Die goldenen Zeiten von Twitter beziehungsweise X für die Wissenschaftskommunikation sind vorbei. Viele Forschende sind auf der Suche nach einer neuen Plattform, um ihre Arbeit sichtbar zu machen. Was taucht immer öfter als Tipp auf? LinkedIn. Zurecht!
LinkedIn ist viel mehr als nur ein Ort, um Lebensläufe zu pflegen oder Jobs zu suchen. Mit über einer Milliarde Nutzer*innen weltweit – davon allein 24 Millionen in der DACH-Region – tummelt sich hier eine riesige, vielfältige Community. Immer jünger wird sie auch: Fast 20 Prozent der Nutzer*innen sind zwischen 18 und 24 Jahren alt. Die Plattform ist also längst nicht mehr nur der Treffpunkt für Manager*innen und CEOs. Student*innen sind hier genauso aktiv wie Verwaltungsfachangestellte, IT-Expert*innen, Vertriebler*innen – und immer mehr Journalist*innen.
„Von künstlicher Intelligenz über die Energiewende bis hin zu Alltagsrassismus – die Anknüpfungspunkte für wissenschaftliche Perspektiven auf LinkedIn sind endlos.“
Sanja Ketterer
Gleichzeitig ist das Themenspektrum auf LinkedIn diverser geworden. Der Fokus auf knallharte Businessthemen ist Geschichte. Ökologische, gesellschaftliche und politische Themen nehmen mehr und mehr Raum ein. Von künstlicher Intelligenz über die Energiewende bis hin zu Alltagsrassismus – die Anknüpfungspunkte für wissenschaftliche Perspektiven auf LinkedIn sind endlos.
LinkedIn und WissKomm? Unbedingt!
Höchste Zeit also, die Plattform stärker für die Kommunikation wissenschaftlicher Themen zu nutzen. Sie stoßen hier auf ein aufmerksames und diskussionsfreudiges Publikum – und das ist nicht alles.
1. Raum für Argumente
Anders als X und Co. bietet LinkedIn Raum, Gedanken ausführlich darzulegen. Beiträge können gern länger als auf anderen Plattformen sein – und treffen auf eine Leser*innenschaft, die das auch liest. Länger als 1300 Zeichen sollte es aber auch auf LinkedIn nicht sein. Ein weiteres Plus der Plattform: Fotos und Videos sind ein Kann, kein Muss, und brauchen vor allem nicht Hochglanz zu sein – anders als auf Instagram. Außerdem ist es immer noch relativ leicht, große Reichweiten zu erzielen, ohne täglich posten zu müssen.
2. Die höflichste Social-Media-Plattform?
Auch auf LinkedIn kann es in den Kommentaren heiß hergehen – vor allem, wenn es politisch wird. Aber: Fast 100 Prozent der Nutzer*innen sind mit ihrem Klarnamen registriert und haben ihre Vita und aktuellen Arbeitgeber angegeben. Das trägt massiv dazu bei, den Umgangston zivilisiert zu halten.
3. Mehr Einfluss auf die eigene Reichweite
Einer der größten Vorteile von LinkedIn ist die Möglichkeit, sich aktiv mit Menschen zu vernetzen. Statt darauf zu hoffen, dass jemand durch des Algorithmus‘ Gnade auf meine Inhalte stößt, kann ich Kontaktanfragen gezielt an Personen aus meiner Zielgruppe verschicken und mein Netzwerk – und damit auch meine Reichweite – vergrößern. Durch Suchparameter kann ich diese Menschen einfach finden – sei es über Berufsgruppen, Themeninteressen oder geografische Regionen.
Menschen folgen Menschen
Es hat sich herumgesprochen: Viele Universitäten und Forschungseinrichtungen sind bereits mit Unternehmensseiten auf LinkedIn aktiv. Dank Beschäftigten, Alumni und Studierenden haben diese Seiten auch leichtes Spiel, viele Follower zu versammeln.
„Beiträge von Einzelpersonen werden deshalb auch nach wie vor prominenter im Feed der Nutzer*innen platziert als Inhalte von Unternehmensseiten.”
Sanja Ketterer
Aber: Das Potenzial von LinkedIn entfaltet sich, wenn Menschen auf ihren persönlichen Profilen aktiv werden. Warum? Menschen interessieren sich für Menschen. Ihnen folgen und mit ihnen interagieren sie. Das ist die DNA von LinkedIn – es ist und bleibt im Kern ein Personennetzwerk. Beiträge von Einzelpersonen werden deshalb auch nach wie vor prominenter im Feed der Nutzer*innen platziert als Inhalte von Unternehmensseiten.
Große Konzerne, aber auch Startups und immer mehr Behörden haben das verstanden: Unternehmen wie Vodafone oder Die Techniker Krankenkasse setzen auf „Corporate Influencer“ – also Mitarbeitende, die über ihre persönlichen Profile auf LinkedIn aktiv sind. Das Ergebnis? Sie gewinnen neue Kund*innen, Partner*innen und Talente.
Hier liegt ein großes Potenzial für die Wissenschaft: Forschende, die als „Science Influencer“ in der Wissenschaftskommunikation aktiv werden. Ideale Kandidat*innen für die Rolle sind zum Beispiel Rektor*innen und Verbundssprecher*innen, aber vor allem auch motivierte Docs und Postdocs.
Sie können persönliche und tiefgehende Einblicke in ihre Themen und ihren Arbeitsalltag geben – zum Beispiel, indem sie
- über ihren Weg in die Wissenschaft sprechen,
- neue Erkenntnisse teilen und erklären, was diese für sie bedeuten,
- über ihre Work-Life-Balance als Forschende berichten, Fragen teilen, die sie gerade beschäftigen,
- oder sich zu Themen wie New Work oder Künstliche Intelligenz äußern.
