Die Wissenschaft prägt zunehmend unser Leben. Aber wer entscheidet, wohin die Reise geht? In diesem Interview spricht die Wissenschaftskommunikationsforscherin Sarah R. Davies darüber, wie demokratische Prozesse die Forschung beeinflussen können.
Warum „scientific citizenship“ zentral für die Demokratie ist
Auf der „Wisskomm Connected“-Konferenz hörten wir die eher kontroverse Aussage von Elisabeth Hoffman, dass sie keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Demokratie und Wissenschaftskommunikation sieht. Wie würden Sie sagen, dass Wissenschaftskommunikation die Demokratie fördert?
Ich denke, dass Wissenschaftskommunikation wie andere öffentliche und kollektive Aktivitäten dazu beiträgt, bestimmte Arten von Gesellschaften aufzubauen, unabhängig davon, ob wir als Kommunikator*innen dies anerkennen oder nicht. Einerseits kann Wissenschaftskommunikation die Demokratie fördern, indem sie wissenschaftliches Wissen einem öffentlichen Publikum zugänglich macht, Bürgerinnen*innen in die Lage versetzt, sich an informierten Diskussionen zu beteiligen, und eine breite Beteiligung an Entscheidungsprozessen gewährleistet. Andererseits kann ein Teil der Wissenschaftskommunikation sicherlich dazu beitragen, andere Gesellschaftsformen zu fördern – wie die Technokratie, in der Entscheidungen von Expert*innen getroffen werden.
In einer Demokratie ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Menschen über die Mittel verfügen, sich kritisch mit den Themen auseinanderzusetzen, die ihr Leben beeinflussen. Und viele Wissenschaftskommunikator*innen engagieren sich auch dafür. In den letzten Jahren haben Forscher*innen und Praktiker*innen im Bereich der Wissenschaftskommunikation versucht, sicherzustellen, dass Wissenschaft und Technologie Gegenstand demokratischer Einflussnahme sind.
Die Beteiligung der Öffentlichkeit an Verfahren wie Bürgerjurys ermöglicht es beispielsweise Nichtwissenschaftler*innen, bei der Festlegung von Forschungsprioritäten mitzuwirken und die Wissenschaftspolitik zu beeinflussen. Dies macht die Wissenschaft nicht nur rechenschaftspflichtig gegenüber den Bedürfnissen der Gesellschaft, sondern kommt auch den Forscher*innen zugute, die ein klareres Gefühl dafür bekommen, welche Themen für die Öffentlichkeit am wertvollsten oder relevantesten sind.
Auf diese Weise kann die Wissenschaftskommunikation eine wechselseitige Beziehung fördern. Sie gibt den Bürger*innen das Wissen an die Hand, das sie brauchen, um sich zu beteiligen, und sorgt gleichzeitig dafür, dass wissenschaftliche Forschung und technologische Entwicklungen besser mit den öffentlichen Interessen in Einklang gebracht werden.
Welche Rolle spielen die Bürger*innen?
Das Konzept der „scientific citizenship“ ist schon seit einiger Zeit im Umlauf und wurde von Wissenschaftlern wie Alan Irwin und Niels Mejlgaard diskutiert. Nach meinem Verständnis verweist der Begriff auf die Art und Weise, in der wir heute in Gesellschaften leben, in denen Wissenschaft, Technologie und Innovation eine zentrale Rolle spielen.
Wenn wir Bürger*innen in solchen Gesellschaften sind, dann sind wir gleichzeitig auch wissenschaftliche Bürger*innen. Als Bürger*innen haben wir die Verantwortung, uns an Diskussionen über wissenschaftliche Themen zu beteiligen, genauso wie wir es bei anderen Aspekten der Gesellschaft tun.
In einem Ihrer Buchkapitel stellen Sie weitere Formate der demokratischen Innovation vor – zum Beispiel die Konsenskonferenz und Szenariomethoden. Sollte die Wissenschaftskommunikation mehr deliberative Praktiken einbeziehen?
Das hängt von den Kommunikator*innen, dem Projekt und den Bedürfnissen ab. Formalisierte Prozesse sind wertvoll, wenn es um ein politisches Ergebnis geht, da es für die Teilnehmer*innen frustrierend ist, wenn ihr Beitrag nicht berücksichtigt wird. In Bereichen wie der Wissenschaftspolitik oder bei Finanzierungsentscheidungen können strukturierte Aushandlungsprozesse hilfreich sein, und es gibt inzwischen eine Vielzahl unterschiedlicher Formate, um dies zu erreichen.
