Wie nehmen Bürgerinnen und Bürger aktuell die Kommunikation aus der Forschung wahr? Und wie entwickelt sich das Vertrauen in die Wissenschaft? Zahlen dazu gibt es im neuen Wisenschaftsbarometer, das heute erschienen ist. Sozialpsychologin Pia Lamberty ordnet die Ergebnisse ein und erklärt, welche Rolle Verschwörungsmythen spielen.
„Vertrauen ist eine wichtige Größe im Krisenmanagement“
Frau Lamberty, das Wissenschaftsbarometer 2020 wurde veröffentlicht. Gibt es Ergebnisse, die Sie überraschen?
Was ich beim Lesen der Daten immer wieder gedacht habe, ist, wie gut es eigentlich ist, wie viele Menschen der Wissenschaft vertrauen (Anmerkung der Redaktion: 60 Prozent der Befragten) und was für ein differenziertes Bild von Wissenschaft die Menschen haben. Das denkt man von außen oft nicht. Die Daten zeigen, dass die Bevölkerung in der Lage ist zu sehen, dass wissenschaftliche Diskurse existieren und es Unsicherheiten gibt, die es zu kommunizieren gilt.
Außerdem ist es natürlich erfreulich, dass sich die Menschen gerade in Zeiten einer Pandemie sogar noch stärker auf die Wissenschaft verlassen als zuvor und Ärztinnen und Ärzte und Wissenschaft im Bezug auf das Vertrauen in Berufsgruppen ganz oben stehen. Dass Menschen in Krisenzeiten nicht das Vertrauen in Wissenschaft verlieren, sondern ganz im Gegenteil die Bedeutung der Wissenschaft noch mehr anerkennen, ist erst mal ein positives Zeichen. Das bedeutet auch, dass hier ganz viel richtig gemacht wurde. Gerade Deutschland hat mit dem „Corona-Update-Podcast“ von Christian Drosten und dem NDR oder auch „MaiLab“ eine sehr starke Wissenschaftskommunikation gehabt und das ist erfreulich. Natürlich gibt es aber auch einige Ergebnisse im Wissenschaftsbarometer, die eher besorgniserregend sind. Die finde ich allerdings weniger überraschend.
Welche Ergebnisse finden Sie besorgniserregend?
Das ist insbesondere wichtig, weil wir derzeit ja vor der nächsten großen Herausforderung bei der Bewältigung der Krise stehen: der Impfung. Laut den Daten des Wissenschaftsbarometers wollen sich derzeit nur 55 Prozent der Befragten „sehr wahrscheinlich“ oder „eher wahrscheinlich“ impfen lassen. Andere Studien kommen auf ähnliche Zahlen und belegen, dass die Impfbereitschaft in Deutschland relativ niedrig ist – und hier beziehe ich mich ausdrücklich auf die Aussage von anderen Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Impfung. Diese Impfbereitschaft ist nicht ausreichend, um Covid-19 einzudämmen. Das ist besorgniserregend.
Noch ist ja kein Impfstoff auf dem Markt, glauben Sie nicht, dass sich die Ergebnisse ändern, wenn es erst mal einen Impfstoff gibt?
Natürlich kann es sein, dass sich das noch mal ändert, weil viele derzeit noch skeptisch sind und noch relativ wenig über die Impfstoffe bekannt ist. Die Abwägung von Risiken ist laut den Studien zur Impfstoffakzeptanz der Professorin für Gesundheitskommunikation Cornelia Betsch, einer der Gründe, weshalb Leute nicht bereit sind, sich impfen zu lassen. Diese Unsicherheit wird hoffentlich noch durch eine gute Kommunikation adressiert und minimiert. Die Zahlen des Wissenschaftsbarometers weisen aber auch aus, dass sich etwa 20 Prozent der Bevölkerung auf keinen Fall impfen lassen würden und daher ist die Kommunikation zu den Impfstoffen eine große Herausforderung. Gerade auch, weil der Verschwörungsglaube hier eine besondere Herausforderung darstellen wird.
Warum ist das der Fall?
In welchen genau?
Wenn 40 Prozent der Bevölkerung glauben, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht alles sagen, was sie über das Coronavirus wissen, dann ist das problematisch. Insbesondere weil damit ja nicht gemeint ist, dass einfach noch Erkenntnisse fehlen. In der Aussage ist eine Heimlichkeit impliziert und diese ist aus meiner Sicht ein Weg in den Verschwörungsglauben. Auch dass 30 Prozent glauben, dass alles übertrieben ist, ist im Hinblick auf die aktuell hohen Todesfallzahlen und die bevorstehende Weihnachtszeit, in der Eigenverantwortung eine besonders große Rolle spielt, eine Gefahr. Hinzu kommen immerhin 15 Prozent, die glauben, dass das Virus nicht existiert und damit eine ganze Virenfamilie quasi als nicht existent beschreiben. Zwar sind das keine Mehrheiten, aber es ist wichtig klarzumachen, dass es eben keine Mehrheit braucht, um problematisch zu werden.
