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Wert und Werte des Wissenschaftsjournalismus

Von der Feinstaub-Debatte bis zu den Fridays for Future: Welche Lehren kann der Wissenschaftsjournalismus aus den Ereignissen des letzten Jahres ziehen? Antworten darauf wurden auf der Wissenswerte 2019 diskutiert. Dorothee Menhart und Michael Siegel von Wissenschaft im Dialog blicken zurück.

Die Wissenswerte, die jährliche Tagung für Wissenschaftsjournalismus in Deutschland, fand in diesem Jahr vom 25. bis zum 27. November in Bremen statt. Eine Frage, die in fast allen Vorträgen, Diskussionen und Workshops mitschwang – mal mehr, mal weniger explizit: Wie kann sich der Wissenschaftsjournalismus in Zeiten eines dramatischen Mediensterbens behaupten? Alte Stärken, neue Wege – das waren die Koordinatenachsen zahlreicher Diskussionen.

Alles neu macht die Mai

Keynote-Sprecherin Mai Thi Nguyen-Kim, erfolgreiche Youtuberin und Journalistin, zeigte, dass Wissenschaftsjournalismus auf vielen Kanälen erfolgreich sein kann, wenn er einige Regeln beherzigt. Nicht nur auf ihrem Kanal sind längere, gehaltvolle Beiträge am erfolgreichsten. Ihre Lektion daraus: Die Zuschauerinnen und Zuschauer wünschen sich keine Clickbaits, sondern Fakten, Argumente und Belege. Dabei könne man dem Publikum durchaus etwas zutrauen und müsse komplexe Inhalte nicht künstlich „runterdummen“. Stattdessen sollten Wissenschaft und Journalismus ihre gemeinsame Stärke ausspielen: Qualität. Ein hoher Unterhaltungswert schade nicht, sei aber auch nicht zwingend nötig. Auch ernsthafte Inhalte würden wahrgenommen, wenn sie gut sind. Das gelte sowohl für alte als auch für neue Medien – denn Qualität sei keine Frage der Plattform. Wenn Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten gut recherchierten, hätten sie größere Chancen als je zuvor.

„Wissenschaft und Journalismus sollen ihre gemeinsame Stärke ausspielen: Qualität. Ein hoher Unterhaltungswert schadet nicht, ist aber auch nicht zwingend nötig.“ Mai Thi Nguyen-Kim

Recherche gegen Staubaufwirbler

Wie wichtig gut recherchierte Geschichten sind, wurde unter anderem in der Diskussion zum Feinstaub-Desaster Anfang des Jahres 2019 klar: Damals war es dem pensionierten Lungenarzt Dieter Köhler gelungen, die Debatte um Fahrverbote aufgrund von Luftschadstoffen binnen weniger Tage völlig zu verkehren. Was lange Konsens zwischen Experten war, nämlich dass der Gehalt an Stickoxiden und Feinstaub in der Luft vielerorts gesundheitsschädlich ist, stand plötzlich infrage. Weder Wissenschaft noch Medien fanden geeignete Mittel, den Thesen Köhlers schnell genug und hinreichend schlagkräftig Fakten entgegenzusetzen. Zahlreiche Journalisten gaben Köhler eine Bühne, er inszenierte sich als Rebell und war für viele Leserinnen und Leser schnell glaubwürdiger als die tatsächlichen Expertinnen und Experten. Erst als die TAZ dem Arzt drei Wochen nach Veröffentlichung seiner verharmlosenden Thesen in diversen Medien schließlich gravierende Rechenfehler nachweisen konnte, wendete sich das Blatt. Ein Parlamentskorrespondent für Wirtschaft und Umwelt hatte nicht einmal besonders aufwändig recherchiert, aber nachgerechnet und festgestellt, dass ein, zwei Nullen mehr oder weniger im Ergebnis einen erheblichen Unterschied machen. Den Fehlinformationen Köhlers aufgesessen waren zunächst nicht Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten, sondern Berichterstattende aus anderen Ressorts. Doch die Einstellung eines Wissenschaftsjournalisten, er habe nicht den Ausputzer spielen wollen, würden heute wohl nur noch wenige teilen: „Wir würden Köhler heute unbedingt ernster nehmen“, sagt Veronika Hackenbroch vom Spiegel rückblickend. Das wäre insbesondere auch deshalb wichtig gewesen, weil Köhler Krudes mit durchaus Richtigem vermischte. Wie der Mediziner und Toxikologe Martin Lohse von der Leopoldina darstellte, hatte Köhler in manchen Bereichen durchaus einen Punkt: Das im Verhältnis am wenigsten schädliche NO2 hatte für die Fahrverbot-Grenzwerte die größte Relevanz.

