Foto: Giacomo Pirozzi/Panos

Wie denkt die Welt über Wissenschaft?

Eine gigantische Studie spürt dem Vertrauen in Forschende nach – in 144 Ländern der Erde. Eines der Ergebnisse: Menschen in Westeuropa sehen die Wissenschaft insgesamt positiv, entscheiden sich bei speziellen Themen wie Impfungen aber trotzdem häufig gegen sie.

„Was hält die Welt von Wissenschaft und Medizin?“ Das ist der Untertitel einer neuen Studie, die der britische Wellcome Trust am 19. Juni vorgestellt hat. Die Stiftung – einer der größten gemeinnützigen Geldgeber für die medizinische Forschung – hat gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen Gallup die Einstellungen von Menschen zur Wissenschaft untersucht, im globalen Maßstab: Während Forschende normalerweise vorsichtig damit sind, ihre Ergebnisse auf „die Welt“ zu verallgemeinern, ist das in diesem Fall tatsächlich angemessen. Denn für den „Wellcome Global Monitor“ befragte das Forschungsteam in 144 Ländern eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung, insgesamt verrieten rund 150.000 Menschen ihre Gedanken zu Wissenschaft und Medizin.

Die gute Nachricht: Das weltweite Interesse an Wissenschaft ist groß. Im Durchschnitt gaben 62 Prozent der Befragten an, dass sie gerne mehr über Forschung erfahren würden. Bei medizinischen Themen waren es sogar 72 Prozent. Besonders ausgeprägt war das Interesse an Gesundheitsthemen in Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen, verglichen etwa mit Europa. Damit bestätigt die Untersuchung das Bild, das frühere Studien ergaben.

„Weltweit gaben 62 Prozent der Befragten an, dass sie gerne mehr über Forschung erfahren würden. Bei medizinischen Themen waren es sogar 72 Prozent.“
Eine der zentralen Fragen war, wie sehr die Versuchspersonen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Vertrauen schenken. Die Argumentation des britischen Forschungsteams lautet: Nur, wenn die Allgemeinheit von der Integrität und den lauteren Absichten von Forschenden überzeugt ist, könne deren Arbeit tatsächlich die Lebensumstände und die Gesundheit der Menschen verbessern – denn nur dann finden wissenschaftliche Erkenntnisse überhaupt Gehör. Die Wissenschaftsgemeinde diskutiert seit einigen Jahren über einen zumindest gefühlten Vertrauensverlust – der in Zahlen allerdings schwer zu belegen ist. „Die bisher verfügbaren Daten sprechen dafür, dass die allgemein positive Wahrnehmung von Wissenschaft seit langem stabil bleibt“, sagt etwa Julia Metag, Professorin für Kommunikationswissenschaft im schweizerischen Fribourg. So seien die Einstellungen zu Forschenden in Schweden seit 2003 sogar tendenziell positiver geworden, in den USA sind sie seit den 1970er Jahren stabil – hier bezogen auf das Leitungspersonal wissenschaftlicher Institutionen.

Nur wenige ausgewiesene Wissenschaftsskeptiker

Und auch in der Wellcome-Studie zeigte sich nicht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kritisch gegenüberstünde: Im globalen Durchschnitt haben drei von vier Befragten ein „hohes“ oder immerhin „mittleres“ Vertrauen in Forschende. Gemessen wurde das anhand der Zustimmung zu Fragen wie „Wie sehr vertrauen Sie darauf, dass Forschende in diesem Land ihre Arbeit zum Wohle der Gesellschaft machen?“ und „Wie sehr vertrauen Sie darauf, dass Forschende in diesem Land offen und ehrlich Auskunft darüber geben, wer ihre Arbeit finanziert?“. In Australien und Neuseeland sowie in Nord- und Westeuropa war das Vertrauen in Forschende weltweit am größten – dicht gefolgt von Nordamerika, Zentralasien und Südeuropa.

