Der wechselseitige Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wird seit Jahren beschworen. Doch funktioniert der Dialog? Oft nicht, meint unser Gastautor Marc-Denis Weitze, denn allzu oft verfällt die Wissenschaftskommunikation ins Defizitmodell. Ein Plädoyer, die Forderung nach Dialog ernst zu nehmen.
Warum der Wunsch nach Dialog oft scheitert
Keine Zukunft ohne Vision und Dialog! „Megalopolis“, der neue Film von Francis Ford Coppola, lädt ein zum Nachdenken über Utopien im Spannungsfeld von Technik und Gesellschaft. Aber meint es der Filmprotagonist, Architekt und Nobelpreisträger Cesar Catilina ernst mit dem von ihm geforderten Dialog um die Zukunft? Geht es am Ende nur darum, den Menschen eine fertige Zukunftsvision näher zu bringen, in der mit dem Wundermaterial „Megalon“ neue Städte gebaut werden – und letztlich das Zusammenleben der Menschen vorbestimmt ist? Oder bleibt der Dialog um die Entwicklung und den Einsatz von Technik offen und eröffnet Möglichkeitsräume?
Der lange Weg zum Dialog
Seit dem 18. Jahrhundert Jahrhunderts herrschte in Wissenschaft und Kommunikation weitgehend der Geist des „Public Understanding of Science“1: Die Wissenschaft definiert den Stand des Wissens. Dieses Wissen wird in vereinfachter und kondensierter Form an die Öffentlichkeit weitergegeben, deren Rolle stets die eines Empfängers ist, und deren Wissensstand (gegenüber der Wissenschaft) stets defizitär ist.
Vor einem Vierteljahrhundert herrschte Aufbruch in Deutschland. Nach dem PUSH-Memorandum sprossen hierzulande Initiativen aus dem Boden, wuchsen Kommunikationsabteilungen. Dabei ging es noch um Public Understanding, also um das Beheben von Defiziten. Gleichzeitig jedoch wurde die Parole „vom Defizit zum Dialog“ lauter. Doch wie konkret können Bürgerinnen und Bürger bei Wissenschaftsthemen ihre Wünsche und Befürchtungen äußern, Erwartungen geltend machen? Konsensus-Konferenzen, Science Engagement, Science Dialogue waren bereits im Jahr 2000 bekannte Ansätze und Formate. Doch schon damals stellte sich die Frage, wen man damit erreicht – allzuoft wohl immer Wissenschaft selbst und diejenigen, die interessiert und recht gut informiert sind. Dieter Simon, der damalige Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie, hatte vor einem Vierteljahrhundert verwiesen auf „Bemühungen, durch eine Mischung aus Erziehung, Aufklärung und (neuerdings auch) Spaß mit den Verständnis-, Legitimations- und Akzeptanzschwierigkeiten vor allem der modernen Naturwissenschaften fertig zu werden“2. Und es herrschte ein Mythos, „The Myth of Scientific Literacy“ (so der Titel des Buches von Morris Shamos aus dem Jahr 1995), der bis heute aktuell ist: Das illusorische Ziel, dass man alle Bürgerinnen und Bürger mit dem erforderlichen naturwissenschaftlichen Grundwissen ausstattet, bevor sie informiert über Kernkraftwerke oder Gentechnik mitreden könnten.
Dialog bedeutet Teilhabe
In Deutschland kamen seit der Jahrtausendwende neue Formate hinzu: Wissenschaftssommer, Aktivitäten wie „Wissenschaft debattieren“, Formate wie dem „Junior Science Cafe“, Bürgerdialoge des BMBF – und jedes Jahr ist Wissenschaftsjahr. Dennoch blieb eine Zwischenbilanz im Jahr 2014 ernüchternd 3, sah statt einer auf gegenseitiges Lernen hin ausgerichteten Dialogkultur eher „Werbeformate […], die sich zumeist an ein unspezifisches Massenpublikum richten und dessen Akzeptanzbereitschaft erhöhen sollen“ (a.a.O., S. 9).
