Gute Nachrichten für das Science Media Center Germany: Das gemeinnützige Projekt erhält jährlich dauerhaft 750.000 Euro von der Klaus Tschira Stiftung. Geschäftsführer und Redaktionsleiter Volker Stollorz spricht im Interview über die Pläne für die Zukunft und die Rolle der Daten für den Wissenschaftsjournalismus.
„Wir stehen am Anfang des datenbasierten Journalismus über Wissenschaft“
Herr Stollorz, was bedeutet die Verstetigung der Grundfinanzierung für die Arbeit des Science Media Centers?
Es ist ein großer Erfolg für das gesamte SMC-Team und ein außergewöhnlicher Vertrauensbeweis der Klaus Tschira Stiftung. Diese Zusage unseres Haupt-Förderers und Gesellschafters ermöglicht zum einen eine langfristige Planung für die bereits laufenden Projekte. Zudem können wir die Angebote der Wissenschaftsredaktion langfristig erweitern, Stellen entfristen und jedes Jahr einen Volontär einstellen. Die Förderzusage erlaubt auch die Stärkung der Angebote des SMC Lab, unserem Datenlabor, in dem wir neue Ideen und Formate für den Wissenschaftsjournalismus der Zukunft entwickeln. Die langfristige Grundfinanzierung ermöglicht es uns auch, Drittmittel für die Entwicklung experimenteller Ideen zu akquirieren, weitere Förderer von der Arbeit des SMC zu überzeugen und so im Ergebnis moderat zu wachsen.
Gibt es schon konkrete Ideen, wo sie wachsen wollen?
Wir wollen uns thematisch in der Redaktion breiter aufstellen und vor allem die Programmierer-Kompetenz im SMC Lab im Bereich „Augmented Science Journalism“ ausbauen. In der Redaktion müssen wir uns bisher auf bestimmte Themengebiete fokussieren. Im Moment sind das die Medizin und Lebenswissenschaften, Umwelt, Klima, Technik, Künstliche Intelligenz, Energie und Mobilität. Es gibt aber natürlich viele weitere spannende und gesellschaftlich hochrelevante Forschungsgebiete wie zum Beispiel die Felder Geisteswissenschaften, das Thema Nachhaltigkeit mit den Schnittstellen Landwirtschaft, Biodiversität und Artenschutz. In diesen Bereichen können wir uns gut vorstellen, unsere Recherchekompetenz zu erweitern und so die wissenschaftliche Evidenz für die Berichterstattung und die öffentlichen Debatten zugänglicher zu machen.
Wo soll die Arbeit des SMC Lab in Zukunft hingehen?
Das SMC Lab adressiert im Kern ein Problem, das alle Wissenschaftsredaktionen haben: Jedes Jahr erscheinen etwa 2,5 Millionen wissenschaftliche Publikationen in über 30 000 wissenschaftlichen Zeitschriften. In dieser Informationsflut wird es zunehmend schwieriger, die Aufmerksamkeit auf die wenigen wichtigen Perlen zu richten, die für öffentliche Debatten relevant sind und den öffentlichen Diskurs bereichern könnten. An diesem „Information Overload“-Problem setzen wir im SMC Lab an und entwickeln neue Softwaretools, die Wissenschaftsjournalisten helfen, relevante Inhalte und Experten auf den Schirm zu bekommen, ohne in der Flut von irrelevanten oder sogar irreführenden Publikationen zu ertrinken. Auch diese Arbeit können wir nun stärker ausbauen, um Experimente für den Wissenschaftsjournalismus von morgen mit datengetriebenen Lösungen durchzuführen. In diesem Bereich arbeiten wir auch in Kooperation mit akademischen Partnern, um zu erforschen, welche Themen Wissenschaftsjournalisten auswählen und mit welchen Kriterien sie die Relevanz von wissenschaftlichen Publikationen bewerten.
Welche Werkzeuge entstehen ganz konkret?
