Foto: Marisol Benitez

Was TikTok mit unserer Ernährung macht

Was sollten wir essen? Selbst ernannte Expert*innen geben dazu die unterschiedlichsten Ratschläge. Wie vertrauenswürdig sind Ernährungstipps auf TikTok? Wer kommuniziert dort? Und welche Arten von Snacks werden beworben? Journalismus-Professorin Laura-Maria Altendorfer und ihre Kollegin Brigitte Huber haben genauer hingesehen. 

Zusammen mit der Kommunikationswissenschaftlerin Brigitte Huber haben Sie Ernährungskommunikation auf TikTok untersucht. Wie sind Sie auf das Thema gekommen? 

Laura-Maria Altendorfer ist seit Anfang 2022 Professorin für Journalismus mit Schwerpunkt digitale Kommunikation an der IU Internationale Hochschule und forscht zu digitaler Kommunikation aus kommunikationswissenschaftlicher und psychologischer Perspektive. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich Social Media und digitale Meinungsführer, neue Medien und Technologien sowie digitale Gesundheitskommunikation. Foto: privat

Unser Forschungsschwerpunkt liegt in den sozialen Medien. Wie wahrscheinlich jede Person, die Social Media nutzt, haben auch wir festgestellt: Ernährung ist dort mittlerweile ein sehr bedeutendes Thema. Das sehen wir auch in der Fachliteratur. Ein Problem ist dabei, dass viele Fehlinformationen verbreitet werden und es wenig Orientierung an evidenzbasierten Fakten gibt. 

TikTok ist eine der am meisten genutzten Plattformen in Deutschland – und gleichzeitig eine, der Menschen stark vertrauen. 62 Prozent der Nutzer*innen halten TikTok für sehr oder eher vertrauenswürdig.1 Das Spektrum der Inhalte und Akteur*innen ist gigantisch. Es reicht von selbsternannten Ernährungsberater*innen über vermeintliche Ärzt*innen bis hin zu Lai*innen, die ihren Lebensmitteleinkauf präsentieren. Mit Blick auf Ernährungs-Content sehen wir noch große Forschungslücken. Deshalb wollten wir uns das näher anschauen.  

Warum ist es gerade im Bereich Ernährung wichtig, akkurate Informationen zu bekommen? 

Ernährungskompetenz ist ein wichtiger Teil unseres Alltags und unserer Gesundheit. Gerade für jüngere Zielgruppen sind die TikToker*innen häufig Vorbilder, denen sie vertrauen. Dabei sehen wir in den sozialen Medien häufig Inhalte, die mit Essstörungen oder verzerrten Körperwahrnehmungen zu tun haben. Meist hinterfragen Nutzer*innen jedoch nicht: Was macht es mit mir und meinem Körper, wenn ich diese Aussagen und Körperbilder unreflektiert übernehme? 

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Wer hat Ahnung? Beispiel für einen Kommunikator, der einen Expert*innen-Status als Arzt erhebt.

Das Problem ist, dass sich viele Personen auf TikTok als Expert*innen vermarkten. Ob sie wirklich Ahnung haben, können Nutzer*innen nur sehr schwer verifizieren. Meist geht das auch im oberflächlichen Social Media-Konsum unter: Man liest beispielsweise nur „doc.XY“ im Profilnamen oder erfährt von der Person, dass sie Ernährungsexpert*in sei. Man kann natürlich immer googeln, ob jemand wirklich eine fachlich fundierte Ausbildung hat. Aber zum einen machen das die Wenigsten, zum anderen gibt es viele ungeschützte Berufsbezeichnungen – wie zum Beispiel „Ernährungsberater*in“. Daher bleibt es oft undurchsichtig, wer wirklich fachlich fundierte*r Expert*in ist und wer sich nur als solche*r ausgibt.

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Ist Fruchtzucker gesund? Weiteres Beispiel für einen Account, der auf einen Expert*innenstatus baut. Ob die Expertise echt ist, ist für Nutzer*innen oft schwer zu überprüfen.

Eine Ihrer Forschungsfragen bezieht sich auf Dimensionen von Ernährungskompetenz, die in den Videos angesprochen werden. Was bedeutet das genau? 

Im Wesentlichen umfasst Ernährungskompetenz das Wissen, die Fähigkeiten und auch die Verhaltensweisen, die die Planung, Auswahl, Zubereitung und den Konsum von Lebensmitteln betreffen. Wir wollten wissen: Welche Dimensionen der  Ernährungskompetenz werden auf TikTok vermittelt? Denn viele, vor allem junge Menschen lassen sich durch die Plattform in ihrem Essverhalten inspirieren. Es gibt zum Beispiel eine Studie, die zeigt, dass Menschen mit niedrigem Ernährungswissen ihr Wissen überschätzen – gleichzeitig nutzen sie aber auch häufiger soziale Medien. Das trägt womöglich zur Verbreitung von Fehlinformationen bei. 

