Ist die Zeit reif für ein neues PUSH-Memorandum? Jens Rehländer, Leiter der Kommunikation bei der VolkswagenStiftung, sagt: Wenn nicht jetzt, wann dann? Ein Gastbeitrag.
Wer schreibt endlich PUSH Zwei?
Die Älteren erinnern sich: Am 27. Mai 1999 haben der Stifterverband und die großen Wissenschaftsorganisationen ein „Memorandum Dialog Wissenschaft und Gesellschaft“ feierlich verabschiedet, das seither unter dem Kürzel „PUSH“ („Public Understanding of Science and The Humanities“) geläufig ist.
Nach angelsächsischem Vorbild wollte man damals auch in Deutschland mittels Aufklärung und PR ein großes Publikum für Wissenschaft begeistern – und die Forschenden dafür gewinnen, in dieser Offensive selbst kräftig mitzuwirken.
Beim Wiederlesen ist man erstaunt: Schon 1999 hatten die Unterzeichner eine tiefgreifende Verunsicherung in der Bevölkerung wahrgenommen, was die Rolle der Wissenschaft anlangt. Die Wissenschaften, so heißt es bei PUSH, „verkörpern einerseits den Fortschritt, andererseits werden sie jedoch auch als eine Bedrohung des menschlichen Lebens empfunden“. Wegen ihres hohen Spezialisierungsgrades hätten Forscherinnen und Forscher eigene Sprachen entwickelt, die es Laien unmöglich macht, Inhalte, aber auch Methoden und Verfahren zu durchschauen. Mangelndes Verständnis für Wissenschaft, aber auch „enttäuschte Erwartungen“ und „Wunderhoffnungen können elementare Folgeprobleme auslösen, die von einer Verweigerungshaltung bis zur Hinwendung zur Pseudo-Wissenschaft reichen“.
Diesem Trend wollten sich die Wissenschaftsorganisationen mit geballter Kraft entgegenstemmen. PUSH wurde zur Geburtsstunde von „Wissenschaft im Dialog“ und war der Startschuss für eine atemberaubende Aufrüstung der Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen mit Kommunikationsstäben und Marketingabteilungen.
Es gibt bis heute kein flächendeckendes Anreizsystem
PUSH hat viel Positives bewirkt, keine Frage. Aber etliche der im Memorandum als Selbstverpflichtung formulierten Ziele blieben bis heute unerreicht. Etwa dass wissenschaftsvermittelndes Engagement bei Berufungen oder Förderanträgen als positives Kriterium vermerkt wird, gleichwertig mit Artikeln in peer-reviewed Journals. Es gibt bis heute kein flächendeckendes Anreizsystem – wenn man mal von großen und kleinen Preisen absieht. Wissenschaftler kommunizieren auf eigene Rechnung, bisweilen auch auf buchstäblich eigenes Risiko, weil allzu gehäufte Präsenz in der Öffentlichkeit nach wie vor karrierehemmend sein kann.
Seit PUSH haben sich die Welt und die Wissenschaft in vielerlei Hinsicht verändert. Nicht nur zum Besseren. Wer zum Beispiel hätte gedacht, dass populistische Regimes die Wissenschaftsfreiheit aushöhlen würden? Dass evidenzbasiertes Wissen nicht nur angezweifelt, sondern massiv in Frage gestellt wird? Oder dass wissenschaftsvermittelnde Intermediäre wie die Medien in eine so furchterregende Krise geraten würden?
Die Umstände erfordern Enthusiasmus und Kampfgeist
Klingt pathetisch, ich weiß. Aber ich glaube, die Umstände erfordern eine Mobilisierung von Kräften, Enthusiasmus und Kampfgeist – sofern die Wissenschaft und die in diesem Teilsystem Beschäftigten sich einer Verantwortung stellen, in der sie viele außerhalb des Teilsystems schon länger sehen.
Die Befunde sind im Prinzip klar benannt und auf dem aktuellsten Stand. Man nehme nur mal die Studien WÖM 1 und WÖM 2 zur Hand, lese die Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 2016 oder die Impulspapiere des Siggener Kreises, setze sich mit Citizen Science-Verbänden in Verbindung oder frage bei der Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK) nach, worin man dort die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft sieht.
Um mit einem neuen PUSH-Memorandum einen neuen Aufbruch ins Werk zu setzen, braucht es also keiner umständlichen und zeitaufwendigen Recherchen. Liegt alles vor. Und manche Passage von PUSH eins kann direkt ins Update hineinkopiert werden.
Bis zum 27. Mai 2019 sind es noch fast 13 Monate. Dann feiert PUSH das 20. Jubiläum. Kriegen wir bis dahin ein neues, die Wissenschaft und die Gesellschaft gleichermaßen mobilisierendes Memorandum hin?
Wer fängt an?
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.