Das KI-generierte Bild zeigt die Biologin Rachel Louise Carson und ist Teil der Ausstellung „Versäumte Bilder“

„Wir sprechen viel zu wenig über die Chancen von künstlich generierten Bildern“

Gesine Born nutzt KI-generierte Bilder, um Frauen in der Wissenschaft sichtbarer zu machen. Darf man das? Ein Gespräch mit der Kommunikationsdesignerin über die Idee der „visuellen Gerechtigkeit“ – und das Risiko, dabei ungewollt Falschinformationen zu verbreiten.

Gesine Born ist Kommunikationsdesignerin mit Schwerpunkt Fotografie in Berlin und leitet das Bilderinstitut. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Thema „Bilder in der Wissenschaftskommunikation“. Foto: Christian Friedrich

Wie können Frauen in der Wissenschaft sichtbarer gemacht werden? Diese Frage treibt sie als Fotografin schon länger um. Was läuft da bisher nicht gut?

Mich stören zum Beispiel immer diese, wie ich sie nenne, „Ahnengalerien des Wissens“ von Wissenschaftler*innen in den Universitäten, wo aber meistens nur Männer gezeigt werden. Ein Porträt ist auch immer eine Ehrung für eine Person, wie ein visueller roter Teppich. Einer Frau wird diese Ehre selten zuteil. Das wollte ich ändern und habe mich im Rahmen eines Fellowships des Kiel Science Communication Network intensiv mit der Frage beschäftigt, wie man Wissenschaftlerinnen sichtbarer machen kann. Ich entschied mich zunächst, Schwarz-Weiß-Portraits von Wissenschaftlerinnen zu machen, in bewusst starken Posen.

Erstaunlicherweise wurden diese Bilder in den sozialen Medien kontrovers diskutiert: Warum lächeln die Frauen nicht? Müssen Frauen wie Männer dargestellt werden? Für mich waren das keine typisch männlichen, sondern dominante Posen, die man von Frauen offenbar nicht gewohnt ist. Diese Diskussion hat mir bestätigt, dass ich einen Nerv getroffen habe.

Das KI-generiertes Bild zeigt die Biochemikerin Rosalind Franklin und ist Teil der Ausstellung „Versäumte Bilder“ in Darmstadt.

Später haben Sie auch KI-generierte Bilder von Wissenschaftlerinnen erstellt. So haben Sie zum Beispiel Rosalind Franklin und einigen anderen Wissenschaftlerinnen visuell den Nobelpreis verliehen. Was möchten Sie mit diesen Bildern bewirken?

Den Ausschlag auch fiktive Bilder von Wissenschaftler*innen zu generieren, gab ein Podcast von „Zeit Verbrechen“ über die Geschichte von Rosalind Franklin. Es hat mich wütend gemacht, dass ihre Forschungsergebnisse gestohlen wurden und diesen Männern dann auch noch der Nobelpreis verliehen wurde. Aus einem Impuls heraus habe ich ihr dann den Nobelpreis mit diesem KI-generierten Bild verliehen. Midjourney, die KI-Anwendung die ich dafür verwendet habe, war damals technisch noch nicht gut. Trotzdem hatte dieses Bild eine ungeheure Kraft für mich. Ich hatte das Gefühl, ihr nachträglich visuell Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Mit diesen Bildern gab es eine kleine Mini-Ausstellung in Bonn. Ein Professor, der diese Ausstellung besuchte, war zunächst irritiert, weil diese Frauen den Nobelpreis doch gar nicht wirklich erhalten hatten, fand die Idee aber trotzdem gut und wollte die Ausstellung gerne erweitern. Eine Woche später rief er mich an und sagt: „Wir haben doch aber echte Chemie-Nobelpreisträgerinnen!“

Erst durch diese fiktiven Bilder, durch dieses visuelle Stolpern, kam er auf die Idee, auch Bilder von Forscherinnen aufzuhängen. Das ist genau die Art von Reflexion, die ich bei den Leuten hervorrufen möchte.

Aus der kleinen Ausstellung in Bonn hat sich in Zusammenarbeit mit der Schader-Stiftung in Darmstadt eine Ausstellung mit dem Titel „Versäumte Bilder“ entwickelt. Was können die Besucher*innen dort sehen?

Die Ausstellung zeigt fotorealistische Bilder, die Versäumtes nachholen sollen. Die Bilder zeigen, was Frauen in der Wissenschaft leisten und erzählen ihre zu Unrecht unbekannten Geschichten. Dazu haben wir die Institute gebeten, Wissenschaftlerinnen in ihren Einrichtungen zu recherchieren, von denen es keine oder kaum Bilder gibt.

Mit Hilfe von KI habe ich Porträts dieser Frauen erstellt, und zwar so, wie ich diese Frauen gerne sehen würde, nämlich stark. Ich nenne sie repräsentative Porträts.

 Besteht nicht die Gefahr, dass man die Bilder für echt hält?

Ja, das kann passieren und diese Kritik nehme ich an. Ich sehe die Gefahr aber weniger in der Ausstellung, weil sie klar als KI-Ausstellung deklariert ist und sehr genau erklärt wird, wie die Bilder entstanden sind, zum Beispiel ist unter jedem Bild auch der Prompt zu sehen. Dies ist neben der Sichtbarmachung der WissenschaftlerInnen ein Schwerpunkt der Ausstellung: die Technik der artifiziellen Visualisierung zu erklären.

