Mit der digitalen archäologischen Ausstellung „Alles bleibt anders – Transformationsprozesse in Raum und Zeit“ wollen der Sonderforschungsbereich (SFB) 1266 der Universität Kiel und die Designagentur Ditho große Veränderungen der Vergangenheit niedrigschwellig darstellen. Was bei der Konzeption und Umsetzung einer digitalen Ausstellung zu beachten ist, berichten die Projektbeteiligten Wiebke Kirleis und Dirk Büchsenschütz.
„Wir sind mit einer Verdichtung von Veränderungen konfrontiert“
Frau Kirleis, Sie sind Projektleiterin und Co-Sprecherin des SFB 1266, der seit Dezember 2022 die digitale archäologische Ausstellung „Alles bleibt anders“ zeigt. Wie kam es zu der Idee, eine digitale Ausstellung umzusetzen?
Wiebke Kirleis: Der SFB 1266 an der Universität Kiel forscht schon seit 2016 als großes Verbundprojekt zu gesellschaftlichen und umweltbezogenen Veränderungen der Vergangenheit. Wir betrachten ein Zeitfenster von 15.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung bis ungefähr Christi Geburt. Damit forschen wir am Puls der Zeit, denn auch wir sind heute mit einer Verdichtung von Veränderungen konfrontiert. Vom Klimawandel, der Digitalisierung, Kriegen – Veränderung ist ein allgegenwärtiges Thema in Gesellschaft, Umwelt und Klima. Darum ist es uns ein wichtiges Anliegen, die Dinge, die wir in der Vergangenheit erforschen, in die Gegenwart zu transportieren. Denn durch unsere Forschung lernen wir, dass es erprobte Strategien gibt, wie die Menschheit in der Vergangenheit mit Herausforderungen umgegangen ist. Die würden wir gerne in den aktuellen Diskurs einbringen. Dafür braucht es offene Portale und die digitale Welt, die ganz wichtig in der heutigen Wissenschaftskommunikation geworden sind. Wir entschieden uns aus verschiedenen Gründen für eine digitale Ausstellung. Ein Grund ist unsere internationale Ausrichtung, weshalb die Ausstellung auch zweisprachig ausgelegt ist. Die Ausstellung ermöglicht uns nicht nur, mit unseren Zielgruppen zu kommunizieren. Auch unsere internationalen Projektpartner*innen haben die Möglichkeit, ihren Zielgruppen zu zeigen, wie die Kooperation mit uns verläuft und zu welchen Themen wir arbeiten. Zudem hat die Pandemie gezeigt, dass wir andere Lernformate auf den Weg bringen müssen und die Wissenschaftskommunikation viel stärker in die digitale Welt bringen müssen.
Herr Büchsenschütz, als Geschäftsführer der Designagentur DITHO waren Sie und Ihr Team verantwortlich für die grafische Gestaltung der Ausstellung. Auf Ihrer Website bezeichnen Sie die Entwicklung der Ausstellung als ganzheitlichen Designprozess. Wie läuft ein solcher Prozess ab?
Dirk Büchsenschütz: Wir verstehen uns als grafischer Sparringpartner. Als Kreative hatten wir den direkten Draht zu den Forschenden und sahen uns als Teil dieses interdisziplinären Teams. Wir haben zu Beginn der Konzeptionsphase viele Abstimmungsrunden gehabt. Es gab Kurzvorträge von einzelnen Forschenden und gemeinsame Workshops, sodass wir uns nach und nach vorgearbeitet haben. Von unserer Seite gab es wiederum einen Aufschlag, wie die grafische Konzeption ablaufen kann. Denn da herrscht oft eine große Unsicherheit: Was müssen die Forschenden vorbereiten, was liefert die Agentur? Ich denke, dass Inhalt und das Design gleichwertig sein müssen. Ohne gute Inhalte gibt es keine schöne Ästhetik. Die Inhalte dieser Ausstellung waren bereits gut aufbereitet, da sie immer einen aktuellen Bezug als Aufhänger hatten.
Wir haben am Anfang mit Moodboards gearbeitet, das sind Collagen aus verschiedenen Stilelementen für die spätere Bildgestaltung, Schriftauswahl, etc., die schon einmal Stimmung und Farbpaletten vorgegeben haben. Über Wireframes, also der erste Seitenaufbau in technisch reduzierter Darstellung, und erste Klickdummies entstand unabhängig vom Inhalt eine vorläufige Struktur, die sich wie ein Baukasten entwickelt hat.
Das erzeugte nach und nach ein Verständnis dafür, was wir brauchen, um weiter kreativ arbeiten zu können. Denn man gestaltet nicht im luftleeren Raum. Gerade bei unterschiedlichen Themen und Ansätzen ist es wichtig, dass es eine gemeinsame visuelle Basis gibt, sozusagen als „Türöffner“ für komplexe Inhalte. Dann kann das Material, so unterschiedlich und divers es auch ist, besser wirken. Auf Wunsch des Projekts haben wir zudem unser Designteam um einen Redakteur, der in Wissenschaftskommunikation geschult ist, erweitert und drei Textworkshops für die Forschenden durchgeführt.
