Furcht vor Krankheiten, Ekel vor Operationen: In der Gesundheitskommunikation wird auch auf negative Emotionen gesetzt. Welche Wirkungen das hat und warum inzwischen positive Gefühle eine stärkere Rolle spielen, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Alexander Ort.
Weniger Scham, mehr Stolz: Emotionen in der Gesundheitskommunikation
Herr Ort, was löst es bei Ihnen aus, wenn Sie auf Zigarettenschachteln Bilder sehen, die abschrecken sollen – beispielsweise von Operationen bei einem Lungenkarzinom?
Bei mir löst das – wie bei vielen anderen auch – erst einmal Ekel aus. Zigarettenschachteln sind ein interessantes Beispiel, weil die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Emotionen in der Gesundheitskommunikation – und insbesondere Modelle zum Gesundheitsverhalten – mit Anti-Raucher-Kampagnen begonnen hat, beziehungsweise darauf basiert. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Health-Belief-Model, das wir aus der Gesundheitspsychologie kennen und das ursprünglich entwickelt wurde, um zu verstehen, wie präventive Gesundheitsmaßnahmen wirken.
An dem Beispiel sieht man, dass Emotionen miteinander zusammenhängen. Zuerst lösen die Bilder Ekel aus und dadurch empfinden wir irgendwann Angst, weil wir das selbst nicht erleben möchten. Spannend ist die Erkenntnis, dass solche Bilder bei Nichtraucher*innen besser funktionieren als bei Raucher*innen. Sie bringen Raucher*innen nicht vom Rauchen ab, aber sie halten Nichtraucher*innen eher davon ab, damit anzufangen. Deshalb funktioniert das bei mir als Nichtraucher zumindest am Anfang ganz gut.
Wieso am Anfang?
Wenn man so etwas öfter sieht, stumpft man ab. Anfangs lösen sie einen gedanklichen Prozess aus, aber mit der Zeit gewöhnen wir uns daran. Je öfter man Emotionen durchlebt, die in einer bestimmten Situation durch die gleichen Faktoren ausgelöst werden, desto weniger wirksam sind sie. Wir sind gut darin, negative Emotionen – auch unterbewusst – zu vermeiden.
Wir haben in der Pandemie gut gesehen, dass sich bestimmte Strategien schnell abnutzen. Wenn Menschen mit negativen Emotionen wie Furcht konfrontiert sind, dann wirkt das irgendwann nicht mehr.
Es ist wahrscheinlich gar nicht so einfach zu untersuchen, ob Menschen über kurzfristige emotionale Reaktionen hinaus auch ihre Einstellungen und ihr Verhalten ändern?
Wenn wir emotional angeregt oder aktiviert sind, erhöht sich die Chance, dass wir die Information, die damit zusammenhängt, besser verarbeiten. Das wissen wir aus der Forschung. Die Botschaft bleibt uns dann besser im Gedächtnis und kann letztendlich unser Urteil beeinflussen und zu einer Verhaltensänderung führen.
Es geht aber auch andersrum: Gedanken können Emotionen beeinflussen. Wenn ich eine schlechte Meinung vom Rauchen habe, kann das dazu führen, dass ich Angst habe zu rauchen oder Rauch ausgesetzt zu sein. Wenn ich selbst schon erfahren habe, welche gesundheitlichen Folgen Übergewicht haben kann, kann es sein, dass ich negative Emotionen voraussehe, die mit erneuter Gewichtszunahme zusammenhängen. In der strategischen Kommunikation werden also beide Richtungen adressiert.
Welche Wirkung haben Emotionen wie Angst und Ekel in der Kommunikation?
Solche Basisemotionen haben uns – evolutionspsychologisch gesprochen – in Gefahrsituationen geholfen. Einfach gesagt: Es hat dazu geführt, nicht vom Säbelzahntiger gefressen zu werden. Angst und Ekel funktionieren in der Kommunikation gut, weil uns einprogrammiert ist, dass wir auf solche Reize reagieren. Gerade bei Plakaten oder Zigarettenschachteln, die bei einem einzigen flüchtigen Blick wirken müssen, eignen sich solche Grundemotionen sehr gut.
Andere negative Gefühle sind Scham und Schuld. Wie wirken sie auf uns?
Werden diese Emotionen auch in der Gesundheitskommunikation eingesetzt?
Ja. Es gab zum Beispiel von der Michael Stich Stiftung Aids-Kampagnen mit Plakaten, auf denen eine Mutter mit einem Kinderwagen in Form eines Sarges zu sehen ist. Dabei ging es um die Übertragung von HIV durch die Mutter auf das Kind. Die Eltern werden in die Pflicht genommen und suggeriert, sie sollten sich anders verhalten.
Auch beim Thema Männergesundheit gibt es Kampagnen, die nicht unbedingt direkt über das Gefühl von Schuld, aber über Verantwortung funktionieren. Beides hängt zusammen. Frauen werden in die Pflicht genommen, ihre Männer darauf hinzuweisen, zur Prostata-Vorsorge zu gehen. Das ist zwar in der Kampagne mit einem Schmunzeln verbunden. Aber wenn man Verantwortung nicht übernimmt, kann das zu Schuld führen. Damit hängen also oftmals komplexerer Prozesse mit Scham und Schuld zusammen.
Ein Kinderwagen als Sarg ist ein starkes Bild. Ist es nicht risikoreich, in der Kommunikation auf diese Weise mit Emotionen zu arbeiten?