Ich stelle die Bilder aber auch zur freien Verfügung. Das ist für mich im Prinzip selbstverständlich, denn diese Bilder sind ja nicht meine Bilder, sondern mit Hilfe eines KI-basierten Modells generiert. Aber ich muss darauf vertrauen, dass die Leute verantwortungsvoll damit umgehen und sie auch transparent als KI-generiert kennzeichnen. Ich überlege gerade, wie ich das Projekt schützen kann, um die Gefahr einzudämmen, dass die Bilder aus dem Kontext gerissen werden und zu Fehlinformationen über historische Ereignisse führen können.

Das Porträt von Lise Meitner ist oft kritisiert worden. Es gibt Fotos von ihr, man weiß also, wie sie ausgesehen hat. Es wurde kritisiert, dass Sie ihr Aussehen zu sehr verändert haben und sie in einer sehr dominanten Pose darstellen, die für Meitner untypisch ist. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Das KI-generiertes Bild zeigt die Physikerin Lise Meitner und ist Teil der Ausstellung „Versäumte Bilder“.

Schade finde ich, dass häufig nur dieses Bild von Meitner aufgegriffen wird. Es wird auch von den Medien am häufigsten erwähnt, wenn über die Ausstellung berichtet wird, positiv wie negativ. Es war nach Rosalind Franklin das zweite Bild, das ich mit Hilfe von Midjourney generiert habe. Und es war auch ein Impuls. Ich habe den Oppenheimer-Film gesehen und mich geärgert, dass Meitner kein einziges Mal erwähnt wurde.

Die Frage ist: Wie schlimm wäre es, wenn die Leute glauben würden, das Bild sei echt? Ich ändere nicht den Lauf der Geschichte, im Gegenteil, ich mache sie sichtbar.

Ein weiteres Beispiel: Eine Nichte der Wissenschaftlerin Emmi Dorn hat die Ausstellung in Darmstadt besucht. Das war auch für mich sehr emotional. Ich fragte sie, ob sie ihre Tante auf dem Bild erkennt, sie sagte, nein überhaupt nicht, aber das sei nicht schlimm, sie freue sich, wenn an sie gedacht wird. Auch wenn dieses Bild nicht ganz das Aussehen von Emmi Dorn getroffen hat, haben es viele Menschen gesehen und ihre Geschichte gehört. Dieses Sichtbarmachung ist das wichtige bei diesem Projekt.

Trotzdem ist es wichtig, genau diese Fragen zu diskutieren. Generell finde ich es erschreckend, wie wenig kritische Töne es zu dem Projekt gibt. Ich hätte mehr Gegenwind erwartet.

Heiligt hier der gute Zweck die Mittel?

 Ja, ich glaube, dass der Hunger nach Anerkennung von Frauen in der Wissenschaft so groß ist und diese Euphorie so gefeiert wird, dass der kritische Blick unter den Tisch fällt.
Ich sehe mich in der Verantwortung, dass zukünftige Bilder in einem noch stärkeren Reflexionsprozess mit Angehörigen, Instituten und Gleichstellungsbeauftragten entstehen.

Ein schönes Beispiel ist das Bild von Erika Spiegel. Die Soziologin wurde als erste Frau in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) aufgenommen. Sie war die erste Person, von der ich wusste, dass sie noch eine Verwandte hat. Eine Nichte, die selbst schon über 80 Jahre alt war. Ich rief sie an und sagte ihr, dass ich ihr gerne Bilder schicken würde. Ich habe ihr gesagt, dass es fotorealistische Bilder sind, die sie mir auch alle um die Ohren hauen kann, ich möchte nur ein ehrliches Feedback. Das Foto zeigte eine lächelnde und sympathisch wirkende Erika Spiegel.
Das Feedback der Nichte war: Frau Born, so nett war meine Tante nicht, sie war viel rigoroser.

Das ist für mich das größte Learning gewesen. Das sind taffe Frauen gewesen, die sich zu dieser Zeit durchgesetzt haben. Warum das nicht auch zeigen?

Mit den künstlich generierten Bildern der Wissenschaftlerinnen konnten Sie viel Aufmerksamkeit erzeugen. Sehen Sie darin eine Chance für die Wissenschaftskommunikation?

Wir sprechen viel zu wenig über die Chancen von künstlich generierten Bildern. Auch Fotografie ist in ihrer Form keine echte Darstellung, sondern immer als Inszenierung zu verstehen. Häufig werde ich von Universitäten als Fotografin gebucht und dann heißt es: Wir haben hier einen Mitarbeiter aus Asien oder aus Afrika, der soll mit auf das „diverse Bild“. Dieses Foto zeigt dann auch keinen direkten Spiegel der Realität. Warum können wir nicht ein echtes Bild von der Abteilung machen und den Appell formulieren, macht uns vielfältiger, ihr seid willkommen?

Große generative Modelle sind letztlich auch nur ein Medium und haben die technische Möglichkeit, Fakes zu produzieren. Mit dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ wird immer wahnsinnig viel Dystopisches verbunden, aber das muss es ja nicht sein.

Wir können diese Tools wunderbar partizipativ nutzen, um die Vorstellungen und Träume der Menschen einzubeziehen. Ich mache das gerade in einem Projekt zum Thema Bildungsgerechtigkeit. Ich frage Kinder, was sie sich unter einer bildungsgerechten Schule vorstellen, was sie später einmal werden wollen, und generiere gemeinsam mit den Kindern Bilder mit Hilfe von Midjourney. Da steckt viel Empowerment drin. Die Visualisierung einer Vorstellung kann etwas Positives auslösen. Und wenn die Kinder einmal gesehen haben, wie einfach es ist, ein Fake Bild herzustellen, sind sie anderen Bildern gegenüber viel skeptischer. Darin liegt das Potenzial für die Wissenschaftskommunikation.

 


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