Ortsschild der Gemeinde Gangelt. Foto: Wikipedia Commons (CC-BY-SA 3.0)

Wer kommuniziert denn da?

Wenn Forscher sich Worte in den Mund legen lassen, geben sie ihre Integrität preis. Die Kampagne von Storymachine zur Covid-19-Forschung des Virologen Hendrik Streeck erwies sich als großer kommunikativer Fallstrick mit unsauberer Trennung von Interessen und politischem Agendasetting. Ein Kommentar von Beatrice Lugger.

Die Kommunikationskampagne um die Heinsberg-Studie gibt Anlass für eine Besprechung der ethischen Richtlinien in der Wissenschaftskommunikation. In unserer Kommentarreihe zum „Fall Heinsberg“ ordnen Praktikerinnen und Praktiker des Feldes die Geschehnisse ein und zeigen auf, was wir aus ihnen lernen können. Den Anfang macht Beatrice Lugger, Direktorin und Geschäftsführerin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation.*


Nun ist die Heinsberg-Studie abgeschlossen und im Preprint veröffentlicht. Zeit für einen Rückblick auf das, was am Rande zu dieser Studie kommunikativ insbesondere über das sogenannte Heinsberg-Protokoll gelaufen ist.

Eine Frage bleibt: War es wirklich Zeitnot, die den anerkannten Bonner Professor für Virologie Hendrik Streeck dazu gebracht hatte, die Mesalliance mit der Agentur Storymachine einzugehen? Zumindest nannte dies einer der drei Agentur-Mitinhaber Michael Mronz im Kölner Stadtanzeiger als einen Grund: Der ihm privat schon langjährig bekannte Forscher Streeck habe ihm zu Beginn der Heinsberg-Studie häufiger erzählt „wie viel Zeit ihn das öffentliche Kommunizieren seiner Arbeit kostet“. Deshalb das Kommunikations-Hilfsangebot von Storymachine.

Diesem Argument stehen allerdings die Fernsehauftritte und Interviews des souverän kommunizierenden Virologen Streeck mit klaren Botschaften entgegen. Und auch in seinem eigenen Twitter-Account zwitschert er während der Studienerhebung in der ersten Aprilhälfte regelmäßig und versiert weiter.

Warum also eine zusätzliche siebentägige PR-Kampagne unter dem Namen „Heinsberg Protokoll“ auf Twitter und auf Facebook, die noch dazu inhaltlich nicht mehr vermittelt als Blutabnahmen, Labortests auf Covid-19-Antikörper, Kisten, die gepackt werden, und Forscher, die in kleinen Videos bereits bekannte Verhaltenstipps geben?

Wenig verborgen lässt sich die Frage mit dem ersten Tweet vom 6. April recht deutlich beantworten. Dort steht: „Unser Forschungsziel: schnell Fakten zu #COVID19 liefern, damit die Bundesregierung Maßnahmen oder Lockerungen erarbeiten kann. Je schneller wir erste Erkenntnisse teilen können, desto eher kehren wir in unseren gewohnten Alltag zurück.“ Dazu noch ein Bild von Streeck und ein Zitat aus dessen eigenem Twitter-Account: „Es geht hier nicht um Meinungen, das Ziel ist es, eine Faktenbasis zu schaffen.“

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Das klingt nach einer Forschung, die nur noch das belegen soll, was man politisch für richtig hält. Das zehnköpfige PR-Team von Storymachine unterstützt also mit einer politischen Kampagne und zwar nicht nur indem sie zwei Social-Media-Kanäle betreibt.

Wirklich kritisch ist ein Papier, das der Zeitschrift Capital vorliegt. Das Papier war von Storymachine im Vorfeld der Kampagne an mögliche Sponsoren derselben verschickt worden. Darin finden sich laut Capital Sätze, die wir eins zu eins im privaten Twitterkanal von Streeck nachlesen können. Beispielsweise oben genanntes Zitat zu Meinungen und Faktenbasis. Zudem weist ein Zeitplan mit verschiedenen Zielen und Messages in dem Papier auf eine klare PR-Strategie mit dem politischen Ziel hin, die „Situation entlang wissenschaftlicher Erkenntnisse so schnell wie möglich wieder zu normalisieren“, wie Capital zitiert.

Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, dessen herausragende Kommunikation in der Corona-Pandemie mit einem einmaligen Sonder-Communicator-Preis von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Stifterverband gewürdigt wurde, äußerte gegenüber der Süddeutschen Zeitung zur Heinsberg-PR von Storymachine: „Ich finde das alles total unglücklich und ich finde es noch schlimmer, dass diese PR-Firma Geld bei Industriepartnern eingesammelt hat, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.“ Bezüglich der Tweets und Aussagen von Streeck, die anscheinend wortwörtlich von der Agentur vorverfasst waren, zeigt er sich entsetzt: „Da weiß ich einfach nicht mehr, was ich noch denken soll. Das hat mit guter wissenschaftlicher Praxis nichts mehr zu tun. Und es zerstört viel von dem ursprünglichen Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft.“

„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürfen sich sicher nicht vor einen politischen Karren spannen lassen. Nicht in der Forschungsarbeit ... und schon gar nicht in der Kommunikation.“ Beatrice Lugger

Es ist in der Tat wichtig, dass Wissenschaft nicht der Politik versucht zu diktieren, was sie zu tun hat. Und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürfen sich sicher nicht vor einen politischen Karren spannen lassen. Nicht in der Forschungsarbeit – hier sind entsprechend der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis Unabhängigkeit, Ergebnisoffenheit und Objektivität wichtig – und schon gar nicht in der Kommunikation.

Christian Drosten achtet bei allen Gesprächen und Interviews penibel auf eine klare Trennung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und möglichen Ableitungen für Entscheidungen, die allerdings die Politik treffen müsse. Drosten zahlt auf alle drei zentralen Vertrauensfaktoren in der Kommunikation ein. Er ist absoluter Experte auf seinem Gebiet, analysiert mit seinem Expertenwissen auch Studien anderer Forschungsgruppen und ordnet deren Ergebnisse ein. Seine anhaltenden Hinweise auf noch unklare Faktenlagen, wegen derer man die Epidemie besonders ernst nehmen müsse, zahlen ein auf die sogenannte Benesolvenz. Und seine Integrität untermauert Drosten mit seiner eindeutigen Positionierung als Biowissenschaftler. Er sei eben kein Wirtschaftsexperte oder Politiker.

Diese Integrität hat Hendrik Streeck mit der von Storymachine begleiteten und anscheinend auch teilweise angeleiteten Kommunikation aufs Spiel gesetzt. So integer er in seiner Forschung auch sein mag. So eindeutig er ein Experte ist und seine politischen Bestrebungen ihm selbst als gemeinwohlorientiert erscheinen mögen. Es wird einiges an Kommunikation und vielleicht auch Kommunikationsberatung aus dem eigenen Haus bedürfen, um das ins Wanken geratene Vertrauen in ihn öffentlich wieder zu stärken.

Bezüglich der Frage, ob die Ergebnisse der abgeschlossenen Studie eher eine Lockerung oder eine weiterhin stark angezogene Handbremse im Umgang mit der Epidemie nahelegen, zog Streeck im Gespräch mit Klaus Kleber im Heute Journal diesmal eine saubere Grenze: „Ich bin Virologe und Infektionsepidemiologe. … Ich kann keine Empfehlungen an die Politik geben. Das ist wirklich eine Aufgabe der Politik und der Gesellschaft.“


Für einen Überblick zum Geschehen dieses Kommunikationskrimis ein paar Fakten in aller Kürze:

