Während der Corona-Krise melden sich viele Leute zu Wort – echte Spezialist*innen und solche mit zweifelhafter Expertise. Nicole Krämer, Monika Taddicken und Stefan Stieglitz untersuchen in einem DFG-geförderten Forschungsprojekt die Rolle, die direkte Kommunikation von Expert*innen während der Pandemie auf Twitter und Youtube spielt.
Wie wirkt Expert*innenwissen zu Corona auf Social Media?
Frau Krämer, Frau Taddicken, Herr Stieglitz, Sie stehen am Beginn eines dreijährigen Forschungsprojektes*, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Was haben die Voruntersuchungen bisher ergeben?
Nicole Krämer: Mehrere meiner Mitarbeiter*innen waren und sind große Fans von Christian Drosten und haben schon in ersten Lockdown seinen Podcast gehört. Daraus entstand die Idee, zu untersuchen, was von dieser vermehrten direkten Kommunikation von Wissenschaftler*innen in der Öffentlichkeit ankommt. In einer Studie haben wir herausgefunden, dass Personen, die starken direkten Kontakt zu Wissenschaftler*innen haben – also als Rezipient*innen, die entweder Talkshows sehen oder Podcasts hören – sich stärker an die Corona-Maßnahmen halten als Personen, die das weniger tun. Wir haben in den Analysen auch gesehen: Personen, die sich vor allem direkt bei Wissenschaftler*innen informieren, haben mehr Wissen und eine stärkere Selbstwirksamkeit im Umgang mit den Maßnahmen. Sie denken eher: Ich halte das durch. Wir haben gesehen, dass diejenigen, die zwar Medien nutzen, aber weniger direkte Kommunikation von Wissenschaftler*innen mitbekommen, stärker von Angst geleitet sind, sich aber auch an die Maßnahmen halten. Das war für mich ein Ausgangspunkt zu sagen: Wir müssen uns dringend ansehen, wie die Kommunikation von Wissenschaftler*innen in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird –vor allem auch in Sozialen Medien. Denn diese sind für Wissenschaftler*innen eine gute Möglichkeit, direkt an die Öffentlichkeit zu gehen – etwa über Twitter, Facebook oder Instagram. Die Grundfrage war: Wie kommen sie im Netz an? Und was hat das für Auswirkungen auf die Bevölkerung. Ist das Resultat eher: „Wir müssen uns an die Maßnahmen halten“ oder: „Ist doch alles Quatsch, ihr wollt Panik verbreiten“.
Wie sind Sie dann als interdisziplinäres Forschungsteam dazu zusammengekommen?
Stefan Stieglitz: Nicole Krämer und ich arbeiten an der Universität Duisburg-Essen in der gleichen Abteilung, die sich dadurch auszeichnet, dass wir informatische und psychologische Perspektive zusammenbringen. Außerdem haben Monika Taddicken und Nicole Krämer schon in vorherigen Projekten zusammengearbeitet. Unsere drei Perspektiven aus Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Wirtschaftsinformatik sind eine optimale Kombination, um die im Projektantrag gestellten Fragen zu beantworten.
In meiner Forschungsgruppe sammeln wir seit vielen Jahren großflächig Social-Media-Daten und haben eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut. Die aktuelle Situation während der Pandemie ist aus der Perspektive der Wissenschaftskommunikation interessant, da in der Social-Media-Kommunikation Wissenschaftler*innen ansonsten nur selten so prominent auftreten. Außerdem gibt es den Effekt, dass es „Möchtegern-Wissenschaftler*innen“ gibt, also Personen, die sich selbst zu Expert*innen erklären und versuchen, eine hohe Reichweite zu bekommen.
Wie gehen Sie methodisch vor?
Stefan Stieglitz: Wir sammeln Daten – beispielsweise Tweets und Kommentare zu bestimmten Videos – aus Twitter und Youtube, also Kommunikationsdaten, die direkt von Wissenschaftler*innen stammen oder Reaktionen darauf sind. Die Stärke des Projekts ist, dass wir einen kombinierten Ansatz haben. Es werden manuelle Analysen von den psychologischen und kommunikationswissenschaftlichen Lehrstühlen gemacht, plus automatisierte Datenanalysen, die von meiner Gruppe aus der Wirtschaftsinformatik gemacht werden. Wir sehen dann zum Beispiel in Netzwerkgrafen: Wer sind die Akteur*innen, die am besten mit anderen vernetzt sind? Und wer erfährt die meisten Reaktionen? Außerdem können wir auch automatisiert die Emotionalität in den Aussagen analysieren. Das kann man auch in größerem Maßstab machen. Die Ergebnisse haben allerdings in der Regel eine gewisse Unschärfe, da es bei Verfahren der automatisierten Textanalyse auch zur Falschklassifikation von Beiträgen kommen kann. Um eine hohe Qualität zu gewährleisten, gleichen wir Stichproben unserer Ergebnisse zusätzlich noch mittels manueller Inhaltsanalysen der anderen Lehrstühle ab.