Um die Dimensionen von Ernährungskompetenz zu untersuchen, haben wir eine bestehende Skala benutzt und aus dieser Kategorien gebildet, mit welchen wir dann im Rahmen einer quantitativen Inhaltsanalyse TikTok-Videos analysiert haben. Das umfasste beispielsweise die Fragen: Werden frische oder verarbeitete Lebensmittel zubereitet? Werden eher gesunde oder ungesunde Speisen angepriesen? Wie sieht das Snackverhalten aus? 

Wie haben Sie diese Videos gefunden?

„Viele, vor allem junge Menschen lassen sich durch die Plattform in ihrem Essverhalten inspirieren.“ Laura-Maria Altendorfer
Unser Vorgehen basiert auf der Funktionsweise von TikTok. Im Vergleich zu Instagram werden dort Hashtags sparsamer eingesetzt. Die Startseite, die bei TikTok „For You Page“ heißt, spielt eine wichtige Rolle. Dort spielt ein Algorithmus personalisierte Inhalte ein. Wir haben einen neuen Account angelegt, um eine neutrale Ausgangsposition zu schaffen. Dann haben wir mit möglichst weit gefassten Keywords wie „Ernährung“, „Ernährungsberater“ oder „Healthy Food“ nach Videos zum Thema Ernährung gesucht. Zu jedem Suchbegriff haben wir uns dann die ersten zehn Videos angeschaut, die vorgeschlagen wurden. Dadurch haben wir den Algorithmus „trainiert“, sodass auf unserer For You Page immer mehr Ernährungs-Content vorgeschlagen wurde. Insgesamt haben wir 150 sehr unterschiedliche TikToks in deutscher und englischer Sprache analysiert.

Was haben Sie herausgefunden?

Die von uns untersuchten Videos zeigen eine eher ausgewogene Ernährung. Frühere Studien2 fanden hingegen auf TikTok eher eine energiereiche, wenig gesundheitsfördernde Ernährung. In unserer Stichprobe gab es hingegen eine ausgeglichene Darstellung von frischen und verarbeiteten Lebensmitteln. Wir haben aber auch gesehen, dass das Thema Qualität von Lebensmitteln – zum Beispiel, ob es sich um Bio-Produkte handelt – kaum eine Rolle spielt. 

Spitzenreiter bei den Themen waren „Rezepte und Kochen“ sowie „Ernährungstipps“. In dieser Kategorie findet man zum Beispiel Formate wie „Was passiert in deinem Körper, wenn du Milchprodukte weglässt oder auf Zucker verzichtest?“ oder „Wieso hat mir niemand gesagt, dass ich dieses durch jenes Lebensmittel ersetzen kann?“  

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Warum sollten wir Haferflocken essen? Beispiel für das beliebte Format nach dem Schema „Das passiert, wenn du…“

Sie haben auch einen Blick auf die Personen geworfen, die zum Thema Ernährung kommunizieren. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Ein Befund aus der Literatur, der sich bei uns bestätigt hat, ist das Empowerment von Lai*innen, die den größten Teil der Kommunikator*innen ausmachen. Es finden sich im Vergleich weniger –vermeintliche – Expert*innen auf TikTok, die zu Ernährungsthemen kommunizieren. Bei uns im Sample waren es etwa 15 Prozent. Es war aber erfreulich zu sehen, dass die Expert*innen signifikant mehr Ernährungstipps geben als die anderen Kommunikator*innen. Bei den Themen „Rezepte“ und „Kochen“ kommunizieren häufiger Lai*innen – darunter überwiegend weibliche Akteur*innen. Insgesamt waren 67 Prozent der Kommunikator*innen in unserem Sample weiblich.  

„Die von uns untersuchten Videos zeigen eine eher ausgewogene Ernährung.“ Laura-Maria Altendorfer
Beim Expert*innen-Status muss ich dazu sagen, dass wir nach den Hinweisen im Profil kodiert haben. Wir haben nicht überprüft, ob jemand wirklich Ernährungsberater*in oder Ärzt*in ist. Deshalb sprechen wir immer von einem „vermeintlichen Expertenstatus“.

Ein weiteres Thema, das Sie sich angeschaut haben, war Werbung. Spielt das in Ihrer Stichprobe eine große Rolle? 