Kirleis: Die Textworkshops waren ein tolles Modul, das für unser wissenschaftliches Arbeiten nachgewirkt hat. Wir waren damit konfrontiert, einfach formulieren zu müssen. Das ist eine hohe Kunst, die wir in unserem Wissenschaftler*innen-Dasein so nicht gewohnt sind. Im Gegenteil: Wir sind gewohnt, mit komplexen Inhalten umzugehen und diese auch sehr komplex darzustellen. Das auf eine allgemeinverständliche Ebene herunterzubrechen, hilft auch die eigenen Gedanken zu sortieren.
Welche Zielgruppen haben Sie für die Ausstellung identifiziert?
Büchsenschütz: Gemeinsam mit den Forschenden haben wir Persona-Modelle verschiedener prototypischer Zielgruppen erarbeitet. Wir stellten uns beispielsweise eine Lehrerin vor, die die Ausstellung nutzt, um neue Unterrichtsmaterialien zu erstellen. Oder den Vorstand einer nachhaltigen NGO, der Argumentationshilfen für seine Projekte sucht und sich dort inspirieren lassen möchte. Auch andere Forschende und Projektpartner*innen wurden als Zielgruppe identifiziert. Generell möchten wir die interessierte Öffentlichkeit von jung bis alt ansprechen, die eine gewisse Vorbildung mitbringt und mehr wissen möchte.
Kirleis: Deshalb hat die Ausstellung verschiedene Ebenen, die aufrufbar sind. Man hat die Möglichkeit, oberflächlich zu bleiben und die Grundideen mitzunehmen. Oder man kann sich in Vertiefungsbereichen die dahintersteckenden Methoden anschauen und die Ausstellung als Modul für den Oberstufenunterricht oder im Bachelorstudium integrieren.
Welche Inhalte funktionieren Ihrer Erfahrung nach für digitale Ausstellungen besonders gut?
Büchsenschütz: Bildmaterialien, vor allem kleinere Artefakte, die in einem Schaukasten leicht untergehen, kann man online durch hochauflösende Bilder ganz anders präsentieren. Man kann auch vergleichend mit einem Ablauf von Bildern arbeiten, mit Videomaterial, Strichzeichnungen oder Infografiken. Auch abstrakte Themen wie Klimaflucht, wozu es keine wirklichen Exponate gibt, kann man im digitalen Bereich nochmal ganz anders aufbereiten und vermitteln.
Wie wurden die dargestellten Umbrüche aus der Vergangenheit ausgewählt?
Kirleis: Wir haben einerseits solche Themen aufgegriffen, die einen aktuellen Bezug haben, wie zum Beispiel der Klimawandel oder Superfood. Wir behandeln aber durchaus auch Themen, die Veränderungen besonders plastisch darstellen, wie zum Beispiel der Wandel von Bestattungssitten in der Vergangenheit. Die Art und Weise, wie Menschen bestattet werden, sagt viel über die Funktionsweise einer Gesellschaft aus. Andere Themen sind reingekommen, weil sie wahnsinnig spannend sind, wie etwa das Phänomen von frühzeitlichen Megastädten auf dem Gebiet der heutigen Ukraine. Wir haben 2013 angefangen, dazu in der Ukraine zu forschen. Warum beschlossen rund zehntausend Menschen vor 6000 Jahren, sich zusammenzutun und ein Areal zu bewohnen? Was war der Antrieb dahinter und wie funktionierte das Zusammenleben über viele hundert Jahre? Warum endete diese Phase wieder? Diese Forschung kann man wiederum auch auf unser Zusammenleben in der heutigen Zeit beziehen.
Wie lenkt man Besucher*innen durch einen digitalen Raum und hält sie interessiert, wenn die nächste Ablenkung nur einen Klick entfernt ist?
Büchsenschütz: Die Besucher*innen sollen in die Ausstellung eintauchen, weshalb die Startseite auch relativ niedrigschwellig ist. Man bekommt zunächst ein Gefühl dafür, was es hier alles zu sehen gibt und soll sich dann auch schon in den einzelnen Projekten verlieren. Der Reiz einer digitalen Ausstellung liegt auch darin, dass sich diese sehr diversen Themen unter der gemeinsamen Klammer miteinander vergleichen lassen und die Besucher*innen von Thema zu Thema und von Epoche zu Epoche springen können. Wir arbeiten mit verschiedenen Leserichtungen, sodass man sich vertikal ein Thema durchlesen kann, aber ich auch über einen Exkurs in der horizontalen Ebene die Richtung wechseln kann. Für alle, die dann thematisch angefixt sind, machen wir die ganze Bandbreite erlebbar und arbeiten nicht nur mit Bildmaterial, sondern auch mit Audio- und Videomaterial. Denn der Vorteil einer digitalen Ausstellung ist, dass man sich zuhause auch eher mal einen 10-minütigen Film ansieht, als im Museum.
Wie wird es mit der Ausstellung in Zukunft weitergehen?
Kirleis: Die Ausstellung wird unsere weitere Forschung begleiten. Sie ist in ihrer jetzigen Form nicht abgeschlossen, sondern wird als dynamisches Portal ständig weiterentwickelt. Dadurch haben wir auch in Zukunft die Möglichkeit, unsere Ergebnisse niedrigschwellig und in einer allgemeinverständlich aufbereiteten Form in die Welt zu tragen. Vor allem auch für Menschen, die analoge Ausstellungen nur eingeschränkt oder gar nicht besuchen können. Gleichzeitig können unsere Projektpartner*innen im Ausland direkt auf die Ausstellung verweisen.