Geschlechterforscher*innen sind häufig mit Vorurteilen, Aggression und Hass konfrontiert. Wie in der Wissenschaftskommunikation mit diesen und weiteren Herausforderungen umgegangen werden kann, erklärt Andrea Geier, Professorin für germanistische Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Gender Studies.
„Wenn es Kommentarspalten gibt: nicht lesen!“
Welche Herausforderungen sehen Sie in der Wissenschaftskommunikation der Gender Studies?
Als Geschlechterforscher*in sichtbar zu sein, bedeutet im Wesentlichen, Expert*in für alles zu sein, wo aus einer Öffentlichkeitsperspektive ‘Gender’ draufsteht. Die zentrale Herausforderung ist, den eigenen disziplinären Standpunkt innerhalb der Gender Studies auch sichtbar zu machen. Ich werde als Literatur- und Kulturwissenschaftlerin sehr oft für Themen angefragt, die außerhalb meiner eigenen wissenschaftlichen Komfortzone liegen.
Wodurch entstehen die Aggressionen in Debatten, bei denen Geschlechterforschung involviert ist?
Das Besondere an der Geschlechterforschung ist, dass sie schon so lange dieser heiße Debattenraum ist. Wir haben kontinuierlich seit den 1990ern, mit einem Anstieg vor allem seit den 2000er Jahren, im Grunde mit denselben Vorurteilen und derselben Aggressivität zu kämpfen. Die Akteur*innen wechseln ein wenig. Die AfD ist als laute Akteursgruppe hinzugekommen, aber ganz grundsätzlich ist die Front, aus der die Angriffe kommen, und die Vorurteile – Stichworte sind hier “Ideologie”, “Gendergaga”, “Gendergedöns” – sehr verhärtet. Dieses negative Framing wird auch oft von den Massenmedien aufgegriffen, wodurch dieser – mehrheitlich rechte – Diskurs viel Aufmerksamkeit bekommt.
Geraten durch die kontroversen Debatten die eigentlichen Themen und Ergebnisse der Geschlechterforschung in den Hintergrund? Wie könnte die Wissenschaftskommunikation hier gegenwirken?
Hier muss ich etwas sagen, was der professionellen Wissenschaftskommunikation nicht unbedingt gefällt, nämlich: Viel hilft offenbar nicht unbedingt viel. Informationen sind verfügbar und zwar gerade in Bezug auf die populärsten Vorwürfe. Die Einstellungen gegenüber der Geschlechterforschung sind häufig so verhärtet, dass es gar nicht immer etwas bringt, Fakten zu benennen, denn angebotenes Wissen wird nicht unbedingt auch angenommen. Eine wichtige Strategie ist deshalb nicht nur immer wieder inhaltlich aufzuklären, sondern Propaganda, die sich gegen die Gender Studies richtet, auch als Propaganda auszuweisen. Man muss nicht nur den Ideologievorwurf klar zurückweisen, sondern auch sagen: Die Vorwürfe gegenüber den Gender Studies sind ideologisch motiviert.
Es gibt hierbei nicht nur eine Taktik, sondern viele. Natürlich sollte man weiterhin versuchen, die einen zu erreichen, indem man Fakten liefert. Gleichzeitig aber sollte man die Skandalisierung und Diffamierungen des Feldes und der Forscher*innen als bewusst irreführend aufzudecken. Es sind häufig Skandalisierungen und Diffamierungen, die wissenschaftsfeindlich sind.
Was könnte es für Strategien geben, um die Geschlechterforschung in diesem aggressiven Umfeld zu unterstützen?
Ich wünsche mir eine breitere Sichtbarkeit von Allies. Es sollte sichtbarer sein, wie selbstverständlich Geschlechterforschung in verschiedenen jeweiligen Disziplinen ist. Es wäre schön, wenn Kolleg*innen, die sich nicht selbst in den Gender Studies verorten, das auch öffentlich mehr kommunizieren würden. Die Geschlechterforschung hat also ein so breites disziplinäres Spektrum, dass es eigentlich eine Menge “Verbündete” geben müsste – von den Agrarwissenschaften bis zur Wirtschaftswissenschaft, gleichzeitig gibt es natürlich Schwerpunkte in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Das gelingt noch nicht, vermutlich weil manche schlicht auch froh sind, dass sie nicht im Zentrum der Angriffe stehen und vermeiden, in die ‚heiße Zone‘ zu geraten.
Das Wort ‘Gender’ fällt im Journalismus wahrscheinlich häufiger im Feuilleton als im Wissenschaftsteil. Welche Verantwortung sehen Sie im Journalismus bzw. Wissenschaftsjournalismus bei der Behandlung von Themen der Gender Studies?
