„Wir müssen reden! Wissenschaft in der Vertrauenskrise?” Zu dieser Fragestellung findet am 27. Februar am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung eine Podiumsveranstaltung statt. Ein Gespräch mit dem Sprecher der Institutsleitung, Thomas Jahn, über Vertrauensverlust und das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft.
„Vertrauen ist die zentrale Währung im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“
Herr Jahn, befindet sich die Wissenschaft tatsächlich in einer Vertrauenskrise? Aus den Daten des aktuellen Wissenschaftsbarometers ist dies jedenfalls nicht abzulesen. Weshalb sprechen wir trotzdem so oft darüber?
Aus meiner Sicht ist der Begriff trotz der Daten aus dem Wissenschaftsbarometer – immerhin geben 54 Prozent der Befragten an, dass sie in Wissenschaft und Forschung vertrauen – richtig gewählt und hat seine Berechtigung. Der Begriff der Vertrauenskrise zielt aus meiner Sicht vor allem auf ein sich veränderndes Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft: Früher war die Vorstellung vorherrschend von zwei getrennten Bereichen mit je unterschiedlichen Aufgaben und Funktionsweisen. Heute beobachten wir hingegen, dass die Wissenschaft die Gesellschaft immer tiefer durchdringt und damit immer aktiver in sie hineinwirkt. Dies gilt auch andersherum: Der Einfluss von Politik und Wirtschaft auf die Wissenschaft steigt ebenfalls. Dieser Einfluss wird im Wissenschaftsbarometer als größte Gefahr für einen Vertrauensverlust gesehen. Darüber hinaus verschieben sich auch die Ansprüche, die die Zivilgesellschaft an die Wissenschaft stellt. Sie fordert nützliches, anwendbares Wissen und verständliche Antworten, um sich in einer immer komplexer werdenden Welt zurechtfinden zu können.
Auch weil Vertrauen die zentrale Währung im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft darstellt, ist der Begriff Vertrauenskrise durchaus berechtigt. Den Krisenbegriff verwende ich dabei nicht im alarmistischen Sinne – Krise als drohender Zusammenbruch – sondern in dem Sinne, dass Krise immer auch die Chance für etwas Neues und eine Neuordnung beinhaltet. Bezogen auf die aktuelle Situation bedeutetet dies: In dem Hinterfragen der Aufgabe der Wissenschaft für die Gesellschaft liegen auch Chancen für positive Veränderungen im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft.
Nehmen Sie das veränderte Verhältnis in Ihrer Arbeit wahr?
Gerade in der Nachhaltigkeitsforschung spüren wir das ganz deutlich: Um tatsächlich gebrauchsfähige Lösungen zu entwickeln, verknüpfen wir am ISOE problembezogene Grundlagenforschung mit anwendungsorientierter Forschung. Hier nehmen wir die Bedürfnisse von Politik und Gesellschaft auf und integrieren sie von Beginn an in unsere Arbeit. Gerade weil wir praxistaugliche Lösungen für unterschiedliche Akteure erarbeiten, müssen wir als Forschende immer auch fragen, wie Gesellschaft und Politik mit den neuen Erkenntnissen umgehen. Wir haben uns daher schon 1989 bei der Gründung des Instituts bewusst für einen transdisziplinären Forschungsmodus entschieden.
Was bedeutet das konkret?
In unseren Forschungsprojekten arbeiten wir eng mit Expertinnen und Experten aus der Praxis zusammen. Dadurch verändert sich der Forschungsprozess, da die unterschiedlichen Denkweisen und das unterschiedliche Wissen der am Forschungsprozess beteiligten Akteure interagieren. Durch diese Zusammenarbeit in einem Forschungsprojekt von Beginn an wird die Arbeit der Wissenschaft transparenter und offener. Auch das fördert das Vertrauen.
Ist es Ihnen leicht gefallen, Ihre Arbeitsweise dahingehend zu verändern?
Wie gesagt, wir haben in unserer Forschung von Beginn an transdisziplinär – also disziplinenübergreifend und gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern aus der Praxis gearbeitet. Diese Art zu arbeiten bringt eine ganze Menge methodischer Herausforderungen und Neuerungen für die Wissenschaft mit sich. In solchen Prozessen muss anders gearbeitet werden und beispielsweise die Übersetzungsleistung zwischen den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und zwischen den Beteiligten aus Wissenschaft und Praxis von Anfang an mitgedacht werden. Es bedarf eines sprachlichen Aufeinanderzugehens. Auch die Reflexion über die eigene Forschungsarbeit und die Prozesse dahinter gewinnt an Bedeutung. Das ist nicht immer einfach, gerade weil die Wissenschaft sich als System ja stark über methodische und sprachliche Codes definiert. Aus meiner Sicht ist es aber ein notwendiger Prozess, der künftig weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Wie kann man diese Veränderungen fördern?
