Wie viel Kreativität und Kunst finden sich in einer naturkundlichen Sammlung, und wozuwerden sie eingesetzt? Im Interview teilt Lea Friederike Luthardt ihre Erfahrungen als Kuratorin des Museum Lüneburg.
„Visuelle Möglichkeiten, um Menschen in einen Raum zu locken, muss man nutzen“
Frau Luthardt, Sie bringen als Kuratorin Kunstwerke mit Bezug zur Wissenschaft in das Museum Lüneburg. Wieso ist das hilfreich?
Visuelle Möglichkeiten, um Menschen in einen Raum zu locken, muss man nutzen. Es gibt nämlich zwei Arten von Museumsbesucherinnen und -besuchern: Leser und Läufer. Leser haben Interesse an Texten, die wir ihnen in einer möglichst einfachen und verständlichen Sprache anbieten. Die Läufer hingegen werden immer durch visuelle Anreize mitgenommen. Die dabei eingesetzte Kunst ist vielfältig. Ich habe beispielsweise Bilder mit Präparaten kombiniert, und wir nutzen natürlich auch gerne Kunst zum Anfassen, also beispielsweise Modelle oder Skulpturen aus Holz.
Wie viel Kreativität darf in einem naturkundlichen Exponat stecken?
Ich bin Verfechterin von natürlichen Darstellungen. Bei Rekonstruktionen ausgestorbener Tiere, von denen man keine weitere Information hat, orientiert man sich beispielsweise an der Farbgebung der Haut heutiger Verwandter. So minimiert man die Gefahr, dass das Publikum eine komplett falsche Vorstellung der ausgestorbenen Tiere bekommt. In diesem Fall muss man natürlich zusätzlich kommunizieren, dass es sich nach wie vor um einen kreativen Ansatz in Form einer Annäherung handelt.
Früher steckte in jedem Präparat viel Fantasie. Das lag auch daran, dass Präparatorinnen und Präparatoren die Tiere oft nie zuvor in natura gesehen hatten. Heutzutage fahren sie auf Forschungsreisen mit und wissen dadurch, wie sich das Tier natürlich bewegt und wie sein natürlicher Lebensraum aussieht. Das ist wichtig für eine akkurate Darstellung des auszustellenden Tieres mitsamt seinem Umfeld – das wird in einem Museum gerne als Arrangement dargestellt.
Wie frei oder kreativ darf man bei einem solchen Arrangement sein?
Die Frage ist, was ich durch meine Arbeit vermitteln will. Einmal habe ich einen Fehler im Walt-Disney-Film Bambi dazu genutzt, um über verschiedene Wildarten aufzuklären. Die meisten Leute meinen zu wissen, dass Bambi ein Rehkitz ist. Dabei ist Bambi im originalen amerikanischen Film ein Weißwedelhirsch, da es mit einem Schwanz dargestellt ist. Rehkitze haben jedoch keinen Schwanz, sondern nur ein Haarbüschel. Weil es in Deutschland aber keine Weißwedelhirsche gibt, wurde in der Übersetzung ein Rehkitz daraus gemacht. Somit kann der Hirsch im Film gar nicht mehr Bambis Vater sein, weil das zwei unterschiedliche Tierarten sind! Dieses Dilemma habe ich genutzt, um mit Exponaten vom Rothirsch, Damhirsch und Reh die Verwandtschaftsverhältnisse der Tiere untereinander aufzuzeigen. Das Publikum war zwar überrascht, fand es aber gut.
Nehmen wir ein anderes konkretes Ausstellungsbeispiel. Was haben Sie mithilfe der Sonderausstellung „Natur im Porträt: Der Maler Jürgen Freiherr von Wolff“ gezeigt, was ein Exponat alleine nicht hätte leisten können?