Wieso kann man nicht sagen, dass diese Gruppen einem egal sind? Es ist ja eben – wie Sie selbst sagen – nicht die Mehrheit der Bevölkerung.
Fast alle Studien zu diesem Themenkomplex zeigen, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung an Verschwörungsmythen zu Corona glaubt. Das sind sehr viele Menschen, wenn man es in absoluten Zahlen betrachtet. Wir wissen, dass die Ausbreitung des Virus von wenigen Leuten stark angetrieben werden kann und wenn ein Viertel der Bevölkerung die Maßnahmen nicht stützt und sich aktiv gegen sie wehrt, kann dieses Viertel großen Schaden anrichten. Hinzu kommen gesellschaftliche Konsequenzen, die man nicht vernachlässigen darf.
Welche meinen Sie?
Wenn man große Demonstrationen mit verschwörungsideologischen und teilweise antisemitischen Motiven hat, wie wir sie in letzter Zeit in Deutschland erleben mussten, dann macht das etwas mit der Gesellschaft und kann auch zu Taten führen. Ebenso, wie wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Art und Weise angegriffen werden, wie es derzeit der Fall ist. All dies kann dazu führen, dass sich Forscherinnen und Forscher aus der Wissenschaftskommunikation zurückziehen und sich in ihrer Freiheit bedroht fühlen. Die Freiheit der Wissenschaft ist fest in unserer Demokratie verankert und steht unter einem besonderen Schutz. Sie kann einerseits von Regierungen bedroht werden, aber eben auch von der Gesellschaft und zwar in Form von Angriffen auf Einzelne.
Erleben eine Verrohung des Dialogs?
Ich selbst erlebe dies so, ja. Ich kriege viele Drohungen und Beschimpfungen, sowohl postalisch als auch auf Twitter und per Mail und zwar oft nicht anonym, sondern ganz offen mit Klarnamen. Die Absenderinnen und Absender fühlen sich also nicht, als müssten sie sich verstecken, sondern fühlen sich im Recht und als wäre ich das Böse. Herr Drosten wird vermutlich noch deutlich mehr dieser Zuschriften erhalten. Es ist heute vieles Sagbar, was früher nicht in der Öffentlichkeit geäußert wurde und wir erleben eine Enthemmung. Generell sind Hassreaktionen auf Wissenschaft nichts Neues, aber in diesem Ausmaß und mit dieser Offenheit ist es neu. Wir sehen hier eine Verschiebung und die Gesellschaft scheint keine passende Reaktion parat zu haben.
Die öffentliche Reaktion besteht häufig eher aus Spott und Unverständnis, als aus einer echten Reaktion. Nehmen Sie das auch so wahr?
Welche Rolle spielen die Medien dabei, die Expertise von bestimmten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern richtig darzustellen?
Der US-Wahlkampf hat allerdings gezeigt, dass man auch als Journalistin oder als Journalist eine Haltung gegenüber Fehlinformationen einnehmen kann. Das ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich und ich denke in diesem Bereich müssen die Medien noch besser werden. Wenn beispielsweise über Demonstrationen berichtet wird, auf denen Dinge behauptet werden, die ganz eindeutig falsch sind. Dann würde ich mir wünschen, dass diese nicht einfach so stehen gelassen, sondern eingeordnet werden und klar als falsch benannt werden. Das ist auch keine subjektive Positionierung, sondern eine Benennung von Fehlinformationen und damit Aufgabe des Journalismus.
Kann der Journalismus, dem laut Wissenschaftsbarometer noch weniger Leute vertrauen, als der Politik, dies überhaupt noch leisten?
Menschen sind kommunikative Wesen. Daher ist es erst einmal nachvollziehbar, dass versucht wird, gesellschaftliche Probleme über Kommunikation zu lösen. Das funktioniert aber nur unter bestimmten Bedingungen: Wenn „fair gespielt“ wird, also wenn nicht Lügen verbreitet werden. Wenn man eine gemeinsame Wirklichkeit teilt. Und wenn eben nicht mit Hass und Hetze gearbeitet wird. Wenn diese grundlegenden Bedingungen nicht erfüllt werden vom Gegenüber, ist eine Kommunikation, also Austausch, nicht mehr möglich. Deswegen gilt es auch für Medien, dass es gute Konzepte gegen Fehlinformationen und Verschwörungsmythen braucht, denn sie werden die große Herausforderung der nächsten Jahre sein.
