Der Chemiker Nuno Maulide ist Österreichs Wissenschaftler des Jahres. Die Auszeichnung des Wissenschaftsfonds FWF wurde ihm dabei insbesondere für sein Engagement in der Wissenschaftskommunikation verliehen. Im Interview erzählt er, wie er die Faszination für Chemie vermittelt und was er sich für die Wissenschaftskommunikation in Österreich wünscht.
„Wir sollten uns gegenseitig noch mehr unterstützen“
Herr Maulide, worauf legen Sie wert bei Ihrer Wissenschaftskommunikation?
Mir ist es besonders wichtig, den Mythos der Chemie aufzulösen, dass das Fach sehr schwierig und kompliziert ist. Das scheint der Eindruck zu sein, den vielen Menschen von Chemie in der Schule bekommen haben und oft scheinen die Erinnerungen sehr schrecklich zu sein. Für mich ist also das Allerwichtigste, die Chemie als attraktiv, interessant und trotzdem sehr genau zu präsentieren. Natürlich muss man immer ein bisschen vereinfachen, damit die Begriffe nicht so abstrakt sind. Aber wir müssen dabei sehr genau bleiben. Und es sollte unbedingt vermittelt werden, wie faszinierend dieses Fach ist. Das ist meine erste Priorität.
Wie versuchen Sie diese Faszination rüberzubringen?
Am einfachsten geht es über Beispiele aus dem Alltag. Die Chemie begleitet uns in jeder Sekunde und wenn man das merkt, versteht man auch, dass es keine Raketenwissenschaft ist. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Haare: meine sind gelockt und Ihre sind glatt. Der Grund dafür ist reine Schwefelchemie. Man kann sich die Haare vorstellen wie eine lange Reihe von Kindern, die sich alle an den Händen halten. Manche von ihnen haben noch eine Schwefelbrücke an der Hand und andere nicht. Und wenn diese lange Kette von Kindern in Unordnung gerät, kommen sich manchmal zwei Kinder mit so einer Schwefelkette nahe. Dabei gehen diese Schwefelketten eine neue (Schwefel-Schwefel) Verbindung ein und bleiben aneinanderkleben. Das sorgt dann dafür, dass die Kette nicht mehr gerade ist und es entstehen Biegungen. Haare, die mehr von diesen Schwefelbrücken haben sind lockig, andere sind eben glatt. Solche Vergleiche funktionieren auch für meine Vorlesung an der Universität. Auch hier muss man die Studierenden abholen und auch hier helfen Beispiele aus dem Alltag.
Welche Kommunikationskanäle und -formate nutzen Sie persönlich und an Ihrem Institut?
Die Uni Wien macht zum Beispiel regelmäßig eine Kinderuni und eine Lange Nacht der Forschung. Daran nehmen wir mit dem Institut manchmal teil. Hier muss man aber auch sagen, dass zu diesen Angeboten schon die Leute kommen, die ohnehin ein Interesse haben. Sprich wir erreichen die Personen, die kein Interesse haben mit solchen Formaten nicht. Deswegen ist die wichtige Frage: Wie können wir zu den Leuten gehen? Genau das machen mein Team und ich besonders gerne. Zum Beispiel haben wir hier in einem bekannten Bezirk Wiens ein Zelt im Park aufgebaut. Da haben wir dann coole Experimente mit den Kindern gemacht oder die Kinder konnten auch selbst Experimente machen. Für Erwachsene mache ich außerdem manchmal Veranstaltungen, die Chemie mit Kunst verbinden. Ich erzähle dann lustige Geschichten aus der Musik und spiele dazu Klavier – und anscheinend kommt es auch gut an.
Warum finden Sie es wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Ihre Forschung kommunizieren?
Wir werden teilweise oder komplett von öffentlichen Geldern finanziert. Darum sollten wir dem Mann oder der Frau auf der Straße auch erklären, warum das, was wir tun relevant, spannend oder wichtig ist. Bei der Grundlagenforschung ist es natürlich schwierig und es sind manchmal sehr exotische und nicht direkt krebsheilende Forschungsthemen. Da ist es wichtig, nicht zu sagen: Wir werden mit dieser Forschung in zehn Jahren Ihr Leben verändern. Das wissen wir nämlich nicht. Trotzdem kann man die Faszination für die Fragen vermitteln und erklären, warum man selbst ein Thema erforscht. Das sollte dann auch emotional wirken, um es den Leuten nahezubringen.
Haben Sie Vorbilder für Ihre Kommunikation?
Teilweise. Richard Feynman natürlich oder hier in Österreich Werner Gruber. Ich schaue mir gerne an was sie oder andere in der Wissenschaftskommunikation machen. Aber jeder sollte da auch seinen eigenen Stil finden.
Was bedeutet die Auszeichnung als Wissenschaftler des Jahres für Sie?
Ich habe mich sehr gefreut, vor allem, weil ich damit nicht gerechnet habe. Ich habe zwar in den letzten Jahren recht viel im Bereich der Wissenschaftskommunikation gemacht. Aber ich wusste nicht, dass man dafür auch ausgezeichnet werden kann und dass dieses Engagement in dem Bereich so viel Aufmerksamkeit bekommen hat.
Welchen Tipp würden Sie Kolleginnen und Kollegen für den Start in die Wissenschaftskommunikation geben?
Bleib wie du bist. Manche sind extrovertierter, andere nicht, manche sprechen gerne frei, andere nicht. Man muss da einfach das passende Format finden. Weil jemand schüchtern oder Publikumsscheu ist, heißt das nicht, dass diese Person keine Wissenschaft kommunizieren kann. Man kann einen Kollegen oder eine Kollegin fragen, ob man etwas zusammen machen kann. Aber man sollte nie genau das machen, was jemand anderes macht. Dann ist man nur eine Kopie.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Wissenschaftskommunikation?
Ich wünsche mir zuerst mehr konzertierte Aktionen. Es gibt viele Einzelkämpfer in dem Bereich, aber zusammen könnten wir weitaus mehr schaffen. Das Zweite ist, dass solche Aktivitäten dem Publikum zeigen sollen, dass Wissenschaftsexpertinnen und -experten normale Menschen mit Emotionen sind. Es gab im Laufe des Brexit immer wieder die Diskussion, dass man auch auf Expertenwissen verzichten könne. Warum? Weil sie leider oft als kalte und maschinelle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gesehen werden. Wenn wir also zeigen, dass Menschen mit Herzen und Emotionen dahinterstecken, ist das eine gute Sache. Punkt drei ist, dass wir die Sachen so erklären müssen, dass sie nicht als Vorlesung daherkommen, sondern als Diskussion. Und dabei muss klar werden, dass man zwar anderer Meinung als die Forschung sein kann, dann aber auch eine faktenbasierte Begründung und Erklärung dafür liefern muss. Man kann nicht einfach die Evolution zu einer von vielen Theorien erklären, ohne gleichzeitig Belege für die Alternativen zu bringen. Und zuletzt wünsche ich mir, dass wir mehr Personen erreichen und dass wir dabei von mehr Kolleginnen und Kollegen unterstützt werden.
Welches Feedback bekommen Sie denn aus dem Kollegium?
Ich höre oft: Nuno, du musst aber viel Zeit haben, wenn du auch noch Wissenschaftskommunikation machst. Aber damit wirst du keine neuen Paper veröffentlichen, keine Drittmittelprojekte einwerben, keine Einladungen zu den berühmtesten Konferenzen bekommen und keine Preise gewinnen. Zumindest das Letztere stimmt ja jetzt nicht mehr! Vielleicht brauchen wir also noch mehr Preise dieser Art.