Fakten und Emotionen laufen einander zuwider – so scheint es. Doch dass beide mehr miteinander zu tun haben, als wir oft denken, zeigen zum Teil heftige Reaktionen auf eindeutige Studienergebnisse. Was bedeutet das für die Kommunikation von Fakten? Ein Gespräch mit Wissenschaftsjournalist Sebastian Herrmann.
„Wir vergessen zu häufig, was hinter Meinungen steckt“ – wenn Fakten allein nicht mehr ausreichen
Herr Herrmann, in Ihrem Beitrag für die Skepkon titeln Sie: Gefühlte Wahrheit – die Psyche entscheidet, was als richtig oder falsch gilt“. Was bedeutet das genau?
Es ist nicht so, dass man ganz viele Fakten und Informationen in den Menschen oben einfüllen kann und unten kommt die richtige Meinung heraus. Es funktioniert eher andersherum. Wir haben Meinungen, die zu einem nicht unerheblichen Teil durch Emotionen zustande kommen und die steuern, wie wir Informationen wahrnehmen. Es gibt da ein ganz schönes Bild, das der Psychologe Jonathan Haidt geprägt hat: Er spricht von einem Reiter auf einem Elefanten. Der Elefant symbolisiert unsere
Emotionen und Gemütszustände sowie unsere automatische Wahrnehmung. Der Reiter entspricht unserer Vernunft und unserem bewussten Denken. Wenn wir uns nun mit etwas konfrontiert sehen, etwa mit einer Aussage oder einer Beobachtung, dann haben wir sofort einen Impuls oder eine Haltung dazu. Der Elefant bewegt sich bereits von selbst in eine Richtung. Der Reiter wird zwangsläufig mitgetragen und fängt an, nach Informationen zu suchen, die diese erste Reaktion absichern. Er bildet sich ein, dass er die Situation unter Kontrolle hat, fungiert aber eigentlich nur als eine Art PR-Büro der eigenen Affekte und Emotionen. Der Reiter bildet sich ein, er würde die Richtung vorgeben und um diese Ansicht aufrecht zu erhalten muss er konstant das Wahrgenommene beschönigen, damit es passt.
Entspricht diese Absicherung der ersten Reaktion dem confirmation bias, also der Tendenz des menschlichen Gehirns, neue Informationen immer so zu interpretieren, dass sie bestehende Vorannahmen unterstützen?
Der confirmation bias ist auf jeden Fall ein Teil davon. Grundsätzlich haben wir alle eine Meinung zu großen, komplexen Themen wie dem Klimawandel, der Flüchtlingsdebatte, der Geschlechterdebatte oder der Wirtschaftspolitik. Wenn dann aber jemand bei uns nachbohrt, merken wir schnell, dass wir unsere Meinung an vielen Stellen nicht richtig absichern können. Das hält uns allerdings nicht davon ab, Meinungen zu diesem Thema zu haben. Zum Teil sind sie sogar sehr heftig, wenn das Thema uns besonders wichtig ist. Diese Meinungen sind mit dafür verantwortlich, welche Informationen wir beachten, welche wir ignorieren und über welche wir uns aufregen. Grundsätzlich beachten wir eher Informationen, die zu dem passen, was wir für wahr halten und empfinden diese als glaubwürdiger und aussagekräftiger. Um dem entgegenzutreten handeln wir als Kommunikatoren aus meiner Sicht noch immer zu sehr nach dem Defizitmodell: Wir wissen zwar, dass die Psyche bei der Einschätzung von Informationen eine Rolle spielt, glauben aber trotzdem, dass es genügen wird, wenn noch einmal die Fakten zu einem Sachverhalt auf den Tisch gelegt werden, um die Leute zur Vernunft zu bringen. Wer aufklären will, erreicht so oft das Gegenteil, nämlich eine starke Abwehrhaltung.
Was kann man stattdessen tun?