In Deutschland beispielsweise haben 25 Prozent der Bevölkerung laut dem Wellcome-Fragebogen ein „hohes“ Vertrauen in Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, 62 Prozent ein „mittleres“ und nur 12 Prozent ein „niedriges“ Vertrauen. Das ist grob vergleichbar mit den Ergebnissen des aktuellen Wissenschaftsbarometers. Dort hatten 7 Prozent der Befragten in Deutschland angegeben, Wissenschaft und Forschung nicht zu vertrauen. Einen zeitlichen Trend kann die Wellcome-Studie allerdings nicht abbilden, denn der Fragebogen wurde in genau dieser Form zuvor noch nie angewendet. Die Erhebung soll aber von nun an „alle paar Jahre“ wiederholt werden – Genaueres steht noch nicht fest.

Anteil der Befragten, die laut dem Vertrauensindex der Umfrage ein hohes, mittleres oder niedriges Vertrauen in Forschende haben.
Anteil der Befragten, die laut dem Vertrauensindex der Umfrage ein hohes, mittleres oder niedriges Vertrauen in Forschende haben. Grafik: Wissenschaftskommunikation.de

Für Rainer Bromme, Senior-Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Münster, birgt die Studie einige aufschlussreiche Details. So lobt er beispielsweise, dass nicht nur nach dem Vertrauen in Forschende gefragt wurde, sondern auch nach dem Status der Befragten in der Gesellschaft: Wie sie ihre ökonomische Situation einschätzen, wie sehr sie anderen Institutionen wie dem Militär oder der Regierung vertrauen und auf welche anderen Quellen von Wissen sie sich stützen – etwa Freunde und Familie, im Bereich der Medizin auch traditionelle Heiler. Dabei zeigte sich, dass ein größeres Vertrauen in staatliche Institutionen wie Justizsystem, Militär und Regierung auch mit einem größeren Vertrauen in die Wissenschaft einhergeht. Dasselbe gilt für ein besseres finanzielles Auskommen.

Doch auch alle erhobenen Variablen zusammen können nur zum Teil erklären, ob jemand Forschenden Vertrauen schenkt oder nicht. Statistisch gesprochen: 85 Prozent der Varianz in den Antworten der Befragten bleibt unerklärt. „Was noch eine Rolle spielen könnte, hier aber nicht untersucht wurde, ist zum Beispiel die Mediennutzung der Befragten“, sagt Julia Metag. Die Versuchspersonen sollten lediglich angeben, ob sie ein Telefon besitzen und Internetzugang haben. Aus welchen Quellen sie sich aber über wissenschaftliche Themen informieren, wem sie auf Social Media folgen und welche politische Ausrichtung die von ihnen genutzten Medien haben, wurde nicht erfasst.

Eine Frau in Nepal nimmt an der Befragung teil.
Für die Studie wurden Menschen in 144 Ländern befragt – wie hier eine Teilnehmerin in Nepal. Foto: Gallup

Ein weiterer bedeutender Faktor für Vertrauen war die wissenschaftliche Grundbildung: Wer länger wissenschaftlichen Unterricht in der Schule hatte, beurteilt das Treiben von Forschenden wohlwollender. Das mag zunächst trivial klingen – Psychologe Bromme findet den Zusammenhang dennoch bemerkenswert. „Unter Fachleuten gibt es eine Art Konsens darüber, dass das sogenannte Defizit-Modell ausgedient hat, also die Idee: Mangelndes Vertrauen in die Wissenschaft ist die Folge von mangelndem Wissenschaftsverständnis“. Statt eines bloßen Wissensdefizits ziehe man mittlerweile oft „weiche“ Faktoren heran, um die Akzeptanz von Wissenschaft zu erklären, etwa Emotionen oder weltanschauliche Überzeugungen. „Richtig daran ist, dass es keinen einfachen, linearen Zusammenhang zwischen Wissen und Vertrauen gibt. In der Wellcome-Studie zeigt sich aber recht deutlich, dass wissenschaftliche Bildung eben doch eine Rolle spielt: Wer mehr davon genossen hat, vertraut Forschenden allgemein stärker.“ Naturwissenschaftliche Bildung und selbst Faktenwissen komplett aus der Gleichung herauszunehmen, sei deshalb nicht ratsam, so Bromme.

Allerdings: Weder die Schulbildung noch das allgemeine Vertrauen in Forschende ist ein Garant dafür, dass Menschen im Alltag dann auch tatsächlich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen. Ein Beispiel dafür sind Impfungen, auf die der Wellcome Global Monitor besonderes Augenmerk legt – als „wichtige Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Gesundheitswesen“. Das Forschungsteam verweist darauf, dass die Weltgesundheitsorganisation „vaccine hesitancy“, also das Herauszögern oder Ablehnungen von Impfungen, mittlerweile zu den zehn größten globalen Gesundheitsgefahren zählt.

