Das Vertrauen in die Wissenschaft ist in den USA rapide gesunken. Unser Gastautor Volker Hahn findet, dass wir rechtzeitig daraus lernen sollten.
Wie lange vertraut man uns noch?
Die gute Nachricht zuerst: Laut Wissenschaftsbarometer 2024 misstrauen nur neun Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger „Wissenschaft und Forschung“. Dieser Wert ist seit Beginn seiner Erhebung 2017 erstaunlich stabil.
Interessant ist ein Vergleich mit den USA. Denn dort lag das Misstrauen in „scientists“ zuletzt bei 23 Prozent; der Wert hat sich seit Corona etwa verdoppelt. Gefragt nach dem Hochschulsystem („higher education“), sagten sogar 32 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner, sie hätten wenig oder gar kein Vertrauen – eine Verdreifachung über nur neun Jahre.
Bemerkenswert ist dabei die Polarisierung der Befragten: Während 12 Prozent der Demokraten dem Hochschulsystem misstrauen, sind es bei den Republikanern ganze 50 Prozent. Auch wenn sich Fragestellungen und Methodiken im Detail unterscheiden, so ist doch offenkundig, dass das Misstrauen in Wissenschaft und Academia in den USA wesentlich höher ist als bei uns.
Nun gibt es Anzeichen, dass auch uns ein Vertrauensverlust bevorstehen könnte: Populistische Parteien haben bei den letzten Wahlen erheblich zugelegt und sind in Umfragen anhaltend stark. Populismus lebt von Skepsis gegenüber den Eliten. Diese Skepsis zeigt sich auch in Umfragen (zum Beispiel Forsa, Freiheitsindex oder Sachsen-Monitor). Sie richtet sich vor allem gegen staatliche Institutionen und die Medien. Nicht nur ist die Skepsis groß, sie hat auch zugenommen. Folgerichtig fragen Rupert Pritzl und Marc-Denis Weitze, ob der Wissenschaft ein ähnlicher Vertrauensschwund blüht wie der Wirtschaft, der Politik oder den Medien.
Ich halte das für eine reale Gefahr.
Schauen wir noch einmal in die USA. Von dort gibt es Evidenz, warum das Vertrauen gelitten hat. Wichtigster Grund sind laut der oben erwähnten Higher-Education-Umfrage empfundene „political agendas“. 41 Prozent derjenigen mit wenig Vertrauen nennen dies als Grund. David A. Hopkins, Politikwissenschaftler am Boston College, sagt:
„Experts increasingly weigh in publicly on the liberal side of politically contentious issues, even issues outside their areas of expertise; Republican politicians increasingly exploit a resulting alienation among their voters toward experts as a class; and liberals increasingly see Republicans as willfully ignorant.“
Dass wissenschaftliche Akteure in den USA zunehmend als politisiert wahrgenommen werden, hat Wirkung gezeigt: Das Eliten entgegengebrachte (polarisierte) Misstrauen richtet sich jenseits des Atlantiks nicht mehr nur gegen Staat und Medien, es hat auch das Wissenschaftssystem und seine Repräsentanten erfasst.
Wie schaffen wir es, dass es bei uns nicht so weit kommt? Meines Erachtens sind zwei Dinge entscheidend:
Erstens: Wissenschaft muss politisch neutral sein. Und sie muss auch so wahrgenommen werden. Der deutsch-amerikanische Wissenschaftskommunikationsforscher Dietram Scheufele formuliert es so:
„[Science is] society’s best way of creating and curating knowledge, regardless of what that science will mean for politics, belief systems or personal preferences. […] Science relies on the public perception that it creates knowledge objectively and in a politically neutral way. The moment we lose that aspect of trust, we just become one of the many institutions, including Congress, that have suffered from rapidly eroding levels of public trust.“
Auch für Europa und Deutschland gilt: Wenn Kommunikatorinnen und Kommunikatoren ihre wissenschaftliche Autorität nutzen, um ihre bevorzugte Politik zu legitimieren, dann gefährden sie das Vertrauen in Wissenschaft. Denn sobald Wissenschaft als just another opinion wahrgenommen wird, dann gibt es auch keinen Grund, ihr irgendeine privilegierte Vertrauensposition einzuräumen.
Natürlich will ich damit niemandem das Recht auf freie Meinungsäußerung absprechen. Im Gegenteil, der offene Streit um die besten Lösungen ist unerlässlich für die freiheitlich-demokratische Gesellschaft. Aber es sollte klar sein, bis wohin man als Wissenschaftler spricht, und wo persönliche Werte, Weltanschauungen und Interessen ins Spiel kommen – man als Bürger spricht. Die Wissenschaftsjournalistin Sabine Hossenfelder bringt es auf den Punkt:
„Every scientist has values, and in my opinion, it is totally okay for them to advocate policies. However, I think they need to make clear where the science ends and their opinion starts.“
Ganz in diesem Sinne empfiehlt die Präsidentin der National Academy of Sciences (NAS), Marcia McNutt, besser zwischen Wissenschaft und Politik zu unterscheiden. McNutt argumentiert, dass Forschende die Normen und Werte von Wissenschaft besser erklären müssen, um in Öffentlichkeit und Politik die Vorstellung zu stärken, dass Wissenschaft im Grunde genommen unpolitisch ist.