Sie unterscheiden zwischen Expert*innen und solchen, die sich als solche ausgeben. Ist das immer so eindeutig?
Monika Taddicken: Das ist tatsächlich sehr spannend. In vorherigen Studien haben wir uns selbst schwergetan zu sagen: Das sind jetzt wirklich „Fake Experts“ und nicht nur Menschen, die vielleicht in einem anderen Feld Expertise haben und sich ein bisschen weit aus dem Fenster lehnen. Sie sind schwierig abzugrenzen von jenen, die ganz bewusst strategische, manipulative Interessen verfolgen. Im Projekt sind wir – noch – nicht ganz einig, was unsere Einschätzung von Expert*innen angeht. Das macht es aber auch spannend.
Es gibt ja das Vertrauenskonzept, bei dem unter anderem die Einschätzung der Expertise eine ganz wesentliche Rolle für die Einschätzung der Glaubwürdigkeit und der Vertrauenswürdigkeit von Inhalten spielt. Aber woran machen die Menschen Expertise fest? Vielleicht am Evidenzgehalt oder an den Techniken, mit denen etwas dargelegt wird.
Wir sehen, dass bei den sogenannten Fake News wenig Unsicherheit vermittelt wird. Es werden aus dem Zusammenhang gerissene Argumente als eindeutig präsentiert. Wir werden uns anschauen: Wie werden Inhalte präsentiert und inszeniert? Wie stellen sich die Expert*innen selbst dar? In vorherigen Studien haben wir unterschiedliche Wahrnehmungen gefunden: Die vermittelte Eindeutigkeit bewerten einige Menschen als Hinweis darauf, dass es sich nicht um eine wirkliche Expertise handelt, während andere sich davon überzeugen und blenden lassen.
Nicole Krämer: Wir haben zunächst einmal angefangen zu sortieren: Wer äußert sich als Expert*in zu Corona? Da gibt es ganz eindeutige Fälle von Möchtegern-Wissenschaftler*innen, aber auch eine Grauzone. Ein ganz klarer Fall – um mal einen Namen zu nennen – wäre Wolfgang Wodarg als jemand, der sich als Experte ausgibt, aber die vorgegebene Expertise nicht hat.
Monika Taddicken: Genau. Bei anderen, wie Alexander Kekulé oder Mai Thi Nguyen-Kim kann man den Expert*innenstatus ja durchaus diskutieren. Mai Thi Nguyen-Kim wird in den Medien oft als Wissenschaftlerin präsentiert, auch wenn sie als Wissenschaftsjournalistin auftritt, von Hause aus ist sie Chemikerin. Wir müssen uns überlegen, wo genau wir in diesem Projekt die Grenzen von Expertise ziehen. Am Ende steht für uns im Fokus, wo die Mediennutzer*innen die Grenzen ziehen.
Wie messen Sie, mit welcher Emotionalität Menschen auf die Social-Media-Kommunikation reagieren?
Stefan Stieglitz: Ich denke, das ist wieder eine Stärke unserer Interdisziplinarität, weil wir mit den Textanalysen nur feststellen können: Kommen da emotionale Worte vor, während man in den Experimenten tatsächlich sehen kann, welche Reaktionen ausgelöst werden. In meiner Forschungsgruppe nutzen wir zur Identifikation von Emotionen in Social Media Nachrichten sogenannte Sentimentanalysen. Hier gibt es zwei große Ansätze, die unterschieden werden. Das eine ist ein wörterbuchbasierter Ansatz, bei dem in einem Lexikon hinterlegt wird, wie emotional Worte konnotiert sind. „Betrübt“ wäre zum Beispiel negativ konnotiert, aber vielleicht nicht so stark wie „traurig“. Eine andere Form, wie man so etwas auch automatisiert machen kann, ist über Machine Learning. Das heißt, wir würden manuelles Coding verwenden und auf Grundlage des Trainings-Datensatzes Algorithmen trainieren, die dann Emotionalität auf dem Gesamtdatensatz klassifizieren können.
