In einer Kooperation mit der ETH Lausanne will die Zeitung „Blick Romandie“ Artikel aus der Hochschulkommunikation übernehmen. Ein Albtraum, findet die Wissenschaftspressekonferenz. Geschäftsführer Franco Zotta spricht im Interview über die Rollenverteilung in der Wissenschaftskommunikation und das Wesen von gutem Wissenschaftsjournalismus.
Weiche Grenze zwischen Wissenschaftsjournalismus und -PR
Herr Zotta, die ETH Lausanne* hat eine Kooperationsvereinbarung mit „Blick Romandie“ geschlossen. Die Wissenschaftspressekonferenz (WPK) hat das in einem Facebook-Kommentar als Albtraum für den Wissenschaftsjournalismus beschrieben. Warum sind solche Kooperationen ein Albtraum?
Es gibt gleich mehrere Gründe, weshalb eine solche Kooperation ein Albtraum ist. Zum einen weicht sie die Grenzen zwischen Wissenschaftsjournalismus und Wissenschafts-PR auf. Sie nimmt darüber hinaus der Zeitung strukturell die Möglichkeit, sich unabhängig und kritisch über ihren Kooperationspartner, die ETH Lausanne zu äußern. Und zusätzlich wirkt es auf mich auch so, als hätten beide Seiten ein mindestens diffuses Verständnis ihrer Rollen. In der Pressemitteilung von Blick hieß es, dass sie jetzt Zugang zu den journalistischen Arbeiten der ETH Lausanne hätten. Die ETH hat aber gar keine journalistischen Arbeiten. Insofern ergibt es keinen Sinn zu glauben, plötzlich Zugang dazu zu haben. Die ETH selbst betont ja, dass sie mit der Kooperation die Unabhängigkeit von Blick sichern will. Das zeigt, dass sie nicht weiß, was Unabhängigkeit im Journalismus eigentlich bedeutet.
Erschwerend kommt hinzu, dass Blick bisher, soweit ich weiß, gar keine Wissenschaftsjournalist*innen in seinen Redaktionen beschäftigt. Daher ist es fragwürdig, zu sagen, dass man diesen Bereich stärkt. Das Gegenteil ist der Fall. Sie ersetzen nicht vorhandenen Wissenschaftsjournalismus durch die Produktion von irgendwelchen Informationen aus der Wissenschaft, die in Kooperation mit einer Uni entstehen. Auch das Verständnis von Journalismus bei den Blick-Verantwortlichen ist für mich schwierig.
Was genau meinen Sie damit?
Beide Seiten vertreten – zumindest wenn man dem glaubt, was sie nach außen erzählen – offensichtlich die Meinung, dass es bei gutem Wissenschaftsjournalismus nur um das Transportieren wissenschaftlicher Inhalte in die Öffentlichkeit und das Erklären von Wissenschaft geht. Das ist eine sehr verarmte Wahrnehmung davon, was Wissenschaftsjournalismus ist. Eine Kooperation, die einseitig auf diese Facette wissenschaftsjournalistischer Arbeit abstellt, verliert völlig aus dem Blick, dass Wissenschaftsjournalismus vor allem die unabhängige und kritische Fremdbeobachtung von Wissenschaft bedeutet. Diese Kooperation ist das exakte Gegenteil davon. Mein Eindruck ist, dass hier auf beiden Seiten keine Schamgrenzen mehr existieren und wenn so ein Konzept Schule macht, dann ist es ein Albtraum.
Was könnten die Beweggründe hinter so einer Kooperation sein?
In den vergangenen Jahren gibt es immer wieder Ansätze für solche Kooperationen. Welche kennen Sie und wie bewerten Sie sie?
Die meisten sind leider problematisch aus unterschiedlichen Gründen. In der Schweiz gibt es einen weiteren Fall, bei dem es zu einer Vermischung kommt. Die Schweizer Nachrichtenagentur SDA hat zwei Wissenschaftsredakteur*innen, die nicht von der Nachrichtenagentur bezahlt werden, sondern von Wissenschaftseinrichtungen. Auch hier gibt es große finanzielle Probleme aufseiten der SDA und die Wissenschaftseinrichtungen hatten Sorge, dass die Berichterstattung über Wissenschaft gänzlich verschwindet. Damit das nicht passiert, haben sie die anteilige Finanzierung der Stellen übernommen. Das Ansinnen mag hier edel sein, aber die Konstruktion ist trotzdem problematisch.
In Österreich gibt es ein ähnliches Beispiel. Die österreichische Regierung finanziert über Anzeigen Wissenschaftsberichterstattung in Tageszeitungen. Auch das ist schwierig. Es wird immer dann ein Problem, wenn diejenigen, die das Objekt der Berichterstattung sind, die Berichterstattung unmittelbar finanzieren. Dann verliert Journalismus seine Unabhängigkeit.
Es gibt andere Versuche, die ich unkritischer sehe. In der Schweiz beispielsweise haben Stiftungen versucht, in den kostenlosen Zeitungen, die in U-Bahnen und Bussen ausgelegt werden, eine Wissenschaftsredaktion zu finanzieren, die die Berichterstattung für die Zeitungen macht. Da die Stiftungen nicht selbst Wissenschaft betreiben, finde ich diesen Fall unproblematischer. Auch Modelle wie bei der ZEIT, die Anzeigenhefte für die Wissenschaft produziert und diese klar als solche markiert, finde ich unproblematisch. Da wissen die Leser*innen dann aber auch, dass es eben kein Journalismus ist, sondern Werbung.