Ich glaube, das ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits braucht man Emotionen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dadurch können Menschen motiviert werden, sich mit bestimmten Informationen auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite, das zeigt die Forschung ganz deutlich, löst das insbesondere bei Betroffenen oder bei Personen, die sich nicht so verhalten wie erwünscht, Widerstand aus. In der Psychologie nennt man das Reaktanz. In vielen Fällen führt diese Reaktion zur Vermeidung oder auch zur Uminterpretation: „Bei allen anderen ist das schlimm, aber bei mir wird das schon nicht so sein.“ So eine Kommunikation kann aber auch die offensive Ablehnung solcher Botschaften zur Folge haben, was dann negativ auf die Person oder auf die Organisation zurückfällt, die die Botschaft lanciert hat.
Welche Folgen kann Reaktanz im Gesundheitsbereich haben?
Wenn man zu stark auf die negative Pauke hat, kann sich die erwünschte Wirkung ins Gegenteil verkehren – das ist der sogenannte Boomerang-Effekt. Es kann passieren, dass sich Menschen überhaupt nicht mehr mit den Themen auseinandersetzen wollen – beispielsweise bei Darmkrebs-, Prostata- oder Brustkrebsvorsorge. Deshalb ist es mittlerweile in der Gesundheitskommunikation nicht mehr „State of the Art“, ausschließlich mit negativen Emotionen zu arbeiten.
Was ist mit Wut? Welche Rolle spielt sie in der Gesundheitskommunikation?
Wut spielt eine Rolle, weil sie natürlich auch eine Reaktanzreaktion sein kann. Wenn wir mit einem ekelhaften oder furchterregenden Stimulus konfrontiert sind, kann es sein, dass wir den Stimulus nicht nur vermeiden. Wir sind gleichzeitig wütend, dass wir damit konfrontiert worden sind. Zum anderen ist Wut aber eine sehr starke Emotion, die meiner Erfahrung nach relativ selten strategisch eingesetzt wird, weil man sie so schwer steuern kann.
Wut entsteht häufig dann, wenn wir Ungerechtigkeit erfahren oder wenn etwas unseren persönlichen Standards widerspricht. Evolutionsbiologisch betrachtet ist Wut eine fundamentale Emotion mit hohem Aktivierungspotenzial, die uns dazu motiviert, aktiv zu handeln. Man spricht in diesem Zusammenhang von approach– oder avoidance-Motivation: Wut ist eine typische approach-Motivation, da sie uns dazu antreibt, Missstände anzugehen oder Veränderungen herbeizuführen. Im Gegensatz dazu lösen Emotionen wie Furcht oder Ekel eher eine Vermeidungsreaktion aus, das ist die avoidance-Motivation.
Sie haben gesagt, dass in der Gesundheitskommunikation nicht mehr ausschließlich mit negativen Emotionen gearbeitet wird. Was passiert stattdessen?
In der Gesundheitskommunikation setzt man zunehmend darauf, Emotionen gezielt zu lenken, anstatt sie einfach nur auszulösen. Studien zeigen, dass es wenig effektiv ist, Menschen mit einer negativen Emotion wie Angst allein zu lassen. Stattdessen wird versucht, konstruktive Alternativen aufzuzeigen. Wenn beispielsweise Angst vor den Folgen des Rauchens erzeugt wird, sollte gleichzeitig eine Lösung angeboten werden, wie man diese Folgen vermeiden kann. Indem Hoffnung vermittelt und konkrete Handlungsoptionen aufgezeigt werden, stärkt man die sogenannte Selbstwirksamkeit. Diese beschreibt das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, gewünschte Veränderungen zu erreichen, und gilt als einer der wichtigsten Faktoren für die Vorhersage von Verhaltensänderungen.
In den letzten Jahren scheint der Einsatz von Furcht- oder Ekelappellen in der Gesundheitskommunikation zurückgegangen zu sein. Stattdessen rücken zunehmend positive Emotionen wie Stolz in den Fokus. Ein Beispiel aus der Schweiz ist eine Kampagne, die Menschen präsentiert, die erfolgreich mit dem Rauchen aufgehört haben, begleitet von Botschaften wie: ‚Mario hat es geschafft, du kannst es auch.‘ Zwar werden weiterhin die Risiken des Rauchens thematisiert, etwa dass Rauchen das Leben verkürzen kann, doch diese negativen Aspekte werden durch positive, motivierende Botschaften ergänzt. So wird ein konstruktiver Ansatz verfolgt, der Menschen dazu ermutigt, ihr Verhalten zu ändern.
Das heißt: Positive Emotionen werden wichtiger?
Haben Sie ein Beispiel für eine besonders gelungene Kampagne?
Ein gelungenes Beispiel für moderne Gesundheitskommunikation ist die LOVE LIFE-Kampagne aus der Schweiz. Diese Kampagne zielt darauf ab, das Bewusstsein für sexuell übertragbare Krankheiten zu schärfen, verzichtet dabei jedoch auf negative Emotionen wie Angst oder Schuld. Stattdessen setzt sie auf überraschende, humorvolle und lockere Ansätze, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu gewinnen. Während viele Gesundheitskampagnen oft ernst und moralisch wirken, spricht LOVE LIFE die Themen direkt und unkonventionell an, was sie erfrischend anders macht. Eine solche Herangehensweise regt die Zielgruppe dazu an, über das Thema nachzudenken, ohne sie zu belehren oder abzuschrecken. Insbesondere bei Botschaften, die in kurzer Zeit wirken müssen, wie bei Plakaten oder kurzen Videos, ist es entscheidend, Emotionen gezielt einzusetzen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Allerdings müssen diese Emotionen klar und verständlich sein, damit die Botschaft nicht ins Leere läuft.