Haben Sie konkrete Beispiele dafür, was Sie sich wünschen würden?
Im Kontext der Pandemie, aber auch allgemein bei Studien würde ich mir eine genauere Einordnung wünschen. Wenn man beispielsweise über die täglichen Zahlen zu Covid-19 berichtet, kann man einfach nur die Zahlen berichten oder man kann sie in Kontext setzen. Das würde ich mir wünschen. Damit würde darlegt, woher bestimmte Veränderungen kommen. Das ist auch bei anderen Studien möglich: Bringt die Umfrage neue Erkenntnisse? Steht sie im Einklang mit anderen Ergebnissen? Alleine da gibt es viel Luft nach oben und dafür brauchen wir guten Journalismus.
Mir scheint auch, dass wissenschaftliche Diskurse oft nicht gut vermittelt werden. Gerade im Bereich Virologie kommt es da gerade zu medialen Inszenierungen, die mit dem wissenschaftlichen Alltag wenig zu tun haben. Natürlich ist man nicht immer einer Meinung, das gehört dazu. Ich kann keinen Artikel veröffentlichen, ohne dass er nicht vorher von Gutachtern (Reviewern) kritisch betrachtet wurde. Das ist grundlegender Teil der Qualitätssicherung, kein persönlicher Streit.
Trotzdem haben Sie betont, dass die Wissenschaftskommunikation einiges richtig gemacht hat. Es scheint aber eine Art blinden Fleck zu geben. Was glauben Sie, muss besser gemacht werden?
Wenn man sich mit der Bekämpfung von Verschwörungsmythen beschäftigt, dann kommen immer wieder wie Begriffe wie Debunking, Rebuttal und Inoculation vor. Wie stehen Sie zu diesen?
Ich denke dabei ist vor allem wichtig, dass man zwischen Desinformation und Verschwörungsmythen genau unterscheidet. Natürlich gibt es hier Überlappungen, aber es ist eben nicht das Gleiche. Desinformationen kann ich debunken, also entlarven. Da kann ich faktische Fehler aufdecken und diese mit Fakten widerlegen. Verschwörungsmythen hingegen sind eher ein Raunen und behandeln nur selten Fakten. Erkenntnistheoretisch ist es schwierig bis unmöglich etwas zu widerlegen, was nicht existiert. Das funktioniert nicht und damit ist die Herausforderung eine sehr große. Mir werden beide Phänomene noch zu oft durcheinandergebracht und es wird zu häufig versucht, die gleichen Ansätze in der Bekämpfung anzuwenden.
Was könnten Ansätze gegen Verschwörungsmythen sein?
Der Ansatz in Beratungsstellen ist daher oft nicht die Auseinandersetzung mit den Fakten, sondern die Auseinandersetzung mit der Funktion des Verschwörungsglaubens. Das ist extrem aufwendig, komplex und langwierig und damit eher eine Lösung im individuellen Umgang und nicht auf gesellschaftlicher Ebene. Deswegen braucht es aus meiner Sicht unterschiedliche Strategien für unterschiedliche Kanäle. In Sozialen Medien beispielsweise geht es um ein strategisches Verhalten im Umgang. Beschimpfe ich etwa jemanden, dann biete ich hier einen Angriffspunkt für Solidarisierung durch dritte. Hier geht es darum, Fragen zu stellen, Fehler aufzuzeigen und zu versuchen, einen produktiven Austausch zu gestalten der allerdings klar Defizite in bestimmten Ideologien aufzeigt.
Das nächste ganz konkrete Thema, was auf uns zukommt, ist das Thema Impfung. Gibt es etwas, was man in diesem Bereich aktuell konkret tun könnte, um Verschwörungsideologien vorzubeugen?
Ich würde mir mehr Expertengremien auf Länder- und Bundesebene zu diesem Thema wünschen, wo Leute aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenkommen und gemeinsam Kommunikationsstrategien diskutieren und erarbeiten. Was in jedem Fall wichtig ist, ist dass es nicht nur Top-Down-Ansätze gibt, die einem sagen, dass man sich impfen lassen soll, sondern auch Bottom-Up-Ansätze. Das könnten Botschafterinnen und Botschafter sein, die über Impfungen informieren und ihre Erfahrungen teilen. Das ist aufwendig, aber effektiv, weil wir es da schaffen können, in unterschiedliche Zielgruppen und Kommunikationsräume vorzudringen.
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