Befürchten Sie, dass solche Kooperationen zunehmen?
Ich glaube, die Wissenschaft ist besonders anfällig für solche Annahmen, das hat der Kommunikationswissenschaftler Matthias Kohring in seinem systemtheoretischen Entwurf zur „Funktion des Wissenschaftsjournalismus“ bereits 1997 analysiert. Trotzdem glaube ich, dass es in Deutschland noch nicht so weit ist und auch die Proteste dagegen noch sehr viel stärker ausfallen würden. Am ehesten könnte es, denke ich, in Regionalzeitungen passieren, da dort der Druck noch größer ist.
Sie sprechen von zwei wichtigen Funktionen des Wissenschaftsjournalismus: Einordnen und Erklären. Wie ist das Verhältnis der beiden in der deutschen Medienberichterstattung?
Journalist*innen die sich so definieren, wie Sie es beschreiben, würden vermutlich keine Kooperation eingehen, wie sie jetzt mit Blick stattfindet. Da scheint es an der eigenen Rollendefinition zu fehlen. Wie kann man diese stärken?
In der Schweiz hat der Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus eine Stellungnahme herausgegeben, die genau das bemängelt. Das ist ein guter Weg, denke ich, denn das Grundproblem besteht natürlich in den Redaktionen und den Medienhäusern, die so eine Strategie niemals einschlagen dürften.
Sehen Sie The Conversation denn als Form des Journalismus?
Aus meiner Sicht hat The Conversation nichts mit Journalismus zu tun. Es wird aber trotzdem häufig als Modell dafür verkauft, weil das Produkt auf den ersten Blick wie Journalismus wirkt. Die Konstruktion funktioniert so: Wissenschaftler*innen schreiben mit Hilfe von Journalist*innen selbst Beiträge. Das ist aber natürlich in keiner Form Journalismus. Es ist eher eine neue Form von Wissenschaftskommunikation bei der Journalist*innen zu Dienstleistern der Forschenden werden. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, wenn man es in der Wissenschaftskommunikation verortet, aber die Illusion. es hätte etwas mit Journalismus zu tun, ist falsch. Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, diese Unterscheidungen stets klar zu machen. Der Wissenschaftsjournalismus ist für diese fehlende Abgrenzung besonders deswegen anfällig, weil es natürlich viele Schnittmengen zwischen beiden Feldern gibt.
Wieso ist es wichtig, dass man die Rollen klar definiert und die Felder Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus voneinander abgrenzt?
In der deutschen Wissenschaftslandschaft wird derzeit fast überall betont, wie wichtig der Wissenschaftsjournalismus ist. Glauben Sie, dass damit wirklich die kritisch-einordnende Variante gemeint ist?
Das ist eine gute Frage, die sich natürlich nur spekulativ beantworten lässt. Die ZEIT hat kürzlich eine große Konferenz ausgerichtet, bei der es um Wissenschaft ging und die unter anderem von den Wissenschaftsorganisationen getragen wurde. Als Finanzierungsquelle für die ZEIT ist mir eine solche Kooperation egal, aber wenn die Geldgeber dann an anderer Stelle im Programm als Expert*innen auftauchen, ist es zumindest dann kritisch, wenn das Ziel der Organisationen ist, mit solchen Formen den Wissenschaftsjournalismus zu fördern. Insgesamt kann ich nur hoffen, dass die Wissenschaftsorganisationen den gleichen Wissenschaftsjournalismus fördern wollen, den ich meine.
Was könnten die Wissenschaftsorganisationen denn dafür tun?
Vor diesem Hintergrund kann Förderung funktionieren. Das Science Media Center ist ein gutes Beispiel dafür, wie das aussehen kann. Da sind viele Wissenschaftsorganisationen Geldgeber, aber sie haben nur einen limitierten strukturellen Einfluss, weil man nur einen begrenzten Beitrag leisten darf. Und sie können keinen Einfluss auf die Inhalte nehmen. So könnten Modelle aussehen. Es hätte beispielsweise auch beim Blick nichts dagegen gesprochen, wenn eine Stiftung durch Wissenschaftsinstitutionen finanziert worden wäre, die wissenschaftliche Berichterstattung in Regionalzeitungen fördert. Dann gibt es keinen direkten Mittelfluss zwischen Medium und Wissenschaft und so kann die Unabhängigkeit gewährleistet werden.
Die WPK streitet genau deshalb für eine Stiftungsidee für den deutschen Wissenschaftsjournalismus, weil die Stiftung diese Zwischenebene darstellen kann und da liegt der entscheidende Unterschied.
*Französisch École Polytechnique Fédérale de Lausanne, EPFL
Weiterlesen
„Die EPFL Redaktion arbeitet nicht für Blick“ – Hintergründe zur Kooperation mit Blick Romandie aus Sicht der Hochschule
„Hochschulen wollen Wissenschaft besser vermitteln“ – Bericht des Schweizer Rundfunk über die Situation des Wissenschaftsjournalismus