Wer auf LinkedIn persönliche Erfahrungen und Geschichten teilt, seine Begeisterung für sein Thema zeigt und mit der eigenen Stimme spricht, hat die Chance, Menschen wirklich zu berühren. Denn am Ende des Tages interessieren sich Menschen nicht nur für andere Menschen – ihnen vertrauen sie. Besonders denen, zu denen sie eine Verbindung aufbauen können. Für Wissenschaftskommunikation ist das relevanter denn je.
Ein Sahnehäubchen: Je diverser die Science Influencer sind, desto diverser sind auch die Zielgruppen, die eine Universität erreichen kann.
Science Influencer – so geht‘s
Wenn Sie also als Uni oder Forschungsverbund Science Influencer an den Start bringen wollen – was müssen Sie dafür tun? Hier sind drei sinnvolle Schritte:
1. Ziele festlegen und Influencer auswählen
Bevor es losgeht, sollten klare Ziele definiert werden. In welchen Zielgruppen genau wollen wir mehr Sichtbarkeit? Für welche Themen? Wollen wir auch neue Mitarbeitende gewinnen? Ihre Science Influencer sollten Perspektiven und Erfahrungen zu diesen Themen sowie einen Zugang zur Zielgruppe haben. Und: Lust darauf, sich auf LinkedIn einzulassen!
2. Influencer befähigen
Nehmen Sie sich Zeit, um Ihre Influencer fit für die Plattform zu machen. Hier geht es um mehr als nur technisches Know-how: Wofür stehe ich auf LinkedIn? Was sind meine Themen? Wie baue ich zielgerichtet ein Netzwerk auf? Vor allem: Trainieren Sie gemeinsam das Schreiben für Social Media. Das ist kein Hexenwerk – aber entscheidend dafür, dass Beiträge tatsächlich gelesen werden.
3. Unterstützen und Motivation hochhalten
Erfolg auf LinkedIn braucht vor allem eins: Durchhaltevermögen und Regelmäßigkeit. Monatliche Check-ins mit anderen Influencern, gemeinsames Brainstormen, Schreiben und Feedback zu Posts helfen, die Motivation hochzuhalten. Kommunikationsabteilungen können außerdem praktische Unterstützung bieten – zum Beispiel durch Fotoshootings, Grafik-Support oder ein Screening aktueller Diskussionen in den Zielgruppen.
Ein Balanceakt zwischen Individuum und Institution
Natürlich bringt es auch Herausforderungen mit sich, wenn Einzelpersonen Teil der Kommunikationsstrategie einer Institution sind. Die große Stärke von Science Influencern ist ihre Authentizität – ihretwegen sind sie glaubwürdig. Gerade, wenn sie zum Beispiel über ihre Universität als Arbeitgeberin sprechen, sollten Influencer unbedingt ehrlich bleiben und trauen, auch mal kritisch zu werden. Denn: Glaubwürdigkeit ist schnell verspielt – und die Antennen für geschönte oder übertriebene Aussagen über Institutionen sind sensibel.
„Die große Stärke von Science Influencern ist ihre Authentizität – ihretwegen sind sie glaubwürdig.”
Sanja Ketterer
Das bedeutet auch: Universitäten profitieren nicht davon, ihren Science Influencern strenge Themenvorgaben zu machen oder gar ihre Beiträge durch Freigabeschleifen laufen zu lassen. Denn ja, ihre Aussagen werden mit der Institution assoziiert – diese Aussagen deshalb aber einem institutionellen Redigat zu unterwerfen, kostet die Influencer ihre Glaubwürdigkeit. In bestimmten Fällen kann es sinnvoll sein, Wissenschaftler*innen für Themen zu sensibilisieren, zu denen die Universität nicht Stellung beziehen will – zum Beispiel bestimmte politische Themen – mit der Bitte, diese zu klar als persönliche Meinung zu kennzeichnen. Grundsätzlich empfiehlt sich aber: Schulen – und dann loslassen. Letztendlich ist der Beitrag eines Science Influencers hier auch nicht anders als jedes persönliche Statement in einem Zeitungsinterview.
LinkedIn ist Arbeit – wie jede WissKomm!
Eine weitere Herausforderung: Regelmäßig Inhalte zu posten braucht Zeit – in einem ohnehin schon vollen Forschungsalltag kann das eine große Belastung sein. Das gilt besonders, wenn man als Einzelperson auf dem eigenen Profil aktiv ist. Deshalb ist es gerade für Science Influencer essenziell, dass Wissenschaftskommunikation als fester Bestandteil ihrer Aufgaben anerkannt und ihnen genügend Zeit dafür eingeräumt wird. Und: Es lohnt sich, Support-Strukturen aufzubauen. Zum Beispiel können geschulte studentische Hilfskräfte bei Recherchen helfen, Kontaktanfragen versenden oder ein erstes Screening spannender Beiträge zum Kommentieren vornehmen.
Ein neues digitales Zuhause für die Wissenschaftskommunikation?
Also alle ab auf LinkedIn? Ich persönlich bin überzeugt: Um Wissenschaft zugänglich machen und den Austausch auf Augenhöhe zu fördern, müssen wir Wissenschaftler*innen ermutigen, ihre Forschung, ihre Perspektiven und ihre tägliche Arbeit sichtbar zu machen – auch in sozialen Medien. LinkedIn ist ein idealer Ort dafür.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.