Foto: Mattias Diesel

Welche Forschenden erscheinen in den Medien? Befunde aus der Schweiz

Was entscheidet darüber, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Presse genannt werden? Eine groß angelegte Medienanalyse liefert nun Hinweise für das Schweizer Medien- und Wissenschaftssystem. Adrian Rauchfleisch und Mike S. Schäfer erläutern die Befunde in ihrem Gastbeitrag.

Für Forschende ist es in den vergangenen Jahren wichtiger geworden, in der Öffentlichkeit und vor allem in Medien präsent zu sein – aus verschiedenen Gründen: Erstens haben sich die Einstellungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegenüber dem Journalismus verändert. Für Forschungsfelder wie die Epidemiologie, die Stammzellforschung oder die Klimaforschung und auch für unterschiedliche Länder wie Deutschland, die USA, Großbritannien, Frankreich oder Japan lässt sich zeigen, dass Forschende mediale Präsenz durchaus positiv sehen.123 Sie haben den Eindruck, dass ihre Peers es goutieren, wenn sie sich in den Medien äußern, und dass dies ihrer wissenschaftliche Karriere durchaus zuträglich sein kann. Zudem erleben sie Interaktionen mit Medienschaffenden als eher positiv.

Ein zweiter Grund ist, dass Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen aus strategischen Überlegungen heraus zunehmend darauf bedacht sind, selbst oder durch ihr wissenschaftliches Personal öffentlich sichtbar zu sein. So sehen sich deutsche Hochschulleitungen etwa verstärkt im Wettbewerb mit anderen Standorten4 und halten mediale Aufmerksamkeit dabei für ein wichtiges Instrument – weil sie davon ausgehen, dass sie „die unübersichtliche Anzahl ihrer potenziellen Anspruchsgruppen im Wesentlichen nur über die Massenmedien erreichen“56 und weil sie ihren Stakeholdern wie Bildungspolitikern und Förderorganisationen eine starke Orientierung an öffentlicher Kommunikation unterstellen78. Diese Überzeugungen geben sie an die Forschenden weiter, etwa indem sie Anreize für größere Medienpräsenz schaffen oder ihre Medien- und Kommunikationsabteilungen ausbauen und professionalisieren.

Externe Anreize für Outreach-Aktivitäten nehmen zu

Drittens gibt es externe Anreize, die sowohl wissenschaftliche Einrichtungen als auch individuelle Forschende dazu veranlassen, sich stärker öffentlich und medial zu engagieren. Outreach-Aktivitäten werden teils tatsächlich von Forschungsförderern eingefordert. Politische Akteure wie die deutsche Forschungsministerin Anja Karliczek oder DFG-Präsident Peter Strohschneider fordern ein stärkeres öffentliches Engagement der Wissenschaft. Und teilweise werden entsprechende Aktivitäten gar an Ressourcen- und Mittelvergabe geknüpft, so etwa im britischen Research Excellence Framework.

Schwerpunkt:
Forschende und die Medien
Alle Artikel zum Schwerpunkt
Die mediale Präsenz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dürfte also wichtiger geworden sein – aber Studien dazu sind vergleichsweise rar. Zwar gibt es immer mehr Forschungsarbeiten, in denen die Medienberichterstattung zu wissenschaftlichen Themen analysiert wird.9 Aber das Gros dieser Arbeiten fokussiert nur eine oder wenige Disziplinen101112, sie sind fast ausschließlich auf die MINT-Fächer beschränkt1314 oder untersuchen lediglich die Wissenschaftsressorts journalistischer Medien – was de facto ebenfalls eine Verengung auf die MINT-Fächer bedeutet1516.

Demgegenüber haben wir an der Universität Zürich vor Kurzem die mediale Präsenz von Forschenden landesweit und disziplinübergreifend analysiert. Dafür konnten wir die (mittlerweile abgeschaltete) Datenbank proff.ch von SwissUniversities, der Dachorganisation aller Schweizer Hochschulen nutzen, in der bis 2016 alle rund 6000 Schweizer Professorinnen und Professoren erfasst waren. Wir erfassten, wie häufig die Namen dieser Forschenden gemeinsam mit den Namen ihrer Institutionen in Schweizer Medien erwähnt werden. Dabei nutzten wir alle möglichen Namensvariationen (also etwa neben „Mike Schäfer“ auch „Mike S. Schäfer“, „M. S. Schäfer“ usw.) sowie alle uns bekannten Variationen und Abkürzungen der Hochschulen – in allen Schweizer Sprachen sowie in Englisch (also etwa „Universität Zürich“, „Uni Zürich“, „UniZH“, „Université de Zürich“, „Università di Zurigo“, …). Datengrundlage für die Suche nach Medienberichten war die Datenbank Factiva, die rund 33 000 internationale Medienquellen umfasst, darunter auch alle wichtigen Schweizer Zeitungen und Online-Nachrichten auf nationaler und regionaler Ebene.

Beträchtliche Medienpräsenz – aber konzentriert auf wenige Einzelpersonen

Unsere Ergebnisse zeigen zunächst einmal eine beträchtliche Medienpräsenz von Forschenden: Die Schweizer Professorinnen und Professoren wurden im Jahr 2016 insgesamt 11976-mal in Medienberichten erwähnt. Das Gros der Nennungen entfiel mit 81 Prozent auf die Schweizer Presse, 19 Prozent dagegen auf ausländische Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien.