Dass Wissenschaftskommunikation, die sich um die Entmischung wissenschaftlicher und politischer Botschaften bemüht, mehr und gleichmäßiger (weniger polarisiert) vertraut wird, dafür gibt es auch empirische Evidenz. Entsprechend sollen die Leitlinien zur guten Wissenschaftskommunikation (früher Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR) zukünftig empfehlen, die Rolle der Sprechenden transparent zu machen – ganz ähnlich wie der jüngste Siggener Impuls zum „Mythos Vertrauen“1.
Zweitens: Keinen Konsens behaupten, wo er nicht existiert. Oder umgekehrt: Gute Wissenschaftskommunikation offenbart Stimmenvielfalt, Dissens und Unsicherheiten, so wie in diesen zwei journalistischen Beispielen zum Ursprung des Coronavirus und den Folgen des Klimawandels. Gerade in politisierten Kontexten wird nach meiner Einschätzung zu oft ein vermeintlicher wissenschaftlicher Konsens beschworen und abweichende, aber gut begründete Einschätzungen verächtlich gemacht.
Der Politikwissenschaftler Roger Pielke Jr. schreibt:
„Expectations of conformance to a consensus undercuts scientific inquiry. It also lends itself to the weaponization of consensus to delegitimize or deplatform inconvenient views, particularly in highly politicized settings.“
Wenn aber heterodoxe Sichtweisen aus dem Diskurs gedrängt werden, oft unter Hinweis auf „false balance”, dann verstärkt dies das Misstrauen derjenigen, die legitimen Zweifel am Konsens hegen, und schürt antiwissenschaftliche Ressentiments.
Dazu NAS-Präsidentin Marcia McNutt:
„The scientific community must also better recognize that it may not be helpful to emphasize consensus in policy reports’ recommendations when the underlying values are not universally shared.“
Das Problem zeigt sich meines Erachtens auch in der inflationären Bemühung von Begriffen wie Fake News, Mis- oder Desinformation. Die Überbetonung wissenschaftlicher Wahrheiten spiegelt möglicherweise auch Angst vor Bedeutungsverlust wider – die Angst, man würde ignoriert, wenn die Botschaften uneindeutig sind.
Ja, Menschen mögen keine Unsicherheiten und auch die Medien ändern einen Konjunktiv gerne mal in den Indikativ. Andererseits braucht es für politisches Handeln keine wissenschaftliche Eindeutigkeit, wie der Soziologe Taylor Dotson betont – ausführlich in seinem lesenswerten Buch oder kurz und knapp in diesem Tweet:
„… politics isn’t and has never been about truth and consensus but productively organizing disagreement.“2
Wir sollten deshalb keine Angst vor Uneindeutigkeit haben. Dass unsichere und multiple Fakten die Bedeutung von Wissenschaftskommunikation nicht schmälern, hat David Kaldewey, Professor für Wissenschaftsforschung, in seiner Keynote beim Forum Wissenschaftskommunikation schön formuliert:
„… die Tatsache, dass Fakten unsicher und wertgeladen sind und wissenschaftliche Weltdeutungen immer im Plural erscheinen, schwächt weder ihre wissenschaftliche Robustheit noch ihre realweltliche Relevanz. Gute Wissenschaftskommunikation „checkt“ deshalb nicht einfach die Fakten, sondern feiert sie in ihrer Komplexität, Relevanz und Vielseitigkeit.“
Ich komme zum Abschluss noch einmal zurück zum Wissenschaftsbarometer. Denn das Bild in Deutschland ist nicht so rosig wie es auf den ersten Blick scheint. Zwar ist das Vertrauen insgesamt groß, aber es ist auch polarisiert. Insbesondere zwischen Menschen mit weniger oder mehr Bildung sowie zwischen Themen, die politisch weniger oder mehr umkämpft sind (zum Beispiel Erdentstehung versus Geschlechteridentität). Die Parallelen zu den USA sind offensichtlich und sollten bei uns die Alarmglocke läuten lassen.
Noch einmal Marcia McNutt:
“The scientific community […] must take a critical look at what responsibility it bears in science becoming politically contentious, and how scientists can rebuild public trust.“
Zum Glück geht es hierzulande weniger ums Rebuilding, sondern eher ums Erhalten des Vertrauens. Das macht die Aufgabe vermutlich leichter, aber nicht weniger wichtig. Ich hoffe, dass wir sie ernst nehmen und als Wisskomm-Community kontrovers und ausgiebig diskutieren. Und zwar bevor wir den Vertrauensverlust konstatieren müssen.
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