Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gewinnt auch in der Forschung an Bedeutung. Der Transfer in die öffentliche Kommunikation ist aber oftmals schwierig. Wie man diese Themen vermitteln kann, erklärt Max Appenroth, der am Institut für Public Health der Charité promoviert und als Diversity-Berater arbeitet.
„Wer Vielfalt nicht anerkennt, der verpasst den Zug“
Sie promovieren im Bereich Diversitäts- und Queerforschung. Womit beschäftigt sich dieser Fachbereich?
Diversitäts- und Queerforschung ist noch ein relativ neues Feld, das sich in den letzten 20 Jahren immer weiter etabliert hat. Es kommt ursprünglich aus dem anglophonen Wissenschaftsbereich und ist mittlerweile auch in Europa und in Deutschland angekommen. Der Begriff „Queer“ wurde im Englischen ursprünglich abfällig verwendet, um Leute zu beschreiben, die sich nicht als heterosexuell oder cisgeschlechtlich1 identifizieren. Irgendwann wurde der Begriff aber von den betreffenden Personen als eine Eigenbeschreibung umgedeutet, um das Negative zu entfernen und zu zeigen: „Wir sind etwas Besonderes.“ Der Fachbereich im Allgemeinen setzt sich also mit den Fragen rund um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt auseinander. In meiner Forschung beschäftige ich mich im Speziellen mit Public Health und untersuche den Zugang zu medizinischer Versorgung von transgeschlechtlichen2 Personen. Insbesondere im medizinischen Bereich treffen trans Personen weitestgehend auf Diskriminierung, Unwissenheit und Unsicherheiten von Seiten des medizinischen Personals. Mit meiner Arbeit decke ich die Barrieren zum Gesundheitssystem auf und biete Handlungsansätze, diese Hürden abzubauen.
Neben der Promotion führen Sie mit verschiedenen Personengruppen Workshops und Schulungen zum Thema Diversität und Vielfalt durch. An wen richten sich diese und was sind deren Inhalte?
Ich habe ursprünglich angefangen, mit medizinischen Versorgungs- und Pflegeeinrichtungen darüber zu sprechen, wie diese ihr Angebot für sexuell oder geschlechtlich vielfältige Menschen zugänglicher machen können. Mittlerweile habe ich aber auch mit Forschungseinrichtungen und Universitäten gearbeitet und darüber diskutiert, wie man Forschung so gestalten kann, dass die Lebensrealität von sexuell oder geschlechtlich vielfältigen Menschen adäquat abgebildet wird. Viele Einrichtungen gehen mit einer guten Intention in Forschungsvorhaben, können aber die Lebensrealität von marginalisierten Personen nicht richtig abbilden. Ein Beispiel hierfür ist, wie die Frage nach dem Geschlecht gestellt wird: In den seltensten Fällen wird geschlechtliche Vielfalt berücksichtigt, da nur Unterscheidungen zwischen Mann und Frau gemacht werden und andere Geschlechtsidentitäten meist außen vor bleiben. Es gibt zum Beispiel trans Personen, die sich ausschließlich als männlich oder weiblich identifizieren und ein Kästchen mit „trans“ nicht ankreuzen würden. Um die Geschlechtsidentität dennoch zu erfassen ist es demnach wichtig auch nach dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zu fragen. Mit meiner Arbeit und Forschungserfahrung möchte ich Perspektiven geben, wie Forschung inklusiver und zugänglicher gestaltet werden kann, so dass am Ende auch die richtigen Fragen gestellt werden. Ein weiterer Aspekt, den ich insbesondere mit Unternehmen bespreche, ist der Zugang zu Jobs und die Gestaltung des Arbeitsumfelds.
Inwiefern?
Wie gestalten Sie diese Inhalte zielgruppengerecht?
Das Ziel der Workshops ist bei allen Bereichen grundsätzlich das Gleiche: Es geht darum, die Gesellschaft für Vielfalt zu öffnen und zu zeigen, dass deren Anerkennung niemandem etwas wegnimmt und im Endeffekt gewinnbringend für alle ist. Dadurch, dass dieses Ziel für alle das Gleiche ist, lassen sich die Workshops für die verschiedenen Zielgruppen auch sehr gut anpassen.
Warum ist es wichtig, Themen aus der Diversitäts- und Queerforschung in die breite Öffentlichkeit zu kommunizieren?
Es ist wichtig, weil sexuell und geschlechtlich vielfältige Menschen schlichtweg existieren. Egal um welche Marginalisierung es geht: Wir haben eine diverse Gesellschaft. Wenn wir darüber nicht sprechen, unterdrücken wir damit einen großen Teil der Gesellschaft. Wer Vielfalt nicht anerkennt, der verpasst den Zug, denn diese verschwindet nicht einfach. Je mehr wir kommunizieren, desto mehr erkennen Leute die Vorteile von Vielfalt in der Gesellschaft und desto mehr wird die Angst davor abgebaut.
Was sind die Schwierigkeiten in der Kommunikation?
Eine Schwierigkeit ist, dass in vielen Köpfen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt immer noch als Abnormität verankert ist. Viele Menschen haben Angst vor Veränderung, dabei wissen wir aus Dokumentationen von indigenen Völkern, dass es so etwas wie geschlechtliche Vielfalt schon seit jeher gegeben hat. Obwohl es also keine wirkliche Veränderung ist, handelt es sich hierbei um die größte Hürde in der Kommunikation. Doch auch die Angst vor neuen Begriffen spielt eine Rolle: Bei vielen Leuten entsteht ein totaler Wust im Kopf, wenn sie Begriffe wie „genderqueer“ oder „non-binary“ hören. Sie wissen nicht, dass diese Begriffe eine Bezeichnung für Menschen sind, die sich nicht oder nicht ausschließlich mit den binären Optionen von weiblich oder männlich identifizieren und kommen damit durcheinander.
Abseits von Workshops und Schulungen, welche Möglichkeiten sehen Sie noch, um Themen aus der Diversitäts- und Queerforschung kommunizieren zu können?
Was würden Sie sich noch für die Kommunikation von Themen aus der Diversitäts- und Queerforschung wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass weniger voyeuristisch und reißerisch über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt berichtet wird. Häufig geschieht die Kommunikation aus einer sehr heteronormativen3 Perspektive heraus und es werden Fragen gestellt oder Themen angesprochen, die von der Community als grenzüberschreitend wahrgenommen werden. Ich hoffe, dass noch mehr Forschende anerkennen, dass die Erfahrungen der betreffenden Personen aus ihrer eigenen Lebensrealität heraus Grundlage einer entsprechenden Expertise sind und als solche behandelt werden. Daher wünsche ich mir, die Community mehr zu Wort kommen zu lassen, mehr zuzuhören, stärker einzubeziehen und ihr den Raum zu geben sich zu äußern: Die eigene Perspektive ist schließlich die, die am meisten der Lebensrealität entspricht.