Journalist*innen sollten nicht immer nur von der Position der Abwehr ausgehen, sondern von der Position der Normalität und Akzeptanz. Nicht der Gegenwehr, sondern der Selbstverständlichkeit der Geschlechterforschung sollte Raum gegeben werden. Überzeugen kann die geleistete Arbeit, und für die braucht es Raum. Nicht nur für verteidigende Statements. Für den Wissenschaftsjournalismus kann das bedeuten, dass mehr über Studien aus den Gender Studies berichtet wird – hier fehlt allerdings oft auch entsprechende Expertise. Das ist Aufgabe der Redaktionen, sich hier breiter aufzustellen. Es sollte nicht nur aus einer gesellschaftspolitischen Perspektive über das Feld berichtet werden, sondern vor allem aus einer wissenschaftlichen.
Was sind Best-Practice-Beispiele für gute Wissenschaftskommunikation aus den Gender Studies?
Positiv ist für mich alles, wo wissenschaftliche Expertise sichtbar werden kann. Das ist für mich dann an sich schon ein gelungenes Format – jedes Interview, Beiträge auf YouTube, Instagram oder TikTok, jedes gute Gespräch als Podcast oder auf Twitch, egal wo, weil durch überzeugende Inhalte automatisch eine Wirkung für die Anerkennung des Faches entfaltet wird. Die Anerkennung kann nicht kommen, indem wir nur immer wieder sagen “Man braucht uns!”, sondern indem wir zeigen können, welchen Mehrwert die Forschung hat, und das können Beiträge im Journalismus wie auch in der Wissenschaftskommunikation einzelner Forscher*innen leisten.
Wissenschaftliche Institutionen können dabei nicht nur Forschungsergebnisse sichtbar machen, sondern auch einfach breitere Schaufenster in Forschung und Lehre öffnen – ich nenne hier nur einmal als Beispiel das Margherita-von-Brentano-Zentrum. Aber es darf auch Eventcharakter haben wie bei den Aktivitäten am Wissenschaftstag #4GenderStudies, an dem jährlich seit 2017 deutschlandweit sowie auf Social Media mit verschiedenen Veranstaltungen die disziplinäre Vielfalt des Feldes gezeigt wird. Auch wenn Kritik an Gender Studies in der öffentlichen Kommunikation leider zu viel Aufmerksamkeit bekommt, ist gleichzeitig erfreulicherweise der Normalfall das Gelingen.
Welche Entwicklungen und Trends sehen Sie in der Wissenschaftskommunikation und wie beeinflussen diese die Geschlechterforschung?
Die positive Entwicklung ist, dass die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften als „Leerstellen” in der Wissenschaftskommunikation sichtbar sind. Ob diese Leerstellen tatsächlich bearbeitet werden und wie, müssen wir beobachten. Wenn gesellschaftliche Transformationsprozesse aus wissenschaftlicher Perspektive öffentlich verhandelt werden, wird bislang die Aufmerksamkeit häufig ausschließlich auf die Naturwissenschaften gerichtet. Hier sollten auch andere Disziplinen und deren Relevanz sichtbar gemacht werden. Nicht als verkürzter Nützlichkeitsdiskurs, sondern in einem reflexiven Modus. Das könnte der Sichtbarkeit von geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Geschlechterforschung helfen. Gleichzeitig gibt es Tendenzen, die ganz verschiedene Dimensionen des wissenschaftlichen Arbeitens betreffen. In vielen wissenschaftlichen Projekten, selbstverständlich auch im MINT-Bereich, werden Fragen von Vielfaltsdimensionen und Diversität mitgedacht, und das könnte noch stärker in den Vordergrund der Wissenschaftskommunikation rücken.
Welchen Rat geben die Geschlechterforscher*innen, die Wissenschaftskommunikation betreiben oder es sich überlegen?
Wenn man mit selbstvermittelter Wissenschaftskommunikation anfangen möchte (also in den Entscheidungen freier ist als zum Beispiel im Kontext eines Projekts) sollte man auf einer Plattform beginnen, auf der man die kommunikativen Dynamiken einschätzen kann und auf der man sich als Kommunikator*in wohlfühlt. Man sollte sich die Fragen stellen: Wo kenne ich mich aus? Wo habe ich ein Umfeld, wo ich weiß, wie man kommuniziert?
Ein anderer Rat, den man vor allem Geschlechterforscher*innen geben kann, ist, wenn Du ein Interview gegeben hast, bei dem es Kommentarspalten gibt: nicht lesen! Da sammeln sich im wesentlichen die allgemeinen und uninformierten Widerstände, manchmal kämpfen Leute auch dagegen und das ist auch gut, aber das muss nicht die Aufgabe einzelner Geschlechterforscher*innen sein.