te.ma heißt eine neue Plattform für „open science und civil discourse“. Im Interview erklärt Gründer Martin Krohs, was es damit auf sich hat, welche Ziele sie verfolgt und wo ihr Potenzial liegt.
„Wir wollen Fachdiskurse zugänglich machen“
Herr Krohs, Ihr neues Projekt te.ma wird auf der Webseite als Plattform für „open science und civil discourse“ beschrieben. Weshalb haben Sie das Projekt gestartet?
Themen wie der Klimawandel und die Coronapandemie zeigen, dass das Zusammenspiel von Wissenschaft und Öffentlichkeit zumindest sehr kompliziert ist. Die Modelle, die bisher existieren, schaffen nur einen Teil der notwendigen Kommunikation. Viele basieren noch auf der Vorstellung des Berichtens aus der Wissenschaft und des Fragens aus der Bevölkerung basieren und öffnen also nur eine einzige Richtung der Kommunikation. Dazu kommt, dass wissenschaftsjournalistische Beiträge in den Tagesmedien nur sporadisch auftauchen und auch die populärwissenschaftlichen Magazine meist Themenmischungen bringen.
Wir wollen von diesem Sporadischen weg, deshalb bauen wir regelrechte Themeninseln im Netz auf. So können wir langfristige thematische Kontinuität und fachliche Tiefe bieten. Und anstelle des Befragens von Wissenschaft wollen wir ein unmittelbares Sprechen mit der Wissenschaft ermöglichen und dafür einen Netzwerk-Ansatz umsetzen. Bei uns wird es eine kleinteilige Kommunikation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Schulen eines Fachs mit einer pluralen Öffentlichkeit geben.
Welche Konzepte stehen hinter diesem Ansatz?
Im Zentrum des te.ma-Konzepts stehen die Fragen der sozialen Epistemologie: Wie funktioniert es, dass Menschen gemeinsam etwas durchdenken, dass sie sogar gemeinsam Erkenntnis generieren können? Das ist zugleich auch die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.
Sehr ergiebig ist in dieser Hinsicht der Ansatz der Post Normal Science von Silvio Funtowicz und Jerome R. Ravetz, der auch in der Politikberatung eine große Rolle spielt. Funtowicz und Ravetz haben den Begriff der extended peer community eingeführt, also eine erweiterte Fachgemeinschaft. Solche Communities wollen wir mit te.ma aufbauen. Netzwerke, in denen Citizen Scientists oder, wie wir es nennen, Citizen Scholars, sich gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern den aktuellen wissenschaftlich-gesellschaftlichen „Hyperproblemen“ widmen.
Wie genau sieht die Umsetzung aus?
te.ma ist vor allem erst einmal eine mediale Infrastruktur, und die kann im Prinzip für beliebige Themen aufgesetzt werden, für die ein Fachdiskurs existiert. Wir bringen für diese Infrastruktur drei Elemente zusammen: Publikationen, Datenbank und Forum.
Das zweite Element ist eine Datenbank, die diese Publikationen aggregiert und die von den Usern durchsucht werden kann. So entsteht ein durchforstbarer Schatz an Veröffentlichungen, in dem die User auch im Sinne eines „produktiven Prokrastinierens“ unterwegs sein können, ähnlich wie man es auch in der Wikipedia macht.
Das dritte Element wird ein klassisches Forum sein. Hier können die Autorinnen und Autoren und die erweiterte Community sich miteinander austauschen.
Wie soll Reichweite für die Plattform entstehen?
Wir machen te.ma, weil wir selbst davon überzeugt sind, dass es so etwas braucht, aber wir können natürlich nicht vorhersagen, ob es funktionieren wird. Wir treten aber ganz gezielt an gesellschaftliche und wissenschaftliche Akteure heran, die thematisch ein Interesse am Austausch und Debatte haben könnten und involvieren sie frühzeitig. So wollen wir von Anfang an eine lebendige und vielfältige Community zusammenbringen.
Wer soll idealerweise das Portal nutzen?
Wie gesagt ist unser Modell-User ein Citizen Scholar, also praktisch ein Bürgergelehrter oder eine Bürgergelehrte. So ein Zielpublikum hat eine hohe Überschneidung mit der Community von Wikipedia. Außerdem denken wir, dass das Portal gut für Journalistinnen und Youtuber geeignet ist, die es für die Recherche nutzen können. Also eine Zielgruppe mit einem hohen Interesse an Wissenschaft und einem relativ hohen Kenntnisstand. Aber wir zählen auch darauf, dass viele interessierte Netzbürgerinnen und -bürger einfach bei den Debatten mitlesen und auch selbst mitdiskutieren wollen.