Sie interessiert auch, wie sich Information auf das Verhalten auswirken. Wie können Sie das herausfinden?
Monika Taddicken: Der Fokus liegt auf der Wahrnehmung und Verarbeitung dessen, was die Menschen sehen. Wir werden das in den Interviews auch untersuchen, indem wir fragen: Wie hast du die Infos der Expert*innen mit dem verbunden, was du vorher schon an Erfahrungen gewonnen hast? Über diese retrospektive Technik wollen wir ergründen, wie diese Wahrnehmungsprozesse verlaufen.
Wie ordnen Menschen einen Herrn Wodarg ein? Warum fühlen sie sich von ihm angesprochen? Oder warum hören sie lieber den Drosten-Podcast?
Was könnten Ihre Ergebnisse für die Wissenschaftskommunikation bedeuten?
Nicole Krämer: Wir erhoffen uns natürlich auch Erkenntnisse darüber, wie eine Kommunikation von Wissenschaftler*innen in diesen Kanälen möglichst gut gestaltet werden kann. Wir schauen nicht nur, wie das mit dem Expertenstatus zusammenhängt, dass jemand eine starke Resonanz erfährt, sondern auch, wie die Ursprungsnachricht formuliert war. Wurde da vielleicht besonders emotional oder sachlich kommuniziert? Auf der Basis würden wir gerne Aussagen für Wissenschaftler*innen treffen können, wie: Wie solltet ihr kommunizieren, um eine a) möglichst große Reichweite zu erfahren und b) möglichst wenig Gegenwind in den Sozialen Medien zu bekommen.
Also geht es auch um ganz praktische Hinweise für gute Wissenschaftskommunikation?
Nicole Krämer: Genau. Wir wollen rausfinden: Wie werden Expert*innen durch ihre Kommunikation für Lai*innen erkennbar? Auch für die Bevölkerung wollen wir Hinweise nach dem Motto erarbeiten: Was kann euch helfen, die echten Expert*innen von den falschen zu unterscheiden? Deshalb haben wir auch vor, ein Policy-Paper zu verfassen und nicht nur in internationalen Fachzeitschriften zu publizieren. Wir möchten auch für Lai*innen verständlich darstellen, was unsere Erkenntnisse für Menschen in Gesellschaft und Politik bedeuten.
Monika Taddicken: Wir sehen immer wieder, dass wir Wissenschaftler*innen dabei unterstützen können, in den sozialen Medien zu kommunizieren, indem wir Informationen über die Logiken der Plattformen bereitstellen. Ich glaube, man kann auch an der Kommunikation von Akteur*innen, die während der Pandemie neu auf die Bühne getreten sind, gut erkennen, welche Lernkurve sie durchgemacht haben. Wenn man von Anfang an mehr Informationen zu Verfügung stellen könnte, würde das dabei helfen, sich vorzubereiten.
Wann ist mit den ersten Ergebnissen zu rechnen?
Stefan Stieglitz: Wir haben insofern einen Vorteil, dass wir schon relativ lange Kommunikation rund um die Corona-Pandemie sammeln. Das heißt, wir haben schon Daten, die vorher erhoben wurden und die im Laufe des Projektes ausgewertet werden können. Die Arbeitspakete, die an unterschiedlichen Stellen durchgeführt werden, sind miteinander verzahnt. Wenn wir zum Beispiel die 50 reichweitenstärksten Accounts identifizieren, ist das etwas, das von den anderen Lehrstühlen aufgegriffen werden kann, um zu schauen: Wie würden wir diese Accounts eigentlich einordnen?
Monika Taddicken: Ich halte gerade den interdisziplinären Ansatz für unheimlich gewinnbringend. Ich glaube aber, es ist wie immer in der Wissenschaft: Auch wenn wir schon Datenmaterial haben und möglichst viel parallel machen, kommen wir den aktuellen Entwicklungen nicht hinterher. Vieles werden wir auch erst später verstehen können. Wir sagen immer: Die Pandemie ist ein Brennglas. Ich wollte mich eigentlich nicht an dieser Metapher versuchen, aber es ist tatsächlich so. Wir werden daraus lernen – und stellen damit nicht nur für die aktuelle Pandemie, sondern auch für zukünftige Herausforderungen, Wissen bereit.
*Forschungsprojekt:„Wissenschaftskommunikation in Pandemien: Die Rolle der öffentlichen Beteiligung an social media Diskussionen“