Allerdings verteilen sich die Nennungen sehr ungleich auf die 6049 untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Rund zwei Drittel von ihnen wurden in den Medien kein einziges Mal erwähnt. Zudem entfallen 50 Prozent aller Erwähnungen auf nur 188 Forschende, also auf etwa 3 Prozent der Professorinnen und Professoren. Diese kleine Gruppe ist medial extrem präsent: Jeder und jede von ihnen wurde im Jahr 2016 mindestens 14-mal erwähnt.

Anzahl der Nennungen Schweizer Professorinnen und Professoren in nationalen und internationalen Medien.
Anzahl der Nennungen Schweizer Professorinnen und Professoren in nationalen und internationalen Medien. Die Forschenden der Ränge 1–188 machen die Hälfte aller medialen Nennungen des Jahres 2016 aus und wurden je mindestens 14-mal erwähnt. Nur 1877 der 6049 untersuchten Forschenden waren dabei überhaupt medial präsent. Grafik: Adrian Rauchfleisch / Mike S. Schäfer

 

Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der Beständigkeit der jeweiligen Medienaufmerksamkeit ab. Es gibt einige wenige Professorinnen und Professoren, die an extrem vielen, im Einzelfall an bis zu 90 Tagen des untersuchten Jahres in den Medien erwähnt wurden. Es ist wenig überraschend, dass die meisten dieser „Medienstars“ eine Führungsposition in ihren Organisationen innehaben, ihre Universitäten, Hochschulen und anderen Einrichtungen in offizieller Position nach außen vertreten oder eine direkte Verbindung zur Politik haben. Die Mehrheit der Professoren und Professorinnen wird jedoch wie erwähnt gar nie (69 Prozent) genannt oder maximal an einem Tag im Jahr (31 Prozent).

Der Großteil der Schweizer Professorinnen und Professoren, die 2016 erwähnt wurden, erschienen bis zu 10-mal in den Medien.
Der Großteil der Schweizer Professorinnen und Professoren, die 2016 erwähnt wurden, erschienen bis zu 10-mal in den Medien. Grafik: Adrian Rauchfleisch / Mike S. Schäfer

Starke Sozialwissenschaften: klare Disziplinen- und Institutionenunterschiede

Ein noch genauerer Blick in die Daten zeigt zudem klare Unterschiede zwischen Disziplinen und Institutionen. Um diesen Differenzen nachgehen zu können, haben wir die Medienanalysedaten mit Daten aus einer Befragung von 1058 der zuvor untersuchten Forschenden verbunden. Diese zeigt zunächst einmal, dass nicht die MINT-Fächer in puncto medialer Präsenz vorn liegen, sondern die Sozialwissenschaften – zumindest wenn man die Durchschnittswerte pro Disziplin anschaut. Forschende aus Politikwissenschaft und Soziologie werden am häufigsten erwähnt, solche aus Chemie und Veterinärmedizin am seltensten.

Angezeigt werden die durchschnittlichen medialen Nennungen der Professorinnen und Professoren einer Disziplin pro Jahr.
Angezeigt werden die durchschnittlichen medialen Nennungen der Professorinnen und Professoren einer Disziplin pro Jahr. Die gestrichelte Linie zeigt den Mittelwert aller Disziplinen an. Grafik: Adrain Rauchfleisch / Mike S. Schäfer

 

Auch in Bezug auf die Institutionen gibt es starke Unterschiede. Professorinnen und Professoren der Universität St. Gallen – die sich stark auf wirtschaftswissenschaftliche Themen fokussiert – werden im Durchschnitt am häufigsten in den Medien präsentiert, gefolgt vom sozialwissenschaftlichen Institut IHEID der Universität Genf. Hier zeigt sich also ebenfalls eine starke mediale Sichtbarkeit vor allem der Sozialwissenschaften.

Angezeigt werden die durchschnittlichen medialen Nennungen der für die Professorinnen und Professoren einer Institution pro Jahr.
Angezeigt werden die durchschnittlichen medialen Nennungen der für die Professorinnen und Professoren einer Institution pro Jahr. Die gestrichelte Linie zeigt den Mittelwert aller Institutionen an. Grafik: Adrian Rauchfleisch / Mike S. Schäfer

Was erklärt die Medienpräsenz?

Auf Basis der Befragungen haben wir versucht herauszuarbeiten, welche Faktoren für die Medienpräsenz von Forschenden ausschlaggebend sind – auf organisationaler und auf individueller Ebene. Demnach engagieren sich vor allem jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Medien, die in den vorangegangenen Jahren bereits eine größere Zahl von Kontakten mit Journalisten hatten und die ihre eigenen Fähigkeiten im Umgang mit Medien positiv bewerten. Daneben spielt auch der wissenschaftliche Erfolg eine maßgebliche Rolle: Je mehr Forschende innerhalb ihrer Disziplin im Vergleich zu Kolleginnen und Kollegen publiziert haben, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass sie in den Medien erwähnt werden. Und zuletzt kommt ein kultureller Faktor hinzu: Professorinnen und Professoren mit Geburtsland Schweiz werden häufiger medial erwähnt als ihre Kolleginnen und Kollegen mit ausländischen Wurzeln. Trotz dieser individuellen Faktoren hat jedoch auch, wie wir im ersten Schritt aufzeigen konnten, der disziplinäre Fokus einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Medienpräsenz.

 

Die Autoren danken Dario Siegen, der an dem Projekt beteiligt war.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.