Die meisten wissenschaftlichen Publikationen erscheinen in englischer Sprache. Die Webseite ist in ihrer aktuellen Version auf Deutsch. Welche Sprache werden die Inhalte haben?
Zwischen Englisch und Deutsch wird in der Tat eine gewisse Parallelität bestehen. Das User-Interface der Plattform arbeitet mit englischen Begriffen, weil der Internet-Jargon englisch ist. Unsere eigenen Inhalte sind allerdings auf Deutsch, sowohl bei den Publikationen als auch im Bereich des Forums. Wo wir englischsprachige Fachartikel re-publizieren, gehen wir davon aus, dass unser Publikum zumindest passiv mit wissenschaftlichem Englisch vertraut ist.
Wer sind die Autor*innen beziehungsweise die Redaktion hinter te.ma?
Sie starten mit den drei Themeninseln „Gentechnik und Bioethik; Sprache und Gesellschaft; Wahrheit vs. Meinung“. Was verbirgt sich dahinter?
Wir haben diese Themen ausgewählt, weil wir Wissenschaften abbilden wollten, die sich in ihrer Diskursivität unterscheiden. Bei Wissenschaften beispielsweise, die es mit empirischen Wahrheiten zu tun haben, kreist die Debatte vor allem um praktische Maßnahmen und ethische Fragen. Eine weitere Themeninsel wollten wir so besetzen, dass sie von vornherein sehr kontrovers ist, daher „Sprache und Gesellschaft“. Hier gibt es zwar wissenschaftlichen Input aus unterschiedlichen Disziplinen, aber es gibt keine absolute Wahrheit und es ist ein sehr dialektischer Wissensprozess. Die dritte Insel halten wir derzeit noch offen, da wollen wir ganz nah an die Aktualität heran, vermutlich mit einem politikwissenschaftlichen Thema.
Jedes Thema ist immer für eine Season – also ein halbes Jahr — angesetzt. Danach wollen wir neu beratschlagen, ob das Thema fortgeführt wird oder nicht. In diese Entscheidung wird dann auch sehr stark Input von den Usern selbst mit eingehen.
Wie soll die Qualitätskontrolle gewährleistet werden?
Wenn man über Wissenschaft debattiert, droht natürlich immer das Problem der False Balance, also dass abseitige Talking Points lanciert werden, die keinen Bezug zu den Fakten haben. Deshalb ist es sehr wichtig, dass der Korpus der Dokumente, über die diskutiert wird, klaren methodischen Standards genügt. Das wird bei uns dadurch gewährleistet, dass unsere Publikationen unmittelbar den Forschungsdiskurs abbilden. Deshalb finden Leute, die pseudowissenschaftliche Diskussionen vom Zaun brechen wollen, eigentlich keine Angriffsfläche bei uns.
Und was das Forum angeht – da gehen wir weg vom Prinzip des „Daumen hoch, Daumen runter“, das ja nicht unbedingt immer die besten Beiträge nach oben spült. Stattdessen setzen wir auf ein Set von sehr differenzierten Reaktionen, wenn es darum geht, Inhalte zu bewerten und einzuordnen. Die User können bei zum Beispiel te.ma das Feedback „Bright, but I don’t agree“ geben. Das heißt, ich belohne die Qualität eines Beitrags, unabhängig von der vertretenen Position. Dadurch erreichen hochwertige Beiträge mehr Aufmerksamkeit.
Wie genau messen Sie, ob die Plattform erfolgreich ist?
Wie wird die Plattform finanziert?
Die Anschubfinanzierung kommt aus einer Stiftung, die ich aus meinem persönlichen Erbe gegründet habe. Anschließend soll das Portal dann unabhängig werden und andere Finanzierungsmodelle finden, auch dieser Übergang ist mit dekoder bereits erfolgreich erprobt. Ich bin da hoffnungsvoll, engagierte Akteure ins Boot holen zu können, schließlich treibt uns die Problematik von Wissenschaft und Gesellschaft ja alle irgendwie um. Das Projekt ist jedenfalls gemeinnützig und die Plattform selbst soll auf jeden Fall offen bleiben, ohne Paywall oder etwas derartiges – schließlich geht es bei te.ma um Open Science.
Auf Wunsch des Gesprächspartners wird in diesem Interview abweichend von den Redaktionsstandards gegendert.