Ein erstes Tool, das wir durch „Rapid-Prototyping“ in Zusammenarbeit mit dem Kommunikationswissenschaftler Markus Lehmkuhl und dem Informatikstudenten Yannick Mihan entwickelt haben, heißt Expert-Explorer. Der kann Journalisten ohne disziplinäre Fachkenntnisse helfen, Experten mir Reputation im Bereich Medizin und Lebenswissenschaften zu finden. Ein weiteres Tool, das wir derzeit validieren, ist der SMC-Lab Alert. Dafür durchforsten wir Pre-Print-Server – also Publikationsdatenbanken. Dort veröffentlichen Forscher vermehrt neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die aber bisher noch keine fachliche Begutachtung (Peer-Review) durchlaufen haben. Ein Beispiel aus den Lebenswissenschaften ist BioRxiv. Diese Art der schnellen Publikation wird in den Lebenswissenschaften zunehmend populär, um neue Erkenntnisse möglichst schnell zugänglich zu machen – ohne auf den langwierigen Review-Prozess der Journale warten zu müssen. In diesen Datenbanken ist es für Journalistinnen und Journalisten sehr schwierig, die Perlen unter den vielen für die öffentlichen Debatten nicht relevanten Publikationen zu erkennen. Wir setzen computergestützte Analysemethoden wie Scraping, Text Mining und auch Machine Learning Algorithmen ein, um Publikationen zu erkennen, die in diesen Datenbanken Aufmerksamkeit erlangen. So kann sich die Redaktion im SMC frühzeitig auf mögliche Durchbrüche in bestimmten Forschungsbereichen vorbereiten.
Wie funktionieren diese computergestützten Analysemethoden genau?
Ein Programm, das wir dafür entwickelt haben, sammelt täglich alle aktuellen Pre-Prints auf BioRxiv. Die Publikationen werden dann thematisch und nach bestimmten Maßzahlen sortiert. So können wir etwa das Interesse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an einem neuen Paper auslesen – also wie oft ein Abstract gelesen oder die PDF eines Papers heruntergeladen wurde. Wir können auch verfolgen, wie sich der Altmetrics-Score entwickelt oder prüfen, welche Reputation die veröffentlichende Forschergruppe in der Wissenschaft bereits hat. Die Maßzahlen helfen erfahrenen Redakteurinnen und Redakteuren, fundierte Mutmaßungen über die Relevanz eines neuen Papers auszubilden. Die Redaktion entscheidet dann, ob und wenn ja wie relevant das Forschungsergebnis auch für gesellschaftliche Debatten und damit für den Wissenschaftsjournalismus sein könnte. Und das alles lange bevor die begutachteten Publikationen dann in den bekannten Wissenschaftsjournalen erscheinen.
Dabei umgeht man aber doch das bewährte Peer-Review-Verfahren. Wie kann man hier die wissenschaftliche Qualität und die journalistische Schnelligkeit unter einen Hut bringen?
Natürlich ist es immer eine gute und wichtige Sache, wenn Wissenschaft von disziplinären Fachkolleginnen und -kollegen begutachtet wird. Es gibt viel Schrottforschung und wir hatten ja die Debatte über Predatory-Journals, die nur existieren, weil Piraten-Publisher Kasse machen. Auch Pre-Print-Paper müssen daher mit größer Umsicht und redaktioneller Kompetenz behandelt werden. Können wir im SMC jedoch ein attraktives Paper aufspüren, können sich daran redaktionelle Entscheidungen orientieren. Man kann zum Beispiel entweder sein eigenes Peer-Review durchführen, indem man Forschende aus den speziellen Disziplinen befragt, ob es sich bei dem Paper um einen der seltenen, echten Durchbrüche handelt. Oder man schaut sich die Reputation der Forschungsgruppe genauer an, die ein Paper auf einem Pre-Print-Server eingestellt hat – etwa durch Analysen der Zitationsrate. Einen automatisierten Reputationscheck wollen wir demnächst entwickeln.
In Rahmen eines Forschungsprojekts zusammen mit Markus Lehmkuhl vom KIT erforschen wir zudem, wie viele der Pre-Print-Paper später auch tatsächlich in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht werden und wenn ja in welchen. Die Quote liegt bei BioRxiv derzeit bei ungefähr 60 Prozent. Das heißt, dass viele dieser Fachartikel früher oder später auch in reputierten Peer-Review Journals landen, aber eben nicht alle. Die Frage ist also, welche Artikel neu und relevant sind und über welche Journalisten berichten sollten und über welche besser nicht.