Was mich überrascht hat, war, dass mentale Gesundheit sehr wenig thematisiert wurde. Normalerweise ist es auf Social Media sehr präsent, auf Instagram findet man unter #mentalhealth etwa knapp 55 Millionen Beiträge – auch im Zusammenhang mit Ernährung. Es wäre interessant herauszufinden, woran es liegt, dass es bei uns kaum vorkam. Wir hatten in unserem Sample nur wenige Beiträge zu diesem Thema, darunter einen in dem eine bestimmte Ernährung bei Depressionen empfohlen wird. 

Sie haben auch einen Blick auf die Personen geworfen, die zum Thema Ernährung kommunizieren. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Das Thema Werbung muss im Zusammenhang mit sozialen Medien mittlerweile fast unweigerlich eine Rolle spielen, denn darüber finanzieren sich viele Influencer*innen. Wir haben uns deshalb angeschaut, wie verbreitet Werbung in den untersuchten TikTok-Videos ist und um welche Arten von Lebensmitteln – also eher gesunde oder ungesunde – es dabei geht. In der Literatur haben wir gesehen, dass Influencer*innen-Marketing häufig genutzt wird, um bei Kindern und Jugendlichen Werbung für ungesunde Lebensmittel zu machen. Bei unserem Sample war es so, dass weniger als die Hälfte der Videos Werbung enthielt. Wenn Werbung erkennbar war, dann signifikant häufiger im Zusammenhang mit ungesunden Snacks.

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Gesunde oder ungesunde Snacks? Beispiel für die Vorstellung verarbeiteter Lebensmittel.

Einige Ergebnisse aus früheren Studien haben sich bei Ihnen nicht bestätigt. Es wurden gesündere Lebensmittel vorgestellt als erwartet, Werbung spielte eine geringere Rolle. Was bedeutet das für TikTok als Kommunikationsplattform? 

Ich würde nicht unbedingt sagen, dass Werbung eine geringere Rolle spielt. Es sieht eher so aus, als würde auf TikTok Werbung oft nicht korrekt gekennzeichnet werden. Was aber für uns klar ist: in der Ernährungskommunikation auf TikTok stecken viele ungenutzte Potenziale. Was ich persönlich sehr spannend finde, ist das Thema „Nährwerte überprüfen“, also zum Beispiel das Kalorienzählen. Das wird in der Literatur im Zusammenhang mit Essstörungen häufig kritisiert. Wir haben dieses Thema aber tatsächlich nur in jedem fünften Video gefunden. Das ist grundsätzlich eine erfreuliche Entdeckung, weil es bei unserem Sample eher um die Frage ging, ob ein Lebensmittel gesund ist. Dabei muss man aber auch berücksichtigen, dass auch einzelne oder wenige Videos einen großen Impact haben können, vor allem dann, wenn Inhalte aufgrund mangelnder Medienkompetenz von Nutzer*innen nicht hinterfragt werden. 

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Wie kann ich schnell und einfach kochen? Beispiel für Kochrezepte mit frischen Lebensmitteln.

Mit einem anderen TikTok-Profil und denselben Schlüsselwörtern würden Sie womöglich andere Ergebnisse bekommen. Wie gehen Sie mit dieser Einschränkung um? 

Das ist definitiv eine Limitation, die man aber in der Social-Media-Forschung generell hat. In dem Moment, wo ich mit Algorithmen oder automatisierten Empfehlungen arbeite, ergibt sich immer eine eingeschränkte Replizierbarkeit. Es wäre interessant, die Studie noch einmal mit denselben Keywords wiederholen würde und zu schauen, wie sich die Ergebnisse unterscheiden.

Welche weiteren Forschungsideen ergeben sich aus der Studie? 

Eine Forschungslücke, die wir sehen, betrifft zum Beispiel das Rollenbild von TikToker*innen: Was ist ihre Intention? Warum stellen sie sich als Hausarzt oder als Ernährungsberaterin hin und erzählen Leuten etwas? Viele Influencer*innen tun das ja nicht aus altruistischen Motiven, sondern weil eine finanzielle Motivation dahinter steht. Das ist für Mediennutzer*innen schwer zu erkennen. 

Dann stellt sich die Frage, wie wir die Qualität von Informationen besser in den Griff kriegen. Braucht es vielleicht ein Gesundheitslabel auf TikTok oder andere Orientierungskriterien? Ich glaube, da gibt es noch sehr viel Forschungsbedarf – gerade mit Blick auf die junge Zielgruppe.