Wie kommt es in der Öffentlichkeit an, wenn Wissenschaftler*innen eigene Befunde in Frage stellen und für Reformen in ihrem Fachbereich plädieren? Zwei Studien eines Münchener Forschungsteams um Marlene Sophie Altenmüller legen nahe: Genau das wird von Forschenden erwartet.
„Wenn wir keine Selbstkritik üben, fällt das auf“
Frau Altenmüller, in zwei Studien haben Sie sich mit der Wirkung von Selbstkritik und Reformintentionen auf die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftler*innen beschäftigt. Was hat Sie daran interessiert?
In meiner Forschung beschäftige ich mich damit, was passiert, wenn Wissenschaftler*innen hinter ihren Befunden hervortreten und auch eigene Gedanken, Gefühle und Bedenken äußern. Gleichzeitig wird insbesondere in der Psychologie viel darüber debattiert, wie Wissenschaft durch Reformen besser und verlässlicher werden kann. Daraus hat sich bei meinem damaligen Bacheloranden Stephan Nuding und mir die Frage entwickelt: Was ist, wenn Wissenschaftler*innen in der Öffentlichkeit zugeben, dass sie Bedenken bezüglich ihrer eigenen Befunde haben oder sagen: Wir sollten unsere Herangehensweise und Methodik verbessern? Besonders inspiriert hat uns das Loss-of-Confidence-Project von Julia M. Rohrer. Sie hat Statements von teilweise sehr namhaften Forschenden gesammelt, die öffentlich bekannt haben, dass sie nicht mehr so viel Vertrauen in ihre Befunde haben. Wir wollten wissen, was es mit wissenschaftlichen Lai*innen macht, wenn sie so etwas hören. Zerstört das ihr Vertrauen in die Wissenschaft? Oder zeigt das: Wissenschaft versucht ständig, sich zu verbessern?
Welche Befürchtungen haben Wissenschaftler*innen, wenn sie öffentlich Selbstkritik üben?
Es gibt dazu noch nicht so viele Befunde. Aber wir wissen aus früheren Studien zum Beispiel, dass Wissenschaftler*innen die Konsequenzen überschätzen, wenn sie Fehler eingestehen. Sie fürchten, dass es so aussieht, als hätten sie geschlampt und keine gute Arbeit gemacht. Und, dass sich das negativ auf ihren Ruf ausübt. Wissenschaftler*innen sind auch nur Menschen. Ihnen fällt es schwer zu sagen: Ja, da habe ich wohl einen Fehler gemacht. Möglicherweise ist das aber auch etwas, was signalisiert: Ich gucke hin, bin integer und weise darauf hin, wenn etwas nicht stimmt.
Wie sind Sie an das Thema herangegangen?
Um welche Reformbewegungen geht es?
Momentan werden eine Vielzahl von Maßnahmen diskutiert und oft wurde in Studien dazu sehr spezifisch gefragt: Was halten Sie davon, wenn wir diese oder jene Maßnahme umsetzen? Wir wollten es ein bisschen anders machen, weil wir überlegt haben: Vielleicht ist es für wissenschaftliche Lai*innen erst einmal gar nicht so wichtig, was genau gemacht wird, sondern vor allem, was die Reformen bezwecken sollen. In unserem Interview erläutert der Wissenschaftler, wie Reformmaßnahmen – in diesem Fall Transparenz – Wissenschaft verbessern können. Zum Beispiel, weil dadurch Fehler früher entdeckt werden können. Dann wird er gefragt: Wie sieht das in ihrem Feld aus? Braucht es im Allgemeinen Reformmaßnahmen? Wir haben das also auf einem übergeordneten Level gehalten, damit man besser generalisieren kann. Wenn es nur um eine bestimmte Reformmaßnahme geht, kann man auch nur Aussagen über dieses Beispiel treffen. Wir wollten aber eher wissen, wie es ankommt, dass überhaupt über Reformen gesprochen wird.
Was haben Sie herausgefunden?
Außerdem wollten wir wissen: Wir wirken sich seine Antworten auf die Bereitschaft der Befragten aus, sich weiter mit seiner Forschung auseinanderzusetzen? Auch hierbei zeigten sich positive Effekte. Wenn der Forscher gesagt hat: Ich möchte Reformbedingungen umsetzen, haben die Teilnehmenden eher gesagt: Ich möchte das Interview, von dem wir nur einen Ausschnitt gezeigt hatten, noch weiter lesen.
Und in der zweiten Studie?