Wir vergessen zu häufig, was hinter Meinungen steckt – nämlich nicht nur Vernunft und bewusstes Denken, sondern auch Emotionen und Gemütszustände, wie bei Elefant und Reiter. In der Homöopathiedebatte etwa geht es nicht so sehr darum, ob Globuli nun wirken oder nicht. Wird eine Studie dazu auf den Tisch geknallt, dann wird damit das ganze Selbstbild der Menschen, die der Homöopathie freundlich gegenüberstehen, infrage gestellt. Und das Selbstbild besteht aus einer Reihe von Bestandteilen, die sehr wichtig für diesen Menschen sind. Dazu gehört in diesem Falle beispielsweise auch, dass man sich aufopfernd um seine Kinder kümmert, für sie nur das Beste will oder dass man sich um die Umwelt sorgt und versucht, einen ökologischen Lebensstil zu pflegen und dergleichen mehr. Die Homöopathie ist in diesem Selbstbild letztlich nur ein Baustein. Wenn ich diesen nun aufgeben muss, weil die Studie besagt, dass die Kügelchen nicht wirken, dann wird damit letztlich auch alles andere infrage gestellt. Das erzeugt Unbehagen und da müssen wir ran.
Außerdem: Wenn man den Leuten etwas wegnimmt, dann muss man ihnen auch etwas dafür anbieten. Fragen, die mich dabei umtreiben, sind: Was bieten wir an, wenn wir einfach sagen, die Homöopathie ist nichts? Was ist unsere Vision einer menschlichen Medizin? Gibt es vielleicht Ideen in der Homöopathie, die wir übernehmen könnten? Etwa die Zeit für den Patienten und die intensiven Gespräche? Was ist uns wichtig? Wie können wir das mit der Wissenschaft vereinen, mit der etablierten Medizin, bei der ja nun wirklich auch nicht alles nur rosig ist? Kurz: Wo liegen die Gemeinsamkeiten mit dem anderen Diskutanten und wie können wir mit dem Unbehagen gegenüber der wissenschaftlichen Medizin umgehen?
Wie kommen wir an das Unbehagen heran und was können wir anbieten?
Natürlich kommt man da nur sehr schwer heran. Ich würde zunächst dafür plädieren, Fehlinformationen nicht weiterzuverbreiten und auch Mythen, die man widerlegen will, möglichst nicht zu wiederholen. Das passiert zum Beispiel bei den klassischen Faktenchecks: Zu jeder Aussage gibt es dort immer ein „Stimmt“ oder ein „Stimmt nicht“. Die Leute merken sich das zwar kurz, doch fragt man ein paar Tage später nach, können sie nicht mehr genau auseinanderhalten, was nun wahr und was falsch war. Die Aussagen selbst jedoch fühlen sich ein wenig vertrauter an. Und alles, was sich vertraut anfühlt, erzeugt auch eine gewisse Illusion der Wahrheit. Wir müssen vermeiden, dass uns zu allen Themen als allererstes etwa die Position der AfD in den Kopf kommt. Natürlich ist das alles andere als leicht. Um das zu vermeiden, müssen wir gute, faktenbasierte Geschichten erzählen.
Was können zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tun, um ihre Forschungsergebnisse zu kommunizieren?
Es bräuchte eine Lust, über die eigene Arbeit zu reden, eine Freude darüber, dass da Menschen kommen, die sich für das interessieren, was man macht. In Deutschland habe ich des Öfteren das Gefühl, dass in der Wissenschaft eher Angst vorherrscht, man könnte falsch verstanden und dann falsch oder unscharf zitiert werden und deshalb Probleme in der eigenen Community bekommen. Das ist schon mal sehr hinderlich. In der direkten Kommunikation sollte man außerdem immer konkret blieben. Es reicht schlichtweg nicht, eine Studie auf den Tisch zu legen und zu sagen, „so das ist jetzt die letztgültige Metaanalyse, Cochrane Review, irrer p-Wert, 87 Millionen Teilnehmende und so fort“. Das hat keine emotionale Kraft. Wir müssen Geschichten und Anekdoten erzählen, die zu den Daten passen, die Leute aber emotional berühren. Es ist wichtig, die Daten mit dem Aktuellen und mit Konkretem zu verknüpfen. Man kann sich das bei NGOs abgucken, die für Spenden werben: Der Mensch hat kein Gefühl dafür, ob es 1.000 oder 50.000 Menschen sind, denen es schlecht geht, sondern sie entwickeln Empathie, wenn sie einen einzelnen Menschen sehen, der in Not ist. Alles andere sind bloße Statistiken.