In der eher informellen Wissenschaftskommunikation gibt es jedoch auch ohne formelle Verfahren Raum für demokratisches Engagement. Der Schwerpunkt liegt darauf, den Menschen Raum zu geben, ihre Meinung zu äußern, von den Forschenden zu lernen und sich als Bürger*innen besser für die Teilnahme an öffentlichen Debatten zu rüsten.
In Deutschland haben sich partizipative Formate wie Bürger*innenräte zu Themen wie Klimawandel und künstliche Intelligenz stark ausgebreitet. Was braucht es, um diese Formate erfolgreich durchzuführen?
Diese Prozesse müssen mit ehrlicher Absicht durchgeführt werden. Die Entscheidungsträger*innen müssen sich verpflichten, die Ergebnisse wirklich zu berücksichtigen. Wenn die politischen Entscheidungsträger*innen sagen: „Oh, wir werden einen Bürger*innendialog durchführen“, aber nicht wirklich die Absicht haben, die Ergebnisse zu berücksichtigen, dann ist das nur Show, und das wirkt sich verheerend auf das Vertrauen in politische Prozesse aus.
Was sind die Herausforderungen bei solchen deliberativen Formaten?
Einige Versuche, insbesondere im Vereinigten Königreich in den 2000er Jahren, zielten darauf ab, die Menschen mit neuen Technologien wie der Nanotechnologie oder der synthetischen Biologie vertraut zu machen. Diese Bemühungen waren gut gemeint, aber viele Teilnehmende hatten Schwierigkeiten, die Relevanz dieser recht abstrakten Bereiche für ihr Alltagsleben zu verstehen.
Wenn wir in erster Linie an der Förderung der Demokratie interessiert sind, ist es wichtig, bei den Fragen und Anliegen anzusetzen, die die Menschen in ihrem Leben bereits haben, anstatt ihnen bestimmte Themen aufzuzwingen.
Bei meiner Arbeit mit Wissenschaftskommunikator*innen, vor allem mit solchen, die mit marginalisierten Bevölkerungsgruppen arbeiten, habe ich festgestellt, dass viele von ihnen dringendere Anliegen haben als beispielsweise die Teilnahme an einer Debatte über synthetische Biologie. Es kann sich seltsam anfühlen, dass Mittel zur Verfügung stehen, um benachteiligte Gruppen über synthetische Biologie zu informieren, aber nicht in Veränderungen zu investieren, die sie zur Verbesserung ihres Lebens benötigen.
Sollte sich die gesamte Forschung an den Prioritäten der Bürger*innen orientieren?
Nein, das glaube ich nicht. Ich denke nicht, dass jedes Forschungsprojekt einer Bürger*innenjury unterworfen werden sollte. Das ist nicht sinnvoll und würde die meisten Menschen nicht interessieren. Bei der formalisierten Öffentlichkeitsbeteiligung geht es in der Regel eher darum, allgemeine Richtungen und Prioritäten festzulegen.
In manchen Fällen, vor allem wenn die Forschung umstritten ist oder große Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat, ist es sinnvoll, die Bürger*innen in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.
So wurden beispielsweise die digitalen Technologien fast ausschließlich von der Industrie geprägt, mit komplexen und nicht immer positiven Folgen. Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, wie eine breite, integrative öffentliche Diskussion die Entwicklung dieser Technologien und ihre Rolle in der Gesellschaft hätte beeinflussen können.
Die meisten öffentlichen Konsultationsverfahren sind zeitaufwändig und teuer. Sind digitale Technologien die Lösung?
Es hat Versuche gegeben, Online-Räume für Deliberation zu nutzen und Veranstaltungen im Stil von Konsenskonferenzen in Online-Formate umzuwandeln. Soweit ich weiß, sind sie jedoch ein wenig in den Hintergrund getreten, was zum Teil daran liegt, dass der persönliche Kontakt, die Entwicklung von Vertrauen und der Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen sehr wichtig zu sein scheinen, um aufrichtige Gespräche zu führen.