Vier von fünf Befragten halten Impfungen für sicher

Immerhin stimmen weltweit vier von fünf Personen der Aussage zu, dass Impfungen sicher seien, 92 Prozent halten Impfungen für Kinder für wichtig. Allerdings fallen vor allem manche gut entwickelten Weltregionen durch Impfmüdigkeit auf, vor allem Europa und die USA. Während etwa in Bangladesch und Ägypten 97 Prozent der Befragten an die Sicherheit von Impfungen glauben, sind es in Frankreich nur 45 Prozent – 33 Prozent halten sie sogar für unsicher, der Rest war unentschieden. Unsere Nachbarn führen damit weltweit die Liste der impfkritischen Länder an. (In Deutschland stimmten 67 Prozent für sicher und 13 Prozent für unsicher, in Österreich 45 Prozent für sicher und 21 Prozent für unsicher.) Vor allem West- und Osteuropa fallen durch Impfskepsis auf, während der Norden und Süden des Kontinents den Immunisierungen etwas positiver gegenüberstehen. Warum in manchen Ländern wie Frankreich viele Menschen Impfungen skeptisch sehen, obwohl das Vertrauen in Wissenschaft allgemein groß ist, sei ein bislang nicht erklärbarer Widerspruch, schreibt das Forschungsteam.

Roboter in einem französischen Altenheim
Roboter in einem Altenheim nahe Paris: Die Menschen in Frankreich haben allgemein eine positive Einstellung zur Wissenschaft, sind aber gegenüber Impfungen weltweit am kritischsten eingestellt. Foto: Dmitry Kostyukov

„Menschen denken im Alltag selten über ‚die Wissenschaft‘ an sich nach“, sagt dazu Rainer Bromme. „Viel eher haben sie konkrete Probleme zu bewältigen und kommen dabei mit wissenschaftlicher Forschung in Kontakt.“ Die Antwort auf eine sehr allgemein gehaltene Frage wie „Vertrauen Sie Forschenden?“ dürfe man daher nicht überbewerten, da das bei spezifischen Themen schnell anders aussehen kann – nicht nur bei Impfungen, sondern beispielsweise auch beim Klimawandel. „Es scheint, als trete in solchen konkreten Fragen oft die generelle Einstellung gegenüber Wissenschaft in den Hintergrund, zugunsten politischer und weltanschaulicher Überzeugungen“, erklärt Bromme. Bei anderen Fragen aber, die weniger politisch aufgeladen diskutiert werden, würden Menschen durchaus ihr allgemeines Vertrauen in Wissenschaft heranziehen, um ein Urteil zu fällen.

Viele weitere Ergebnisse der umfangreichen Studie harren noch einer genaueren Betrachtung: etwa, dass weltweit Männer ihre Informiertheit über Wissenschaft viel größer einschätzen als Frauen – dieser Unterschied jedoch im nördlichen Europa am stärksten ausgeprägt ist, am geringsten im Nahen Osten. Oder dass in den Weltregionen die Menschen ganz unterschiedlicher Ansicht darüber sind, ob wissenschaftliche Erkenntnisse im Widerspruch zu ihren religiösen Ansichten stehen. Dieser Aussage stimmten vor allem Befragte aus den USA und Südeuropa zu.

Insgesamt zeigt der Wellcome Global Monitor, dass der Zugang zu wissenschaftlichen Informationen vielerorts noch verbessert werden könnte. „Weltweit gesehen gibt es einen Teil der Bevölkerung, der zwar gerne mehr über Wissenschaft erfahren würde, aber nicht aktiv nach Informationen sucht“, sagt Julia Metag. „Aus Sicht der Forschung ist es eine wichtige Frage, wie man diese Gruppen ansprechen und erreichen kann – auch in Ländern, in denen ganz andere soziale und kulturelle Umstände herrschen, als wir sie aus entsprechenden Studien in Deutschland oder der Schweiz kennen.“

 

Die komplette Studie ist hier online verfügbar (PDF).