ihrer eigenen Stimme viel besser wahrgenommen.“ Miriam Stehling
Deutschlandweit gab es an dem Tag einige wirklich schöne Aktionen, um die Sichtbarkeit der Gender Studies zu verbessern. Sie waren übergreifend ausgerichtet und haben das Thema gut gebündelt. Es gab etwa das „Barcamp Gender“ in Berlin von der Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen (afg). Daneben gab es viele Pressestatements, auch von Hochschulleitungen. Dafür haben Genderforscherinnen und -forscher wir mit den PR-Abteilungen zusammengearbeitet und das hat  ebenfalls gut funktioniert. So konnten wir auch nach außen hin an dem Tag auf die Situation und die Vielfalt der Gender Studies aufmerksam machen. Man kann sagen, dass die Gender Studies dadurch mit ihrer eigenen Stimme viel besser wahrgenommen wurden. Es kamen auch viel mehr Stimmen aus den Gender Studies selbst und es wurde besser koordiniert. Auch im Einzelnen war es schön zu beobachten, dass viele kleinere Zentren für Gender Studies sich überhaupt erstmalig mit ihren Zielen und mit Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt haben. Darüber hinaus gab es diesmal viel weniger Anfeindungen als im Jahr davor.

Im Vorlauf des Aktionstages haben Sie einen Workshop über die Öffentlichkeitsarbeit für Gender Studies gehalten. Was haben sie dabei vermittelt?

Ein großer Teil des Workshops bestand erst einmal darin, zu schauen, was eigentlich die jeweiligen eigenen Ziele sind. Was möchte ich eigentlich mit meiner Öffentlichkeitsarbeit erreichen? Das kann stark variieren,von Standort zu Standort oder von Fachdisziplin zu Fachdisziplin.

„Wir wollen uns von unseren Kritikerinnen und Kritikern nicht steuern lassen. Wir wollen nicht mehr reagieren, wir wollen agieren.“ Miriam Stehling

An dem Workshop teilgenommen haben Wissenschaftlerinnen verschiedener Fächer sowie Öffentlichkeitsarbeiterinnen. Mein Ziel war, allen Beteiligten die Wichtigkeit einer klaren Kommunikationsstrategie noch einmal zu verdeutlichen. Es ging darum, Werkzeuge und Instrumente an die Hand zu geben, mit denen jedes Fach eigene Kampagnen, eine eigene Strategie entwickeln kann.

Zuerst haben wir deshalb eine SWOT-Analyse gemacht – ein Instrument zur strategischen Planung – um damit Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zu erkennen sowie einzelne Ziele zu klären und vor allem um ein gemeinsames Ziel für den Aktionstag zu finden. Fazit aus der Analyse war, nicht auf die Vorwürfe gegen die Gender Studies zu reagieren, sondern die Geschlechterforschung aktiv aus unserer eigenen Sicht und vielstimmig darzustellen. Klar war: Wenn wir weiter so mitspielen, kommen wir nicht von der Stelle. Wir wollen uns von unseren Kritikerinnen und Kritikern nicht steuern lassen. Wir wollen nicht mehr reagieren, wir wollen agieren.

Welche Pläne gibt es für den nächsten Aktionstag?

Die Gender Studies tauschen sich innerhalb der eigenen Kreise und in der eigenen Community bereits sehr gut aus. Doch die Kooperation mit der breiteren Fachöffentlichkeit und der Gesellschaft ist in jedem Fall noch eine große Herausforderung.

„Die Gender Studies tauschen sich in den eigenen Kreisen sehr gut aus. Doch die Kooperation mit der breiteren Fachöffentlichkeit und der Gesellschaft ist noch eine große Herausforderung.“ Miriam Stehling

Auch wäre ein Austausch mit den Unsicheren, aber Interessierten wichtig. Es gibt natürlich die sehr lauten positiven und negativen Stimmen, doch was ist mit denen, die vielleicht überhaupt noch keine Meinung zu den Gender Studies haben?

Eine weitere Idee ist es, eine Strategie für die Fachgesellschaft Geschlechterstudien ausarbeiten zu lassen. Etwas Übergreifendes, was man auch in die einzelnen Bereiche hineintragen kann. Natürlich, ohne es aufzustülpen. Es geht darum, Hilfestellung zu leisten hinsichtlich Ressourcen, Ideen und professioneller Öffentlichkeitsarbeit, ohne aber die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu übergehen.

Zuletzt wäre noch ein Ziel, künftig Fachjournalistinnen und -journalisten noch mehr in solche Aktionstage mit einzubinden. Das ist natürlich schwierig, doch hier eine Lösung zu finden und zu schauen, wie man besser mit dem (Wissenschafts-)Journalismus zusammenarbeiten kann, halte ich für wichtig.

Was würden Sie sich noch für die Kommunikation der Gender Studies wünschen?

„Es ist wichtig, bereits den Studierenden die Bedeutung der Kommunikation über die eigene Forschung bewusst zu machen.“ Miriam Stehling
Ich würde mir allgemein von der Wissenschaft mehr Mut wünschen, die fachlichen Inhalte auch mal auf ganz alltägliche Beispiele herunterzubrechen. Sich das zu trauen, ohne dabei die eigene Wissenschaftlichkeit in Frage zu stellen. Das ist ja so ein klassisches Thema der Wissenschaftskommunikation: Das Gehemmtsein wegen der Angst, in der eigenen Community zu unsachlich oder unwissenschaftlich dazustehen. Gerade beim Nachwuchs ist das zu beobachten. Es wäre daher wichtig, bereits den Studierenden die Bedeutung der Kommunikation über die eigene Forschung bewusst zu machen. Und auch zu zeigen, wie man das Wissen aus dem Studium gewinnbringend in ein Unternehmen einbringen kann. Nicht im Sinne von „Employability“: Vielmehr prägt man im Studium ja nicht nur bestimmte praktische Fähigkeiten aus, sondern auch eine bestimmte Persönlichkeit, eine Haltung. Diese werden die Studierenden später in ganz vielfältige Bereiche der Gesellschaft hineintragen. Dass nicht alle Studierenden der Gender Studies am Ende Gleichstellungsbeauftragte werden, das muss klar sein.