Die Plattform TikTok wächst weiter, die meisten Forschenden halten sich bisher aber eher zurück. Mit Ausnahme von Robert Lepenies, Politikwissenschaftler am UFZ. Er ermutigt seine Kolleginnen und Kollegen, in Sachen soziale Medien ähnliche Neugierde und Experimentierfreude zu beweisen wie bei der Arbeit.
„Wir müssen dahin, wo die Leute sind“
Herr Lepenies, Sie sind einer der wenigen deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bereits auf TikTok aktiv sind. Wieso haben Sie diesen Kanal für sich entdeckt?
Es ging mir dabei nicht so sehr um TikTok als speziellen Kanal, sondern eher generell darum, zu zeigen, dass man auch solche Kanäle für die Wissenschaftskommunikation nutzen kann. Ich habe das Gefühl, dass die Wissenschaft immer erst sehr spät neue Kanäle ausprobiert und Inhalte mitgestaltet und ich will einfach zeigen, dass es sich lohnt, das zu ändern. Wir müssen aus meiner Sicht neue Kanäle viel schneller nutzen und für uns gewinnen und genau dazu möchte ich einen Beitrag leisten. TikTok kommt derzeit gerade auf und deshalb ist jetzt der Zeitpunkt dort reinzugehen und nicht erst viel später.
Was sind bisher Ihre Erfahrungen?
Bisher habe ich erste Erfahrungen gerade im Bezug auf die Reichweite gemacht. Man weiß bei TikTok leider nie ganz genau, wer die Videos wann und wie sieht. Insofern kann man nicht so viel darüber sagen, wen man erreicht. Gleichzeitig weiß man aber, dass die Chance der Viralität sehr hoch ist. Das liegt zum einen daran, dass die Plattform noch recht jung ist, und zum anderen am Algorithmus, der dies begünstigt. Die organische Reichweite ist also dort viel höher als wenn man beispielsweise neu anfängt zu twittern oder Instagram nutzt. Deshalb ist die Plattform auch spannend für die Wissenschaft und wir sollten uns mit ihr beschäftigen, weil die Videos potenziell ein Millionenpublikum erreichen können. Das könnten und sollten wir aus meiner Sicht strategisch für die Wissenschaftskommunikation nutzen.
Es geht Ihnen ja auch darum, für das Nutzen neuer Kanäle zu werben. Wie erleben Sie den Diskurs darüber in der Wissenschaft?
Ich spreche viel mit Kolleginnen und Kollegen darüber. Ich bin auch bei Twitter sehr aktiv und habe dort das Thema oft angesprochen und mit anderen diskutiert. Dort bilden sich auch plattformübergreifende Communities, die sich ausbilden. Die ersten wissenschaftlichen Vertreterinnen und Vertreter auf TikTok waren Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in Laborkitteln, deren Forschung ein hohes visuelles Potenzial haben. So langsam gibt es aber auch ein paar Forschende aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die aktiver werden.
Woran liegt es, dass die Kanäle nicht genutzt werden?
Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt es eine gewisse Skepsis gegenüber neuen Trends, insbesondere im Bereich der sozialen Medien. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass einige davor zurückschrecken, dass der Nutzen solcher Kanäle und Aktivitäten noch nicht final geklärt ist. Man kann einfach noch zu schlecht abschätzen, ob es Forschenden auch in anderer professioneller Hinsicht etwas bringt.
Ich finde es auch vollkommen ok, dass Organisationen vielleicht etwas skeptisch sind und sich erstmal zurückhalten. Mein Appell richtet sich eher an einzelne Forschende. Hier würde ich mir Experimentierfreude wünschen. Gerne auch mit einem kritischen oder ironischen Blick, aber eben auch mit dem Mut, etwas auszuprobieren. Es darf nicht passieren, dass wir neue Kanäle nicht ausprobieren, weil wir sie für irrelevant halten, nur weil sie uns fremd sind. Wir müssen dahin, wo die Leute sind, um in einen echten Diskurs treten zu können.
Wie erschließen Sie sich neue Kanäle?
Ehrlich gesagt, vor allem durch Ausprobieren. Dabei geht es vielmehr darum, auch die Möglichkeiten der neuen Plattformen und Kanäle auszuschöpfen und eben zu schauen, wie man sie für seine Zwecke nutzen kann. Es geht sozusagen darum, neue Kommunikationsmethoden und -mittel zu entdecken und damit zu spielen. Bei Tiktok geht es hier besonders um die neue Möglichkeit, vom Handy selbstgeschnittene Videos schnell und ohne professionelle Software zu erstellen. Gleichzeitig erlaubt TikTok viele neue Kommunikationsformen, die alte Apps nicht erlauben, wie etwa Reaktionsvideos und nahtloses Teilen von Inhalten, auch auf anderem Plattformen. Authentizität und Schnelligkeit wird hier besonders relevant. Solche Dinge lernt man nicht, wenn man theoretische Abhandlungen liest, sondern nur, wenn man es eben selbst macht und nutzt. Mit diesen neuen Mitteln, die man hier erlernt, wächst eine neue Generation auf und sieht sie als selbstverständlich an.
Wieviel Zeit nimmt Kommunikation in Ihrem Arbeitsalltag ein?
Da habe ich wahrscheinlich eine sehr ungewöhnliche Position, denn mein Motto ist: Soviel wie möglich, auf allen Plattformen. Ich habe drei kleine Kinder und viel Zeit, in der ich Care-Arbeit verrichte, gleichzeitig aber nebenbei kommunizieren kann. Viele Forschende unterschätzen meiner Ansicht nach dramatisch, wie viel Zeit Entscheiderinnen und Entscheider gerade im politischen Bereich auf diesen Plattformen verbringen. Hier finden Diskussionen statt – übrigens in besonderer Weise privat, in den nicht-öffentlichen DMs (Direktnachrichten). Wenn wir Entscheidungstragende erreichen wollen, dann sollten wir an den richtigen Orten präsent sein und zwar in einem hohen Maße. Das gilt insbesondere für Sozial- und Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler.
Hat TikTok denn eine Chance, Ihr neuer Lieblingskanal zu werden?
Ehrlich gesagt hoffe ich, dass TikTok – auch aus datenethischen Gründen – bald wieder verschwindet und ein neuer Kanal mit ähnlichen Potenzialen kommt. Ganz grundlegend geht es mir um die Nutzung aller Plattformen und weniger um die Nutzung eines bestimmten Kanals. Ich wünsche mir, dass wir mehr ausprobieren und mehr in den sozialen Medien experimentieren.