In der zweiten Studie wollten wir uns absichern, ob wir dasselbe Muster noch einmal finden und den Effekten noch genauer auf den Grund gehen. Wir haben aber nicht mehr das Ausmaß der Reformbereitschaft angeguckt, sondern nur: Reformbedingungen „ja“ oder „nein“ und Selbstkritik „ja“ oder „nein“. Außerdem haben wir je eine Kontrollbedingung, also eine neutrale Äußerung im Interview, eingefügt, um genauer sagen zu können, wo die Unterschiede in der ersten Studie tatsächlich herkamen.
Auch die zweite Studie zeigt: Selbstkritik zu äußern und Reformbedingungen zuzustimmen ist nicht schädlich, sondern eher gut. Tatsächlich hat sich in Studie zwei aber gezeigt: Noch schlimmer als neutral zu antworten, war sich explizit nicht selbstkorrektiv zu verhalten und zu sagen, dass die eigenen Befunde feststehen oder dass es keine Reformbedingungen braucht: Der Wissenschaftler und seine Befunde wurden dadurch deutlich negativer bewertet. Im Gegensatz dazu führte vor allem Reformwille in Studie zwei zu positiven Effekten. Insofern können wir schlussfolgern, dass keine Gefahr darin zu bestehen scheint, Selbstzweifel zu äußern und kritisch mit der eigenen Arbeit umzugehen. Die Sorge, dass man inkompetent erscheinen könnte, ist unbegründet. Zu sicher in seinen Aussagen und seiner Arbeitsweise zu sein, scheint hingegen etwas zu sein, was Leuten auffällt und sowohl die Vertrauens- und Glaubwürdigkeit reduziert, als auch die Bereitschaft, sich mit der Forschung auseinanderzusetzen.
Also ist es nicht nur ein Plus, wenn Wissenschaftler*innen Selbstkritik üben. Wenn sie es nicht tun, kann das negativ auffallen?
Wen haben Sie befragt?
Wir hatten bei beiden Online-Studien mehr als 300 Teilnehmende, also insgesamt etwa 700. Es gab bis auf ein Mindestalter und Deutschkenntnisse keine Teilnahmevoraussetzungen. Allerdings hatten auch wir ein typisches Problem von vielen psychologischen Studien: Es haben überdurchschnittlich viele Frauen teilgenommen und es waren eher Menschen, die grundsätzlich Interesse an Wissenschaft haben. Das ist also kein bevölkerungsrepräsentatives Sample, aber trotzdem relativ vielfältig, was es beispielsweise das Alter angeht.
Welche Fragen bleiben offen?
Ich glaube, es wäre sehr spannend, sich das noch mal mit einem diverseren Sample anzugucken. Vielleicht mit einem, in dem auch wissenschaftsskeptische Menschen vorkommen. Denn wir wissen aus anderen Forschungen, dass Menschen oft versuchen, Wissenschaft abzuwerten, wenn diese nicht ihrem Weltbild entspricht. Ich könnte mir vorstellen, dass es dann auch negativ ausgelegt werden kann, wenn ein*e Wissenschaftler*in zugibt, früher mal einen Fehler gemacht zu haben. Aber wer weiß, vielleicht kommt es auch positiv an und die Teilnehmenden sagen: Wenigstens stellen sich Wissenschaftler*innen nicht als Wissenselite dar, die alles weiß und nicht zweifelt. Vielleicht ist es auch hier gut, wenn man sagt: Auch wir sind nicht unfehlbar.
Worüber wir auch keine Aussage treffen können, sind die Auswirkungen von selbstkorrektivem Verhalten auf die Wissenschaft an sich. Denn in dem Interviewformat haben wir nur einen einzelnen Forscher präsentiert. Ob sich diese individualisierten Zuschreibungen generalisieren lassen, ist eine offene Frage: Können solche Erfahrungen mit einzelnen Wissenschaftler*innen die Meinung über die Wissenschaft im Ganzen verändern?
Werden Sie auf Grundlage dieser Ergebnisse weiter forschen?
Wir wollen auf jeden Fall an dem Thema dranbleiben, auch, weil es für die aktuellen Reformbewegungen in der Psychologie sehr relevant ist. Eine Frage dabei ist, wie man die Reformen gut begleiten und in die Öffentlichkeit bringen kann. Deshalb fand ich interessant, dass offen kommuniziertes, selbstkorrigierendes Verhalten auch dazu führt, dass Lai*innen geneigter waren, sich mehr mit der Forschung auseinanderzusetzen. Das könnte vielleicht bedeuten, dass Diskussionen um Reformen in der Psychologie auch für die breite Öffentlichkeit ein Türöffner für mehr Auseinandersetzung mit der Wissenschaft sein könnten.
Altenmüller, M. S., Nuding, S., Gollwitzer, M. (2021). No harm in being self-corrective: Self-criticism and reform intentions increase researchers’ epistemic trustworthiness and credibility in the eyes of the public. Public Understanding of Science. https://doi.org/10.1177/09636625211022181