Die Nachfrage nach wissenschaftlichem Rat ist in der Coronapandemie gestiegen – teils über das hinaus, was wissenschaftliche Politikberatung bewirken kann. Eine Aufgabe der Wissenschaftskommunikation wird sein, Methoden, Möglichkeiten aber auch Grenzen wissenschaftlicher Politikberatung deutlich zu machen, schreiben Armin Grunwald und Christoph Uhlhaas von acatech.
Vertrauen in die Wissenschaft ist gut, entscheiden müssen wir demokratisch
Die Corona-Jahre waren und sind eine Bewährungsprobe für die Kommunikation zwischen Wissenschaft, nicht-wissenschaftlicher Gesellschaft, Medien und Politik. Das Wissenschaftsbarometer zeigt ein recht hohes, teils gestiegenes Vertrauen der Deutschen in die Wissenschaft. Gestiegen sind indes auch die Nachfrage nach wissenschaftlichem Rat und die Erwartungen in seine politische Wirkung – teils über das hinaus, was wissenschaftliche Politikberatung bewirken kann und sollte. Eine Aufgabe der Wissenschaftskommunikation wird sein, Methoden, Möglichkeiten aber auch Grenzen wissenschaftlicher Politikberatung deutlich zu machen.
Möchte man grob vereinfacht das im Wissenschaftsbarometer von Wissenschaft im Dialog* gezeichnete Meinungsbild auf einen Tenor bringen, könnte es etwa so klingen: „Die meisten von uns Bürgerinnen und Bürgern vertrauen euch. Wir schätzen und unterstützen eure Arbeit und interessieren uns dafür. Ihr solltet allerdings mehr auf uns zugehen, mehr mit uns sprechen. Und ihr solltet der Politik deutlicher sagen, wo es lang geht.“ In diesem Sinne sind die Umfrageergebnisse ermutigend für alle, die Wissenschaft als integralen Teil freiheitlicher Demokratien sehen. Bemerkenswert ist dies besonders daher, weil gerade während der Pandemie wissenschaftliche Kontroversen öffentlich sichtbar wurden. Nicht selten standen sich Expertenmeinungen gegenüber. Ein überwiegender Teil der Öffentlichkeit akzeptiert dies scheinbar als Teil wissenschaftlicher Pluralität und notwendigen gemeinsamen Lernens.
Klar, die Nachfrage nach Wissenschaft war in der Coronapandemie hoch wie lange nicht mehr. Was sind Ansteckungswege? Welche Schutzmaßnahmen vereinbaren wir? Brauchen wir eine Null-Covid-Strategie oder sollten wir lernen, mit dem Virus zu leben? Was ist mit gesellschaftlichen Folgen? All diese Fragen haben unmittelbare Wissenschaftsbezüge. Die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen machte den Wert der Wissenschaft für viele Menschen plastisch.
Das stabile Vertrauen ist keineswegs selbstverständlich
Selbstverständlich sind die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers allerdings nicht. Wo die Sichtbarkeit und Wirksamkeit der Wissenschaft wächst, kann viel Vertrauen verspielt werden. Es gab auch kritische Momente. Antiwissenschaftliche Positionen wurden lauter. Einzelne Forschende wurden von Gegnern der hiesigen Coronapolitik in Mithaftung genommen und tauchten auf Demo-Plakaten auf. Massenmedien inszenierten Expertenstreits. Auch gab es Fälle ungeschickter und unredlicher Kommunikation aus der Wissenschaft heraus. Beispielsweise rügte der Deutsche Rat für Public Relations die Universität Hamburg und ihre Presseabteilung und sprach von einer „Irreführung von Medien und der Öffentlichkeit, indem ein Meinungsbeitrag als wissenschaftliche Studie vermarktet wurde“.
Teils geriet die Wissenschaft auch unter Druck, weil in der öffentlichen Kommunikation die Voraussetzungen hinter Modellrechnungen und Szenarien nicht transparent benannt wurden.
