Foto: National Academy of Sciences

„Wir stecken oft noch im Schubladendenken fest“

Die Forschung darüber, wie Menschen Medien nutzen und Informationen verarbeiten, könnte Wissenschaftskommunikatoren die Arbeit erleichtern – vor allem bei der Vermittlung heikler Themen. Doch dafür fehle es noch am Austausch zwischen Praktikern und Forschern, sagt der Kommunikationswissenschaftler Dietram Scheufele.

Herr Professor Scheufele, auf der jüngsten Sackler-Konferenz in Washington, die von Ihnen mitorganisiert wurde, haben Kommunikations- und Naturwissenschaftler, Forschungsförderer sowie Journalisten zwei Tage lang über die Wissenschaftskommunikation diskutiert. Was war für Sie das beherrschende Thema der Tagung?

Hinter der Idee zu dieser Konferenz steht ein grundsätzliches Problem, das wir zumindest in den USA deutlich sehen: Wenn es um Wissenschaftskommunikation geht, dann reden die verschiedenen Akteure – etwa Wissenschaftler, Stiftungen, Fördergemeinschaften und Journalisten – kaum wirklich miteinander. Dabei wollen alle Gruppen mehr oder weniger das Gleiche, nämlich die Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verringern. Mit dieser Konferenz versuchen wir alle an einen Tisch zu bringen und sich dabei vor allem über „wissenschaftsgeleitete Wissenschaftskommunikation“ auszutauschen, denn genau daran hapert es ironischerweise noch oft.

Dietram Scheufele
Dietram A. Scheufele ist Professor für Wissenschaftskommunikation an der University of Wisconsin–Madison und am Morgridge-Forschungsinstitut in Madison. Zur Zeit ist er Visiting Fellow am Center for Advanced Studies der LMU München. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem zur Kommunikation neuer Technologien wie Nanotechnologie oder Gentechnik und zur Rolle der sozialen Medien in der Wissenschaftskommunikation. Foto: Kyle Cassidy / Annenberg School for Communication, CC BY-ND 3.0

Inwiefern?

Es gibt eine Menge empirisch-sozialwissenschaftlicher Forschung dazu, wie man Menschen am besten mit bestimmten Inhalten erreicht und was passiert, wenn wissenschaftliche Fakten auf persönliche Werte und Einstellungen treffen. Aber diese Einsichten nutzen Wissenschaftskommunikatoren noch zu wenig.

Haben Sie ein Beispiel für sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, die in der Wissenschaftskommunikation vernachlässigt werden?

Ja, etwa die umfangreiche Literatur zur „motivierten Informationsverarbeitung“. Eine Vielzahl von Studien seit den 1980er-Jahren belegt, dass Menschen Fakten grundsätzlich nicht neutral interpretieren, Wissenschaftler übrigens genauso wenig wie Laien. Was wir wahrnehmen, wird durch unsere bereits bestehenden Einstellungen und Annahmen gefiltert, durch Ideologien, politische oder religiöse Überzeugungen. Mit dem Ergebnis, dass verschiedene Gruppen dieselben Sachverhalte ganz anders auslegen. Das auffälligste Beispiel dafür sind hier in den USA die zwei Lager, die sich zum Thema Klimawandel gebildet haben: Die einen sind davon überzeugt, dass Menschen die globale Erwärmung verursachen, die anderen halten das für eine Erfindung wahlweise der Demokraten oder auch der chinesischen Regierung. Die Leute sehen sich also die gleichen wissenschaftlichen Fakten an und ziehen komplett andere Schlussfolgerungen daraus.

Gibt es solche Konfliktlinien auch in Deutschland? Den Klimawandel bestreiten hierzulande ja nur wenige.

Denken Sie etwa an die grüne Gentechnik. Mehr als 1.500 wissenschaftliche Studien bislang haben gezeigt, eine nach der anderen: Es gibt keinen Unterschied zwischen normalen und gentechnisch veränderten Lebensmitteln, zumindest was den Nährwert und auch gesundheitliche Gefahren angeht. In Deutschland werten viele diese Forschung ab, weil sie etwa glauben, die werde komplett von Gentechnikfirmen wie Monsanto finanziert. Auch das ist motivierte Informationsverarbeitung.

Was bedeutet das für die Praxis? Wie erreicht man Menschen mit Information, die ihrem Weltbild zuwiderläuft?

Zum einen ist die Sprache wichtig. Wenn ein Republikaner das Wort „Klimawandel“ nur liest, denkt er sofort an den politischen Gegner, an staatliche Bevormundung und so weiter, und verschließt sich dem Thema. Wenn die Überschrift eines Artikels aber lautet: „Darum sollten Sie jetzt in erneuerbare Energien investieren“, sieht die Sache schon anders aus. Zumal, wenn im Text vielleicht betont wird, dass es dabei auch um die langfristige globale Wettbewerbsfähigkeit der USA geht und um die Unabhängigkeit von ölexportierenden Ländern. Das bezeichnen wir als „Framing“ – also den Rahmen, in dem man Informationen präsentiert. Zum anderen aber gilt es bei Themen, die mit ethischen Problemen oder Sorgen einhergehen, diese Dinge aktiv anzusprechen. Bei der Veränderung des menschlichen Genoms etwa bewegt viele Bürger die Frage, was solche Möglichkeiten grundsätzlich für unser Menschsein bedeuten, welche Gefahren sich darin verbergen. Darauf gibt es keine genuin wissenschaftlichen Antworten, sondern nur ethische. Und das dürfen Forscher nicht ausblenden, auch wenn sie glauben, dass das eigentlich nicht in ihre Zuständigkeit fällt.