Sind mit dieser Recherchemethode schon erste Beiträge entstanden?
Wir sind derzeit in der Testphase zu dieser Methode. Ein Beispiel aus 2018 war eine Geschichte über die Künstliche Intelligenz „Alpha Go“ der Firma Deep Mind, einer Google-Tochter – ein Algorithmus, der sich selbst beigebracht hat, das japanische Brettspiel Go zu spielen. Das Paper dazu ist zuerst auf dem Pre-Print-Server Arxiv.org erschienen und erst später dann mit Gutachter-Stempel im Magazin Science.
In welchen anderen Bereichen soll es Weiterentwicklungen geben?
Der Datenjournalismus im SMC Lab bietet unserer Ansicht nach noch viel Potenzial, um Journalistinnen und Journalisten bei Recherchen zu Wissenschaftsthemen zu unterstützen. Ein datenjournalistisches Projekt, mit dem wir bereits Erfahrungen gesammelt haben, ist der „Operation Explorer“. Hier werten wir im SMC Lab große Datenmengen aus der regionalen Gesundheitsversorgung im Krankenhaus aus, um dann in Zusammenarbeit mit Lokalredakteurinnen und -redakteuren nach Geschichten zu suchen. Da liefern wir praktisch die Datenanalyse und erste Interpretationen und die regionalen Redaktionen übernehmen dann die Recherche im Detail – also auf der letzten Meile. An an einem gemeinsamen Stichtag erzählen Sie für jede Region ihre eigene exklusive Geschichte. Ein Beispiel für diesen kooperativen Ansatz war der Knie-Report. Diese Art von evidenz- und datenbasiertem Wissenschaftsjournalismus ist es, für den Science Media Center steht: Wir liefern keine fertigen Angebote, sondern bieten Zugänge und Hintergründe für die tägliche Arbeit von Journalistinnen und Journalisten in allen Redaktionen, die sich mit Themen der Wissenschaft beschäftigen wollen oder müssen.
Welches Feedback bekommen Sie von Journalistinnen und Journalisten?
Die Zahl der akkreditierten Journalistinnen und Journalisten liegt aktuell bei rund 750. Das ist nach drei Jahren Aufbauarbeit eine erfreuliche Zahl. Wir bekommen auch zunehmend Anfragen und Anregungen aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen. Das freut uns, denn unsere Glaubwürdigkeit entsteht im Publikum allein durch die Qualität unserer Angebote. Auch die Zahl der Beiträge, die mit Material des SMC entstehen, wächst ständig. Zitate von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaften, die das SMC ausgesendet hat, haben wir bisher in über 4.200 Berichten in allen Medien wiedergefunden. Diese erste Bilanz in Kombination mit der dauerhaften Förderzusage der Klaus Tschira Stiftung ist für mich nach drei Jahren Live-Betrieb ein gutes Zeichen, dass wir im Team SMC als unabhängiger, vertrauenswürdiger und gemeinnütziger Intermediär zwischen Journalismus und Wissenschaft auf dem richtigen Weg sind. Das Leitmotiv des Teams SMC lautet: Wir lieben Aufklärung.
Das Science Media Center
Das Science Media Center Germany sammelt Statements wissenschaftlicher Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen, erstellt Fact Sheets und veranstaltet Press Briefings für Journalistinnen und Journalisten von deutschsprachigen Medien. Außerdem führt es eine Experten-Datenbank, beobachtet hunderte Fachzeitschriften und die journalistische Berichterstattung zu wissenschaftlichen Themen. Im SMC Lab werden datengetriebene Lösungen für die Recherche zu wissenschaftlichen Themen entwickelt. Gesellschafter des SMC sind die Klaus Tschira Stiftung (90 Prozent und Hauptförderer) und die Wissenschafts-Pressekonferenz (10 Prozent). Zudem gibt es 47 weitere Förderer.