Ich habe den Künstler von Wolff ausgestellt, weil er die Tiere so detailgetreu im Kontext ihres Umfeldes gemalt hat, dass anhand seiner Bilder oft genau zugeordnet werden kann, um welche Art es sich handelt. Neben die Bilder habe ich jeweils ein Präparat des Tieres gesetzt, um diese Tatsache hervorzuheben. Vor der Erfindung der Fotografie haben solche exakten Zeichnungen Fotos ersetzt. Wenn ich weiß, wo und wann dieses Bild entstanden ist, dann können wir nun mit dem Museumsbesuchern und -besucherinnen, oder auch als Teil unserer Forschung, die abgebildeten Orte aufsuchen und sehen, wie es heute dort aussieht und welche Veränderungen es gibt. Diese Kunst kann demnach nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch dazu beitragen, dass bestimmte Forschungsfragen beantwortet werden.
Dazu kommt, dass der Künstler hier in Lüneburg gelebt hat, was für uns als Regionalmuseum spannend ist. Wir müssen Wege finden, um die lokale Bevölkerung anzusprechen. Zum einen gibt es Menschen, die ihn noch persönlich gekannt haben. Zum anderen sehen die Besucherinnen und Besucher auf den ausgestellten Bildern Orte, die sie aus eigener Erfahrung kennen und mit denen sie etwas verbinden. Ich kann sie mithilfe dieser Bilder also emotional erreichen.
Warum ist es vorteilhaft, die Besucherinnen und Besucher emotional anzusprechen?
Weil wir ihnen dann näher sind. Jetzt können wir weitere Inhalte vermitteln. Wir wollen gerne erreichen, dass der Mensch so respektvoll mit seiner Umgebung umgeht, sodass Pflanzen und Tiere auch einen Platz darin haben. In einer Führung können wir relativ direkt sagen, dass wir uns mehr Schutz für die Umwelt wünschen. Außerhalb der Führung versuchen wir die Information über die Schilder an den Exponaten zu liefern. Beispielsweise indem wir erklären, welche Tiere in einem bestimmten Zeitraum unter Lebensraumverlust leiden und somit ihre Population stark dezimiert wird.
Außerdem versuchen wir das Publikum über persönliche Erfahrungen zu erreichen. Dafür habenwir ein interaktives Spiel bei unserer Dauerausstellung, bei dem es verschiedene Personen gibt: die Investoren, die Naturschützer und ganz normale Bürgerinnen und Bürger. Man kann nun in die unterschiedlichen Rollen schlüpfen und als Entscheidungsträger im Städtebau selber bauen, als Naturschützer die Natur erhalten oder als Bürger am besten von allem etwas haben. So erlebt man, dass es hier Interessenskonflikte geben kann, die gar nicht so einfach zu lösen sind.
Kommt Ihre Nachricht beim Publikum an?
Das ist schwer zu sagen, da wir nur manchmal über Fragebögen Rückmeldungen bekommen und das dann sehr spezifisch für die jeweilige Ausstellung ist. Auch das Gästebuch gibt gute Hinweise. Hier bemängeln die Besucherinnen und Besucher zum einen technische Dinge, wie einen Bildschirm, der nicht funktioniert. Sie benennen aber auch, bei welchem Exponat sie gerne mehr Information gehabt hätten oder was sie besonders beeindruckt hat. Diese Information können wir dann für die nächste Ausstellung mitnehmen.
Sie bieten auch immer wieder Malworkshops für Kinder und Erwachsene an. Mit welchem Ziel?
Dabei ging es mir darum, das Auge zu schärfen. Wenn man sich mit einem Thema intensiver beschäftigt, sieht man mit einem Mal überall um sich herum Details, die dazugehören. Bei den Kunstworkshops können wir die Teilnehmenden also sensibilisieren – für ihre Umwelt, für die Tier- und Pflanzenwelt um sie herum. Beim Malen geht es zum einen um die Form als solche, also die Konturen, die Proportionen, damit man anschließend erkennt, um was für ein Tier es sich handelt. Es geht aber auch um die kleinen Details wie die Farbe der Federn, der Nase oder ähnliches, die eine Art von einer anderen unterscheiden. Bei uns werden einheimische Tiere gezeichnet. Wenn die Malenden nach dem Kurs rausgehen, können Sie die Tiere wiedererkennen und sollten den Artnamen im Kopf haben. Und sie unterscheiden danach beispielsweise eine Kohlmeise von einer Blaumeise, weil sie wissen, dass sich diese sehr ähnlichen Arten durch die Farbe des Kopfes unterscheiden.