Wie sollte die Presse über Genom-Editierung beim Menschen berichten? Darüber diskutieren hier der Stammzellforscher Matthew Porteus von der Stanford University, Kommunikationswissenschaftler Dietram Scheufele, Moderator Frank Sesno und die Journalistin Cornelia Dean von der New York Times (v.l.n.r.). Foto: National Academy of Sciences

Dennoch vermeiden es viele Forscher, sich über Anwendungen oder Gefahren der Gentechnik zu äußern, die aus wissenschaftlicher Sicht unwahrscheinlich oder bislang technisch nicht möglich sind. Das käme für sie einer Sensationalisierung gleich – also dem, was sie eher den Medien vorwerfen.

Zumindest in den USA beobachten wir bereits eine zunehmende Bereitschaft von Wissenschaftlern, sich in gesellschaftliche Diskussionen über ihre Forschung einzumischen. Ich würde außerdem sagen, eine Sensationalisierung ist manchmal besser, als wenn gar keine öffentliche Debatte in Gang kommt. In der Kommunikationswissenschaft reden wir ja oft von der „Watchdog-“, also Aufpasser-Funktion der Medien. Und genau wie bei einem Wachhund gilt: Lieber einmal zu viel bellen als zu wenig. Journalisten haben nun mal die Aufgabe, die Bürger auf mögliche Probleme hinzuweisen. Wenn es eine etwas zu schrille Headline braucht, um ab und zu die Aufmerksamkeit der Rezipienten weg von der Tagespolitik oder Trump-Tweets hin auf bedeutsame wissenschaftliche Themen zu lenken, dann ist das meiner Meinung nach legitim. Aber die Berichterstattung sollte natürlich nicht an diesem Punkt stehenbleiben, sondern später unbedingt differenzierter werden.

Sie leben schon fast so lange in den USA wie zuvor in Deutschland. Gibt es in den beiden Ländern unterschiedliche Anreize für Wissenschaftler, selbst zu kommunizieren?

Ein großer Unterschied ist natürlich, dass die Nutzung sozialer Medien in den USA generell noch einmal deutlich verbreiteter ist als in Deutschland. Darüber zu kommunizieren, ist für Wissenschaftler deshalb attraktiver, denn sie können einfach mehr Menschen erreichen. Einige Universitäten – darunter die University of Wisconsin–Madison, an der ich arbeite – bewerten bei der Berufung von Professoren außerdem schon nicht mehr nur die Qualitäten der Kandidaten in Forschung, Lehre und sonstigem universitärem Engagement, sondern auch ihre Bemühungen in „Outreach & Communication“. Dazu zählt alles, was die eigene Forschung in die Öffentlichkeit trägt, also Kommunikation auf Twitter genauso wie die Zusammenarbeit mit Organisationen, die Forschungsergebnisse praktisch anwenden möchten. Der „Impact“ solcher Bemühungen ist nicht immer einfach zu messen, aber zumindest wird auf solche Dinge mittlerweile geachtet.

Was sind für Sie die zentralen Erkenntnisse der Konferenz?

Um mit dem Negativen anzufangen: Wir haben das Problem zwar erkannt, stecken aber oft noch in unserem Schubladendenken fest. Es gibt bislang wenig Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Interessengruppen. Dabei müssen wir Sozialwissenschaftler uns auch an die eigene Nase fassen. Vieles, was wir erforschen, wird nur „nach innen“ publiziert, in unseren eigenen Journals, und erreicht zum Beispiel Wissenschaftler aus anderen Fachgebieten nicht. Was mich aber optimistisch stimmt, und das ist die zweite Erkenntnis: Das Interesse an der Forschung über Wissenschaftskommunikation ist mittlerweile riesig. Wir hatten eine lange Warteliste für die Teilnahme am Meeting und tausende Zuschauer, die per Webcast dabei waren. Sechzig Stiftungen waren da, darunter etwa die Gates Foundation. Die New York Times und die Washington Post haben renommierte Redakteure abgestellt, viele Naturwissenschaftler und Mediziner sind angereist. Es scheint auf jeden Fall Konsens unter allen Akteuren zu sein, die sozialwissenschaftliche Forschung in Zukunft besser nutzen zu wollen als bisher.

 

Das Sackler Colloquium „Science of Science Communication III“ fand am 16. und 17.11. an der National Academy of Sciences in Washington, D. C. statt.