Insgesamt jedoch hat die Wissenschaft und haben viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einiges richtig gemacht; das legt das Wissenschaftsbarometer nahe. Die Forschung sollte weiterhin Wissenschaftskommunikation stärken, die möglichst fruchtbare Austauschbeziehungen mit Gesellschaft und Politik fördert, die Wissenschaft verstehbar und debattenfähig macht, und die individuelle oder institutionelle Reputationsgewinne hintanstellt.
Die Weisen aus dem Forscherland bleiben ein Märchen
Gleichzeitig muss die Wissenschaft Grenzen ihrer Politisierung beachten und verdeutlichen: 50 Prozent der Befragten des Wissenschaftsbarometers erwarten von der Wissenschaft, dass diese nicht nur politische Handlungsoptionen wissenschaftsbasiert bewertet, sondern dass sie der Politik bestimmte Entscheidungen empfiehlt. Diese Frage wurde zwar im Kontext von Corona erhoben. Es ist aber wahrscheinlich, dass viele Menschen auch zu anderen Themen, beispielsweise dem Klimawandel, Ähnliches erwarten.
Kurz gesagt: Die Wissenschaft kann Entscheidungsoptionen durchleuchten. Sie kann auch beurteilen, ob eine Entscheidung auf dem besten wissenschaftlichen Kenntnisstand getroffen wurde. Wissenschaftliche Evidenz kann und darf jedoch keine demokratischen Entscheidungsprozesse kurzschließen.
Falsche Ansprüche an wissenschaftliche Beratung
Die Politisierung der Wissenschaft fördern steigende Erwartungen aus der Gesellschaft, aber auch eine wachsende Inanspruchnahme vonseiten der Politik: Das hohe Vertrauen in die Wissenschaft und ihre Bewertungen lädt dazu ein, sich gewissermaßen wissenschaftliche Legitimität für politische Entscheidungen zu borgen. Wissenschaft wäre dann nicht mehr unabhängige Beraterin der Politik, sondern würde politisch vereinnahmt. Tatsächlich halten laut Wissenschaftsbarometer 34 Prozent der Befragten den Einfluss der Wissenschaft auf die Politik für viel zu gering beziehungsweise eher zu gering. Andersherum hält fast die Hälfte der Befragten den Einfluss der Politik auf die Wissenschaft für viel zu groß oder eher zu groß.
Die Wissenschaft kann und darf keine normativen politischen Entscheidungen legitimieren. Sie kann ihr Wissen einbringen und Handlungsoptionen nebst ihren Folgen wissenschaftsbasiert abschätzen. Nach diesem Verständnis funktioniert die wissenschaftliche Politikberatung durch Akademien und andere Wissenschaftsinstitutionen. Der Wissenschaftsrat unterstreicht es in seiner jüngsten Position: „Aufgabe von Beraterinnen und Beratern ist es nicht, zu einem bestimmten politischen Handeln aufzufordern, sondern dieses dadurch vorzubereiten, dass demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern alternative Handlungsoptionen einschließlich ihrer Folgen und Nebeneffekte sachverständig dargelegt werden. Dabei sollten auch der tatsächliche Evidenzgrad und vorhandene Unsicherheiten benannt werden.“
Das Wissenschaftsbarometer zeichnet ein vielschichtiges Meinungsbild über Wissenschaft, über Wissenschaftskommunikation und über die wissenschaftliche Beratung von Politik und Gesellschaft. Angesichts des Vertrauens und der hohen Erwartungen in die Wissenschaft sollte diese noch mehr Wert legen auf eine hohe Transparenz ihrer Methoden, Beratungsmechanismen und Grenzen ihres Mandats. Wissenschaft muss ansprechbar und vernehmbar sein und sich auf die Bewertung aktueller gesellschaftlicher Fragen und politischer Handlungsoptionen einlassen. Doch auch auf der besten Wissensbasis müssen wir immer noch selbst entscheiden, was wir daraus machen – als Individuen und als demokratisch verfasste Gesellschaft.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.
*Wissenschaft im Dialog ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.
Auf Wunsch der Autoren wird in diesem Interview abweichend von den Redaktionsstandards gegendert.
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