Natürlich können quantitativere Ansätze wie Abstimmungen oder deliberative Umfragen durchaus online durchgeführt werden. Aber die Art von Deliberation, die als Raum für gegenseitiges Lernen konzipiert ist, ist leider immer noch zeitaufwändig, weil sie es sein muss.
Wie sollten sich die Strategien der Wissenschaftskommunikation angesichts der wachsenden Zahl von Krisen wie dem Klimawandel und Pandemien entwickeln?
Viele würden sagen, dass wir im Zusammenhang mit Krisen wie dem Klimanotstand keine Zeit für Überlegungen haben. Die Situation ist dringend und wir müssen die Menschen zu nachhaltigem Handeln bewegen. In diesen Fällen plädieren wir im Wesentlichen für eine partielle Technokratie. So war es auch während der Pandemie, als Entscheidungen schnell getroffen werden mussten und Politiker*innen die Kontrolle an Wissenschaftler*innen delegierten.
Andere wiederum sind der Meinung, dass Dringlichkeit die Notwendigkeit der demokratischen Beratung nicht aufhebt und dass die Einbeziehung des Feedbacks der Bürger*innen zusammen mit dem wissenschaftlichen Sachverstand uns hilft, bessere Entscheidungen zu treffen. So wäre es beispielsweise während der Pandemie hilfreich gewesen, mit verschiedenen Gruppen in Kontakt zu treten, um die Auswirkungen und Bedenken im Zusammenhang mit den Schließungen und Vorschriften zu verstehen. Dies hätte neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden können.
Wie können wir als Gemeinschaft auf die Zunahme von „wissenschaftsbezogenem Populismus“ und wissenschaftsfeindlicher Rhetorik reagieren?
Aus jahrzehntelanger Forschung über die öffentliche Wahrnehmung der Wissenschaft wissen wir, dass wissenschaftliche Themen selbst im Allgemeinen keine Kontroversen auslösen – es geht darum, wie sie mit anderen Anliegen verbunden sind oder diese repräsentieren.
Wenn wir also einen Widerstand gegen die Wissenschaft feststellen, wie die zögerliche Haltung gegenüber Impfstoffen, dann hängt das oft mit allgemeineren Problemen zusammen. So zeigen beispielsweise Studien in den USA, dass Impfverweigerung mit negativen Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem verbunden sein kann. Dies gilt insbesondere für marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Diese Gruppen wurden in der Vergangenheit von den Einrichtungen des Gesundheitswesens schlecht behandelt, so dass sie aus gutem Grund zögern, deren Rat anzunehmen.
Wenn wir also auf Bewegungen stoßen, die scheinbar wissenschaftsfeindlich sind, lautet die zentrale Frage: Warum ist das so? Womit hängen die Bedenken gegenüber der Wissenschaft zusammen oder was sind die Ursachen? Was steht für sie auf dem Spiel? Wir müssen diese Fragen entschlüsseln und verstehen, wie Wissenschaft und Technologie mit allgemeineren Anliegen verknüpft sind. Ich denke, es geht darum, dort anzusetzen, wo die Menschen sind, ihre Sorgen zu verstehen und Wege zu finden, sie anzugehen.
Ist es möglich, die demokratischen Ideale eines offenen Dialogs aufrechtzuerhalten, wenn man es mit Menschen zu tun hat, die Fehlinformationen oder Verschwörungstheorien verbreiten?
Wir müssen wirklich aufpassen, dass wir bestimmte Gruppen nicht dämonisieren. Natürlich können wir mit den Entscheidungen anderer Menschen, ihrer Politik oder ihrer Einstellung zu Wissenschaft und Technologie nicht einverstanden sein.
Aber Menschen abzuschreiben oder sie für dumm zu halten – das ist zu einfach. Es ist einfach zu sagen, dass die Menschen falsch liegen oder in die Irre geführt werden. Aber als Sozialwissenschaftlerin halte ich es für wichtig, sich mit den Geschehnissen zu befassen und zu verstehen, warum diese Bedenken entstehen und auf bestimmte Weise zum Ausdruck gebracht werden.
Vielleicht bin ich zu optimistisch, aber ich denke, es lohnt sich, die Logik der Menschen zu verstehen und zu begreifen, warum sie bestimmte Positionen einnehmen. Ich glaube nach wie vor an die Kraft von Diskussionen und Meinungsaustausch.