  • Das Land Nordrhein-Westfalen unter Ministerpräsident Armin Laschet fördert mit 65.000 Euro eine Studie im Covid19-Hot-Spot Gangelt im Landkreis Heinsberg. Die Antikörperstudie soll zeigen, wie verbreitet das Virus dort bereits ist.
  • Die Studie wird von Hendrik Streeck und seinem Team der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn erstellt.
  • Michael Mronz, neben Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, und Ex-Stern.de-Chefredakteur Philipp Jessen Gründer der PR-Agentur Storymachine, ist mit Streeck schon lange privat bekannt und bietet eine begleitende Kampagne an – durchgeführt von einem zehnköpfigen Team.
  • Vom 6. bis 12. April ist das Heinsberg-Protokoll auf Twitter und Facebook aktiv.
  • Am Gründonnerstag stellt Streeck in einer Pressekonferenz in Anwesenheit von Ministerpräsident Laschet einen vorläufigen Zwischenstand von 500 Probanden in Gangelt vor. Im entsprechenden Papier steht „Dies bedeutet, dass sich 15 Prozent der Bevölkerung in Gangelt nicht mehr mit Sars-CoV-2 infizieren können, und der Prozess bis zum Erreichen einer Herdenimmunität bereits eingeleitet ist.“
  • In diesem Papier wir auch ein Vier-Phasen-Modell als schrittweiser Weg aus der Quarantäne vorgestellt. Und Streeck wird im Heinsberg-Protokoll zur Pressekonferenz zitiert: „Wir haben gelernt, wie wir uns hygienisch richtig verhalten. Das ist eine wichtige Voraussetzung, die es ermöglichen könnte, in Phase 2 einzutreten.“ Phase 2 bedeutet: Beginnende Rücknahme der Quarantänisierung bei gleichzeitiger Sicherung hygienischer Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen.
  • „Der Grund, dass man die Ergebnisse unbedingt noch vor Ostern präsentieren wollte, sei gewesen, dass nach Ostern ja entschieden werden solle, wie es mit den strengen Maßnahmen weitergeht“, sagte Streeck gegenüber Zeit Online.
  • Es folgte Kritik sowohl wegen wissenschaftlicher Fragestellungen (etwa die Verteilung der Stichprobe über verschiedene Haushalte) als auch wegen unklarer Formulierungen (zum Beispiel eine argumentative Übertragung der Daten aus dem Covid-19-Hot-Spot für Lockerungen in ganz Deutschland) und schließlich zur Storymachine-Kampagne (zum Beispiel der Co-Finanzierung der Kampagne durch zwei Unternehmen).
  • Die inhaltliche Qualität der Kampagne kommentierte beispielsweise Jens Rehländer auf Meedia.de als eine „Marketingrakete mit Gleiß und Glimmer“, von haarsträubender Qualität und „totaler Informationsleere“, die schnell wieder erlosch.
  • Capital schreibt zu den 22 Seiten, die der Zeitschrift vorliegen und mit denen Storymachine Sponsoren für das PR-Projekt suchte, diese „lesen sich wie eine Art Drehbuch für die Inszenierung der Studie und ihrer erhofften Ziele“.
  • Laut dem PR-Journal beschäftigt sich der Deutsche Rat für Public Relations seit Mitte April mit dem Engagement von Storymachine in Form des Heinsberg-Protokolls.
  • Am 4. Mai 2020 haben Hendrik Streeck und sein Team nach Abschluss der Studie ein Preprint veröffentlicht. Daraus geht auch hervor, dass die Blutproben und Daten in Gangelt bereits zwischen 31. März und 6. April 2020 entnommen wurden. Die PR-Kampagne unter dem Namen Heinsberg-Protokoll – auch mit Bildern von Probenentnahmen – startete erst am 6. April 2020.
  • Update: Am 4. Juni sprach der Deutsche Rat für Public Relations eine Rüge gegen Storymachine aus.

 

*Das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) ist einer der drei Akteure, die diese Plattform betreiben. Beatrice Lugger ist als Direktorin des NaWik Teil unseres Teams.