Foto: Markus Spiske

„Wir hatten eine gemeinsame Motivation und haben es geschafft, etwas aufzubauen“

Kann man sozialpsychologische Erkenntnisse zum Thema Flucht und Integration in die Praxis bringen? Wie die Psychologin Nadine Knab das gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Fachnetzwerk Sozialpsychologie zu Flucht und Integration erreichen will, erklärt Sie im Interview.

Frau Knab, Sie sind Mitglied im Fachnetzwerk Sozialpsychologie zu Flucht und Integration. Worum geht es in diesem Projekt?

Auf unserer Online-Plattform veröffentlichen wir Artikel, die sozialpsychologische Erkenntnisse aus dem Bereich Flucht und Integration allgemein verständlich erklären. Bei diesem Thema geht es um die komplexe Interaktion zwischen Individuen, die sich alle einer sozialen Gruppe zugehörig fühlen – und genau damit beschäftigt sich die Sozialpsychologie. Sie fragt etwa: Wie nehmen sich Personengruppen gegenseitig wahr? Wie beeinflusst das Verhalten eines anderen mein Verhalten? Wir hoffen, mit der Betrachtung aus wissenschaftlicher Perspektive einen Beitrag zur Beantwortung wichtiger gesellschaftlicher Fragen leisten zu können.

Die Psychologin Nadine Knab promoviert in der Arbeitsgruppe Sozialpsychologie an der Universität Koblenz-Landau und ist Mitglied im Fachnetzwerk Sozialpsychologie zu Flucht und Integration. Seit 2017 ist sie stellvertretende Vorsitzende beim Forum Friedenspsychologie e.V. Foto: privat

Wen wollen Sie erreichen?

Vor allem Praktikerinnen und Praktiker, die in diesem Bereich arbeiten und denen wir eine Hilfestellung geben möchten. Das können Personen sein, die zum Beispiel in der Stadtverwaltung oder im sozialen Sektor arbeiten und ganz konkret vor Herausforderungen stehen, aber auch Beschäftigte in den Medien oder Politikerinnen und Politiker. Es geht uns primär darum, Hinweise zu geben, wie man bestimmte Herausforderungen angehen kann. Hier und da versuchen wir mit Bedacht auch ganz konkret praktische Tipps zu geben.

Was wird in den Artikeln beschrieben?

Unsere Artikel beleuchten unterschiedliche Perspektiven, denn oft gibt es nicht nur eine. So kann man die Frage „Wie kann man Solidarität gegenüber Geflüchteten fördern?“ aus ganz unterschiedlich Blickwinkeln betrachten: Im Journalismus ergibt sich die Frage: „Wie können Medien dazu beitragen, dass keine Bilder entstehen, die Vorurteile schüren oder diese fördern?“ Aus gesellschaftlicher Perspektive kann daraus die Frage abgeleitet werden: „Wie können soziale Strukturen aussehen, die das Zusammenleben verbessern?“ Eben wegen dieser Vielfalt versuchen wir, eine Fragestellung aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Damit wir Fragestellungen aufgreifen, die im Alltag der Zielgruppe relevant sind, versuchen wir direkt mit Praktikerinnen und Praktikern in Kontakt zu treten. Dazu veranstalten wir Treffen, zu denen wir Personen aus der kommunalen Verwaltung, aber auch Politikerinnen und Politiker einladen. Dort besprechen wir Herausforderungen und überlegen gemeinsam, wie man diese angehen kann – immer unterstützt durch die sozialpsychologische Perspektive. Bei diesen Workshops sammeln wir Fragestellungen für unsere Artikel, die wir über das Jahr hinweg publizieren. Aktuell machen wir einmal pro Jahr einen großen Workshop mit Praktikerinnen und Praktiker. Darüber hinaus kann man über unsere Projektseite auch direkt Kontakt mit uns aufnehmen.

Für das Fachnetzwerk engagieren sich hauptverantwortlich zehn Sozialpsychologinnen und -psychologen von verschiedenen Universitäten und Institutionen. Wie haben Sie zusammengefunden?

Auf einer Fachkonferenz haben wir festgestellt, dass wir alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Ob als Ehrenamtliche, als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder als politisch bewusste Personen – beim Thema Flucht und Integration haben wir uns an Studien erinnert, die wir im Studium oder im Rahmen der eigenen Forschung kennengelernt haben. Daraus entstand der Wunsch, dieses Wissen mit Personen zu teilen, die alltäglich in diesem Bereich arbeiten. Unsere Überzeugung war und ist, dass man mit diesen sozialpsychologischen Erklärungen Herausforderungen konstruktiver begegnen kann. Schlussendlich ist aus diesem Zusammentreffen dann das Fachnetzwerk entstanden.

