Wissenschaftliche Daten können missverstanden werden. Diese Erfahrung machte der Chemiker Christian Schiffer, als er seine Forschungsergebnisse1 publizierte und dabei sehr unterschiedliche Schlagzeilen herauskamen. Von absolut richtig, bis ziemlich falsch. Was er daraus gelernt hat, erzählt er im Interview.
„Wir müssen feinfühlig zwischen dem Ergebnis und möglichen Interpretationen unterscheiden“
Herr Schiffer, Sie haben mit Ihrem Forschungsergebnis zum Einfluss verschiedener Chemikalien auf Spermien einen ziemlichen Medienrummel verursacht. Um was ging es dabei?
Meine Arbeitskollegen und ich, haben untersucht, wie menschliche Spermien auf verschiedene Stoffe aus der Umwelt reagieren. Unsere Experimente zeigen, dass ein Drittel der circa 100 untersuchten Substanzen biochemische Signale in den Spermien auslösen können. Dazu zählen beispielsweise Pestizide wie DDT. Außerdem gab es eine Häufung in der Substanzklasse der UV-Blocker, die man in verschiedenen Kosmetika findet. Sie verändern beispielsweise das Schwimmverhalten der Spermien oder greifen in andere Prozesse ein, die für die Befruchtung relevant sind. Solche Informationen sind für die Öffentlichkeit natürlich von hohem Interesse, werden aber auch leicht missverstanden.
Wie haben Sie auf ihre Ergebnisse aufmerksam gemacht?
Wir haben die Daten zum einen wissenschaftlich veröffentlicht und zum anderen in Form einer Pressemitteilung herausgegeben. Mit einem Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit haben wir uns dafür beraten und Entwürfe einer Pressemitteilung diskutiert. Er hat uns erklärt, wie man ein paar Formulierungen geschickt so ändert, dass sie möglichst verständlich sind, aber auch möglichst unmissverständlich transportieren, was wir eigentlich aussagen möchten. Über die große Resonanz waren wir dann am Ende selbst sehr überrascht.
Warum ist es so schwierig, diese Daten unmissverständlich der Öffentlichkeit zu kommmunizieren?
Man muss direkt zu Anfang klarstellen, dass wir von Laborexperimenten sprechen, die nur indirekte Schlussfolgerungen erlauben. Stellen wir uns nun vor, dass solche Chemikalien im weiblichen Genitaltrakt in einer adäquaten Konzentration, in der wir Wirkungen beobachten, auf Spermien treffen.
Dann könnte man die Ergebnisse, die wir produziert haben, so interpretieren, dass dies zu einem Problem bei der Befruchtung führen könnte. Aber: das können wir nicht experimentell überprüfen und folglich nicht mit Bestimmtheit sagen. Deshalb ist der Konjunktiv hier ganz wichtig. Sehr wichtig! Um den Beweis anzutreten, müssten wir nämlich Menschen mit verschiedenen Chemikalien kontaminieren und naturwissenschaftlich den Befruchtungserfolg in An- und Abwesenheit dieser Chemikalien untersuchen. Das ist aus naheliegenden ethischen Gründen natürlich vollkommen absurd und unmöglich. Wir müssen feinfühlig zwischen dem Ergebnis und möglichen Interpretationen unterscheiden
Hat es geklappt und wurden Sie richtig verstanden?
Oft ist das der Fall gewesen. Es waren viele gute Artikel dabei, Teams vom Fernsehen sind vorbeigekommen und wir haben spannende Tage verbracht. Auf der anderen Seite gab es auch einige Beiträge, die nicht ganz so positiv waren. Dann hieß es gerne mal: „Studie hat gezeigt: Bestimmte Stoffe machen Menschen unfruchtbar“. Das haben wir aber nicht gezeigt. Das Problem war, dass manchmal Ergebnisse und Interpretation vermischt wurden, was zu missverständlichen Aussagen führte. Richtig wäre gewesen: Studie hat gezeigt: Spermien reagieren auf bestimmte Umweltchemikalien im Laborexperiment. Punkt.
Wie gehen Sie mit dem Medienrummel, den Interpretationen oder auch falschen Schlagzeilen um?
Als Wissenschaftler ist man nicht darauf vorbereitet, auf breites Interesse der Öffentlichkeit und der Massenmedien zu stoßen. Daher war das schon ziemlich überwältigend. Wenn man seine Ergebnisse plötzlich dann bei CNN sieht, weil sie über die eigene Forschung berichten, denkt man sich schon: Wow, toll, Wahnsinn! Da war ich dran beteiligt! Dann ist man vielleicht auch ein bisschen im positiven Sinne geblendet und ärgert sich nicht so sehr über ein paar andere Berichte, bei denen es hätte besser laufen können.
Wir sind auf deutlich über hundert Berichte innerhalb von wenigen Tagen gekommen. Das konnten wir kaum verfolgen, geschweigedenn bei allen eine Antwort platzieren. Manche Artikel waren nicht perfekt und ja, es gibt wirklich Punkte, bei denen man denkt: „Falsch. Das haben wir so nicht gezeigt“. Aber es ging mir menschlich nicht nahe. Ich ärgere mich wissenschaftlich darüber, aber auch nur auf einem für mich vertretbaren Niveau. Man kann bei so einem Rummel nicht erwarten, dass alles glatt läuft. Das ist es am Ende auch nicht, aber unterm Strich muss man sagen, war das trotzdem sehr positiv und auch für uns als Wissenschaftler sehr befriedigend.
Was haben Sie aus dieser Situation für sich gelernt?
Ich habe gelernt: So wie für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaflter kann ich nicht schreiben, wenn ich an die Öffentlichkeit gehen will. Das geht einfach nicht. Diese Erfahrungen habe ich auch in meinen Artikel für den Klartextpreis einfliessen lassen. Hier habe ich den Inhalt meiner Promotion verständlich beschreiben und wurde 2017 dafür prämiert.
Auf der anderen Seite habe ich auch gelernt selbstbewusst aufzutreten, wenn ich mit Journalisten zusammenarbeite. Mich zu trauen, meine Perspektive einzubringen und Hilfe anzubieten. Das haben wir immer bei Anfragen zu Interviews oder Berichten gemacht. Es geht uns nicht darum, anderer Leute Arbeit zu machen, denn Journalistinen und Journalisten schreiben ja ganz hervorragend. Es geht uns nur darum, wohlwollend zu überprüfen. Unsere Vorschläge sind zumindest bei denen, mit denen wir intensiv zusammengearbeitet haben, sehr positiv angenommen worden. Wir wollten auf der sicheren Seite sein. Es ist ein komplexes, ein sensibles Thema, bei dem Menschen leicht zu verängstigen sind.
Ich würde das auch anderen Froschenden raten: Einfach sagen, was wichtig ist. Nicht nur in den Dialog mit den Menschen über die Wissenschaft selbst gehen, sondern auch in den Dialog darüber, was bei der Berichterstattung wichtig ist.