Als sich der Wissenschaftsrat im Jahr 2021 des Themas Wissenschaftskommunikation mit einem Positionspapier annahm, ermunterte er (S. 45) „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dialogische Kommunikationsformate zu erproben und einzusetzen. Er empfiehlt insbesondere, reale Orte als Begegnungsräume zu nutzen und den direkten Austausch zu suchen.“ Unklarheit herrscht jedoch bis heute, wie ernst man den Anspruch auf Austausch nehmen soll und wie weit der Dialog gehen soll. Der Wissenschaftsrat merkt zu Dialog und Beteiligung in der Wissenschaftskommunikation an: „Eine solche Beteiligung setzt eine adäquate Bildung voraus“ (a.a.O., S. 8) und fürchtet – zumal in Social Media – „eine unkontrollierte, nicht immer sachbezogene Anschlusskommunikation, die auch Falschinformationen enthalten kann“ (a.a.O., S. 45). Wenn damit gemeint ist, gute Bildung als Grundlage der Wissenschaftskommunikation zu stärken (ohne dem „Myth of Scientific Literacy“ zu verfallen), ist das sicherlich richtig und hochaktuell. Wenn aber im Umkehrschluss auf dialogische Wissenschaftskommunikation verzichtet wird, weil gewisse Menschen keine „adäquate Bildung“ besitzen – dann läuft das demokratischen Teilhabeansprüchen zuwider : Dialog und Beteiligung gelten neben Transparenz und Legitimation zu recht als Grundpfeiler einer nachhaltigen und stabilen demokratischen Staatsform.
Lagerfeuer statt Strohfeuer
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen, Analysen und Herausforderungen beobachte ich immer wieder mit Interesse, wie mit Elan „neue“ Formate der Wissenschaftskommunikation aus der Taufe gehoben werden, die Dialog zum Ziel haben. Das ist im Ansatz lobenswert, zumal reale Orte und „Lagerfeuer“ zum Austausch in einer polarisierten Gesellschaft dringend notwendig sind. Aber einerseits halten sich viele dieser Initiativen leider nicht lange, sind dann nur Strohfeuer, deren Wirkung verpufft – es gab dann bestenfalls einen interessanten Austausch. Und andererseits wird – um bei der Lagerfeuermetapher zu bleiben – Wissenschaft allzu oft im Zentrum gesehen, die Licht und Wärme spendet (angelehnt an eine aus der Aufklärung stammende Metapher „Science is a sun“): Dabei sollte beim Lagerfeuer auch die Wissenschaft keineswegs im Zentrum stehen, sondern einen der Plätze drum herum einnehmen, neben Vertreterinnen anderer gesellschaftlicher Gruppen mit ihren jeweiligen Interessen und Werten.
Wenn Wissenschaftler auf den Marktplatz, in Bahnhöfe, Kneipen, Supermärkte oder Vereinsheime ausschwärmen, so ist das nicht automatisch ernstgemeinter und ergebnisoffener Dialog. Ich frage mich tatsächlich, wie es immer wieder geschieht, dass als „Dialog“ angekündigte Aktivitäten der Wissenschaftskommunikation – Events, Social-Media-Posts und Videos – die Einbahnstraße vom Sender zum Empfänger pflegen und nicht darüber hinauskommen. Obwohl das Defizitmodell empirisch längst widerlegt ist, obwohl in allen Sonntagsreden der Dialog beschworen wird und obwohl Dialog als strategisches Ziel genannt wird, kommt der Dialog mit der Gesellschaft eher selten in der Praxis an4.
Visionen aus der Wissenschaft – Dialog mit der Gesellschaft
Statt weiterhin Werbebotschaften an ein unspezifisches Publikum zu senden, nach mehr Akzeptanz für Wissenschaft zu suchen oder gar einen „autoritären Szientismus“ (Peter Strohschneider) zu pflegen, sollten wir als Wissenschaftskommunikatoren den Megalopolis-Aufruf „Keine Zukunft ohne Vision und Dialog!“ ernst nehmen. Die Visionen können nach Maßgabe der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten formuliert werden, der Dialog beinhaltet dann die Abstimmung von Wissensansprüchen, Interessen, Werten und Präferenzen – unter Einbeziehung aller interessierten gesellschaftlichen Gruppen. Bei der Konzeption von Dialogveranstaltungen sind wir als Kommunikationsprofis gefragt – und wir sollten es uns nicht zu einfach machen. Dialogveranstaltungen brauchen sorgfältige Vor- und Nachbereitung: Es geht insbesondere darum, die Kommunikationsziele zu formulieren, Methoden und Formate daran anzupassen (idealerweise beraten durch WissKomm-Forschende) – und im Nachgang transparent und kritisch die Zielerreichung und Ergebnisse zu reflektieren. Dann kann der Dialog beitragen, Positionen und Bewertungen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen mit Respekt zu betrachten, unvoreingenommen zu reflektieren, ernst zu nehmen – und diese Bewertungen in Wissenschaft und Wirtschaft wahrzunehmen und aufzunehmen.
Anmerkung der Redaktion: Üblicherweise verwenden wir den Genderstern. In diesem Gastbeitrag verzichten wir auf Wunsch des Autors darauf.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.