Können sich auch andere Forschende im Fachnetzwerk engagieren, die nicht zum Kernteam gehören?

Natürlich! Jedes Engagement ist für den Erfolg des Projekts wichtig. Wir freuen uns beispielsweise sehr über Interessierte, die einen Artikel oder ein Gutachten zu einem Artikel schreiben. Dazu versenden wir einmal im Jahr einen Call for Papers mit Praxisfragen. Zusätzlich kann man noch offene Praxis-Fragen auf der Homepage einsehen. Interessierte Forschende können sich bei uns melden, um einen Artikel zu schreiben oder zu beurteilen. Vor allem für den Beurteilungsprozess ist es wichtig, dass wir bereits vor der Veröffentlichung Feedback aus der Praxis bekommen. Es sind also nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt. Es gibt somit auch Unterstützung, die mit einem geringen Zeitaufwand machbar ist.

Wie finanziert sich das Projekt?

Aktuell haben wir das Glück, dass die Universität Koblenz-Landau uns eine Anschubfinanzierung gibt. Damit können wir zum Beispiel studentische Hilfskräfte beschäftigen, die uns bei der Redaktionsarbeit oder der Aktualisierung der Homepage unterstützen. Zudem hat uns der Fachbereich Psychologie in Landau den Transferpreis „Wissenschaft und Gesellschaft“ verliehen, der mit einem kleinen Preisgeld verbunden war. Auf lange Sicht suchen wir noch nach Finanzierungsmöglichkeiten.

Was sind Ihre Erfahrungen und welche Tipps haben Sie für Forschende, die ein ähnliches Netzwerk in einem anderen Fachbereich aufbauen möchten?

Vor allem bei den Treffen mit Praktikerinnen und Praktikern bekommen wir positive und vor allem konstruktive Rückmeldungen, die uns weitere Ideen liefern. Auch werden immer mehr Forschende auf das Projekt aufmerksam und wollen uns auf die ein oder andere Weise unterstützen. Das motiviert uns, trotz aller Schwierigkeiten weiter zu machen. Denn die Arbeit beim Fachnetzwerk mit dem wissenschaftlichen Alltag zu vereinen, ist nicht immer einfach. Wir würden uns wünschen, dass der Wissenstransfer, den wir leisten, mehr Anerkennung erfährt – auch in der wissenschaftlichen Community. Glücklicherweise, scheint sich dies jedoch immer mehr positiv zu verändern. Als Tipp kann ich geben: Such dir ein gutes Team! Habt oder entwickelt eine gemeinsame Vision, die ihr mit intrinsischer Motivation vorantreiben möchtet. Ein gutes Team besteht aus Mitgliedern mit unterschiedlichen Fähigkeiten, die zuverlässig sind. Wichtig ist auch eine konstruktive Kommunikation untereinander. Das traf bei uns zu. Wir hatten eine gemeinsame Motivation und haben es geschafft, etwas aufzubauen. Habt ihr euch gefunden, solltet ihr viele Unterstützerinnen und Unterstützer für euer Projekt suchen. Das bedeutet, kommt in Austausch mit Personen, die ähnliche Projekte leiten und holt euch Rückmeldung zu eurem Vorhaben. Vielleicht findet ihr Personen, die Ressourcen – seinen sie finanziell oder ideell– haben, um euer Projekt noch besser voranzutreiben.

Was sind die nächsten Ziele?

Wir wollen immer mehr Perspektiven beleuchten. Dazu gehört auch, dass wir Geflüchtete in unser Team integrieren möchten. Das ist uns bis jetzt leider noch nicht gelungen. Es wäre spannend zu erfahren, ob sie unseren Artikeln auf Basis ihrer Erfahrungen zustimmen würden und welche Herausforderungen und Fragen wir noch nicht bedacht haben. Gleichzeitig möchten wir unsere Struktur so ausbauen, dass wir unser Projekt nachhaltig beibehalten können.

 

Weitere Information: Hier berichtet Nadine Knab in einem Youtube-Interview über das Wisskomm-Format Fachnetz Sozialpsychologie zu Flucht und Integration.