Ein wichtiger Schritt ist sicherlich, diese Praktiken direkt in die Lehre zu integrieren und das dafür benötigte Handwerkszeug bereits in der wissenschaftlichen Ausbildung stärker als bislang zu vermitteln. Es braucht aber auch einen Wandel in der Forschungskultur. Wir benötigen einen innerwissenschaftlichen Diskurs darüber, wie wir unsere Praxis künftig gestalten wollen. Wir müssen unsere Methoden, unsere Art der Reflexion und unsere Kommunikationsformen kritisch hinterfragen und uns mit ihnen auseinandersetzen, um sie weiterzuentwickeln zu können. Im Wissenschaftsjahr „Zukunft der Erde“ 2012 konnte man gut beobachten, wie dies gelingen kann. So kam es beispielsweise unter dem Stichwort „Große gesellschaftliche Herausforderungen“ dazu, dass das Thema „Wissenschaft und Forschung für eine nachhaltige Entwicklung“ ins Zentrum einer Vielzahl kontroverser Debatten gerückt wurde. Das war ein wichtiger Schritt. Der Prozess sollte allerdings nicht nur innerhalb der Wissenschaft angestoßen werden. Es ist auch Aufgabe der Wissenschaftspolitik, ihn aktiv zu fordern und zu fördern.
Das klingt danach, als müssten eine ganze Reihe von Akteurinnen und Akteuren am neuen Verhältnis mitwirken. Welche sind das?
Es geht aus meiner Sicht nicht nur darum, welche Akteurinnen und Akteure aktiv sind, sondern vor allem wie deren Verhältnis zueinander ist. Der Wissenschaftskommunikation kommt hier eine wichtige Rolle zu, vor allem auch, weil die Wissenschaft selbst stärker auftreten muss als zuvor: Wenn ich mich schon innerhalb der wissenschaftlichen Prozesse mit den Fragen nach der Anwendbarkeit, Wirksamkeit und dem Nutzen meiner Forschungsergebnisse kritisch beschäftige, dann kommt die Forschung selbst in die Position, das erlangte Wissen auch in den gesellschaftlichen Diskurs einzuführen und mit zu beeinflussen, wie dies geschieht. Das muss und wird in Zukunft vermehrt Teil unserer Arbeit werden. Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation gehen – dem Idealbild nach – Hand in Hand und werden stets gemeinsam gedacht.
Eine weitere wichtige Rolle spielen die sogenannten Intermediären, also die, die als ‚Mittler‘ direkt in die Gesellschaft kommunizieren. Das können sowohl Journalistinnen und Journalisten sein, als auch professionelle Wissenschaftskommunikatorinnen und -kommunikatoren. Sie müssen in Zukunft stärker die Prozesse hinter der Wissenschaft mit kommunizieren. Dazu brauchen sie die notwendige Expertise und den Willen, die Komplexität von Wissenschaft aktiv zu kommunizieren und nicht nur Ergebnisse isoliert zu betrachten, aufzuarbeiten und zu übersetzen.
Besteht da aktuell noch Nachholbedarf?
Auf jeden Fall. Das konnte man zuletzt bei der Feinstaubdebatte beobachten. Da sind der Nachholbedarf und die große Herausforderung, vor der die Wissenschaft und auch die Wissenschaftskommunikation aktuell stehen, deutlich geworden. Wären die Prozesse und die Funktionsweise von wissenschaftlichen Studien und Analysen in der Gesellschaft klar, wäre es den „100 Lungenärztinnen und -ärzten“ niemals möglich gewesen, mit ihrem wissenschaftlich nicht haltbaren Thesenpapier eine derartige Öffentlichkeit zu erreichen. Daran kann man exemplarisch gut sehen, wie wichtig es ist, ein Grundverständnis für die Arbeitsweise von Wissenschaft zu vermitteln. Nur wenn dieses vorhanden ist, kann eine kontroverse Debatte auch wirklich auf höchstem Niveau geführt und durchdrungen werden. Da müssen wir also ran.
Und dazu muss auch die Politik – damit sind wir bei einem weiteren entscheidenden Akteur – sich aktiv dafür einsetzen, dass diese Art der Kommunikation an Bedeutung gewinnt und gestärkt wird.
Ist es für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überhaupt machbar, diese Zusatzarbeit zu bewerkstelligen?
Im Kleinen auf jeden Fall: Je selbstverständlicher die Bedeutung von Kommunikation und die Frage der Kommunizierbarkeit von Ergebnissen zum Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens wird, desto einfacher ist es für einzelne Personen, die Kommunikation von vornherein mitzudenken und als festen Bestandteil ihrer Arbeit anzuerkennen.
Schwierig wird es, wenn wir an das Wissenschaftssystem denken. Da bräuchte es eine bessere Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation, damit es überhaupt machbar ist. Außerdem kommt den institutionellen Akteuren innerhalb des Wissenschaftssystems – also zum Beispiel der DFG, den Wissenschaftsgemeinschaften und den Fachgesellschaften – eine wichtige Rolle zu. Hier würde ich mir eine offensivere und lautere Stimme der Wissenschaft gegenüber wissenschaftsrelativierenden Positionen wünschen. Zentral ist jedoch zunächst, dass Wissenschaft die wachsenden Ansprüche von Politik und Gesellschaft ernst nimmt, gebrauchsfähiges und bestmöglich geprüftes Wissen für die tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesse bereitzustellen. Dafür muss Wissenschaft eine kritische und reflexive Haltung kultivieren und einen konstruktiven Austausch mit der Gesellschaft suchen, beispielsweise durch die Teilhabe nicht-wissenschaftlicher Akteure am Forschungsprozess. Und nicht zuletzt ist ein intensiveres Engagement von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Vermittlung der Forschungsergebnisse vonnöten. Dazu gehört auch, Forschungsprozesse selbst nachvollziehbarer und transparenter zu machen. Das wird nicht ohne grundlegende und systemische Änderungen gehen und da sind wir noch nicht. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich etwas bewegen wird.