Prüfen statt Gedanken lesen

„Manchmal liegt es vielleicht auch einfach am mangelnden Durchblick. Viele sind überfordert mit der Auswertung wissenschaftlicher Daten.“ Kirsten Bode
Um die Bedeutung des investigativen Journalismus als Kontrollinstanz ging es auch im Bericht von Patrick Illinger von der Süddeutschen Zeitung, der im Frühjahr 2019 gemeinsam mit zwei Kollegen vom SZ-Magazin eine aufwändige Recherche über die Arbeit des Tübinger Hirnforschers Niels Birbaumer angestellt hatte. Dieser hatte 2017 eine Studie publiziert, laut der es möglich sei, über eine Gehirnkappe mit vollständig gelähmten ALS-Patienten zu kommunizieren. Mittlerweile wurde er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zwar wegen Fehlverhaltens für fünf Jahre vom Fördersystem ausgeschlossen. Doch obwohl – ähnlich wie im Fall des Lungenarztes Köhler – etliche namhafte Fachleute Birbaumers Studie deutlich kritisierten, war kaum jemand bereit, namentlich dafür einzustehen und sich von den recherchierenden Journalistinnen und Journalisten zitieren zu lassen. Laut Illinger bleiben daher Fragen: Wollen Professorinnen und Professoren keine Nestbeschmutzer sein? Kann die Selbstkontrolle in der Wissenschaft überhaupt funktionieren, wenn sich in kleinen Fachgebieten alle kennen und gegenseitig begutachten? Und: Verlieren Journalistinnen und Journalisten schnell einmal die Distanz, wenn sie über Superstars der Wissenschaft berichten? Wollen sie manche Thesen einfach glauben, weil sie so schön sind? Manchmal, so die ZDF-Journalistin Kirsten Bode, liegt es vielleicht auch einfach am mangelnden Durchblick. Viele seien überfordert mit der Auswertung wissenschaftlicher Daten, Statistiken zu lesen und kritisch zu hinterfragen sei eben schwierig. Illinger verwies in diesem Zusammenhang auf Beratungsbüros für Statistik an Universitäten, die auch Journalistinnen und Journalisten beim Lesen und Prüfen helfen. 

Gegenwind für Klimaschutz

In einer weiteren Diskussionsrunde zeigte sich, wie vermeintliche Sachthemen zum Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen werden können. Denn der Rechtspopulismus hat einen neuen Lieblingsgegner: Immer wieder werden Protagonistinnen und Protagonisten von Fridays for Future und Scientists for Future insbesondere in den sozialen Medien heftig angegriffen.

„Um gegen die Unsachlichkeit solcher Kritik anzukommen, ist es wichtig, keine Angst bei der Kommunikation von Unsicherheiten zu haben.“ Stella Schaller
Meist greifen die Populistinnen und Populisten auf altbekannte Argumentationsmuster zurück: Die Wissenschaft sei Teil einer korrupten Elite und damit unglaubwürdig. Zudem stehe der Klimaschutz sinnbildlich für Vieles, was der extremen Rechten grundsätzlich nicht schmeckt: staatliche Eingriffe, internationale Kooperation und Solidarität. Um gegen die Unsachlichkeit solcher Kritik anzukommen, ist es laut Stella Schaller von Adelphi Research, einem in Berlin ansässigen Institut für angewandte Umweltforschung und Politikanalyse, wichtig, keine Angst bei der Kommunikation von Unsicherheiten zu haben. Der seriöse Umgang mit Prognosen sei gerade ein Qualitätsmerkmal von Wissenschaft. Das müsse auch der Journalismus transportieren. Darüber hinaus gelte es, Menschen auch emotional zu erreichen und die Benefits des Umweltschutzes besser zu kommunizieren.

Hat ein gut recherchierender Wissenschaftsjournalismus größere Chancen als je zuvor, wie Mai Thi Nguyen-Kim ihren Eröffnungsvortrag geschlossen hatte? Schön wäre es. Man wünscht es nicht zuletzt dem journalistischen Nachwuchs, der dieses Jahr zum ersten Mal den Weg zu der jährlichen Konferenz gefunden hat.

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.