Foto: Zachary Keimig

„Verlage engagieren sich aus meiner Sicht zu wenig“

“Journalismus in der Krise: Sind Start-ups ein Ausweg für die Medienbranche?” so lautet der Veranstaltungstitel einer Dialogreihe zum Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung. Einer der Preisträger, Christopher Buschow, forscht in Weimar zu diesem Thema und gibt im Interview Einblicke in seine Forschung.

Herr Buschow, sind Start-ups denn nun der Ausweg aus der Medienkrise oder nicht?

Diese Frage muss man natürlich differenziert betrachten. In der Theorie ist es so, dass Start-ups ein erhebliches Potenzial zukommt, ganze Wirtschaftsbereiche zu revolutionieren und neu zu gestalten. Nicht umsonst spricht man in diesem Zusammenhang von einer ‚digitalen Disruption‘. Theoretisch gilt das auch für den Journalismus. Die Erkenntnisse meiner empirischen Forschung fallen jedoch eher ernüchternd aus. Ich kann zeigen, dass die erhofften Potenziale häufig nicht realisiert werden können. Ihnen stehen persönliche wie auch strukturelle Hindernisse und Herausforderungen entgegen. 

Wo liegen denn die zentralen Herausforderungen?

Dr. Christopher Buschow ist Juniorprofessor für „Organisation und vernetzte Medien“ im Fachbereich Medienmanagement an der Bauhaus-Universität Weimar. Er forscht und lehrt schwerpunktmäßig zu der Frage, wie der Journalismus künftig organisiert und finanziert werden kann. Buschows Arbeiten wurden unter anderem mit dem Niedersächsischen Wissenschaftspreis und dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm die Studie „Money for nothing and content for free – Zahlungsbereitschaft für digitaljournalistische Inhalte“ (mit Prof. Dr. Christian-Mathias Wellbrock). Foto: Matthias Eckert

Für Gründerinnen und Gründer ist es sehr schwierig, überhaupt eine Anschubfinanzierung für ihr Geschäft zu beschaffen. Zwar ist es korrekt, dass die Markteintrittsbarrieren im Journalismus durch die Digitalisierung stark gesunken sind. Jede und jeder kann ja quasi kostenlos im Internet Inhalte veröffentlichen. Das Problem ist jedoch – und das zeigt meine Studie auf – dass diese niedrigen Einstiegsbarrieren teilweise Fehlanreize schaffen, weil Gründerinnen und Gründer die Kosten in späteren Unternehmensphasen fundamental unterschätzen. Qualitativ hochwertigen Journalismus zu produzieren geht nur mit viel Personal und viel Zeit, darüber hinaus ist auch der Aufbau einer (zahlenden) Leserschaft kosten- und zeitintensiv. Geld fehlt aber auch, weil wir ein strukturelles Problem haben: Kaum jemand finanziert heute solche Vorhaben. Auch, weil bislang kein auskömmliches Finanzierungsmodell für den digitalen Journalismus gefunden wurde. 

Was ist Ihr Lösungsansatz?

Es braucht eine bessere Anschubfinanzierung für journalistische Experimente. Dann können auch Start-ups eine größere Rolle im Mediensystem spielen. Eine Möglichkeit, solche Anschubfinanzierungen für Gründungen bereitzustellen, ist der Wiener Innovationsfonds, der vor einigen Tagen vorgestellt wurde. Hier wird die Stadt Wien in den nächsten drei Jahren 7,5 Millionen Euro für Innovationen im Journalismus verfügbar machen. 

Wieso braucht es so etwas überhaupt?

Die Stadt Wien hat erkannt, dass die lokale Medienlandschaft, die journalistische Berichterstattung vor Ort und der öffentliche Diskurs zwischen den Bürgerinnen und Bürgern für eine Stadt von großer Bedeutung sind. Das erweist sich heute als zunehmend schwieriger, da der Journalismus heute – unter den Bedingungen von Digitalisierung und Vernetzung – schlicht und ergreifend keine funktionierende Finanzierungsbasis mehr hat. Hier kommt die Stadt ihrer Verantwortung nach, Rahmenbedingungen für die Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen. 

"Verlage setzen verstärkt auf neue Geschäftssäulen, weshalb die Gefahr besteht, dass sie sich schleichend aus dem Journalismusgeschäft verabschieden." Christopher Buschow

In diesem Bereich engagieren sich die etablierten Verlage aus meiner Sicht zu wenig. Sie setzen verstärkt auf neue Geschäftssäulen, wie Rubrikenmärkte oder auch Veranstaltungen, weshalb die Gefahr besteht, dass sie sich schleichend aus dem Journalismusgeschäft verabschieden. 

Wie sieht die Lage in Deutschland aus?

Es gibt einige spannende Projekte, wie beispielsweise die Riffreporter oder Steady, aber von den Verlagen sehe ich bisher wenige Bemühungen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass das Modell der Zeitung lange Zeit finanziell gesehen sehr erfolgreich war und man gewissermaßen eine ‚Lizenz zum Gelddrucken‘ besaß. Deshalb fehlt es auch heute noch in vielen Verlagen an Abteilungen für Forschung und Entwicklung. Durch die Digitalisierung haben sich außerdem die Anforderungen an das Medienmanagement dramatisch verändert – vom Verwalten zum Innovieren.

Es gibt Vorschläge, dass eine Stiftung gerade den Wissenschaftsjournalismus retten könnte, wie sehen Sie das?

Ich glaube man muss differenzieren, über welche Säule des Journalismus man redet. Ich spreche über die privatwirtschaftliche Säule und da sollten aus meiner Sicht Start-ups und Verlagshäuser eine wichtige Rolle spielen. Wenn wir über Stiftungen reden, geht es häufig um die Förderung des gemeinnützigen Journalismus. Ich finde dieser übernimmt eine wichtige zusätzliche Funktion im Medienensemble. Deshalb begrüße ich es, dass Stiftungen zunehmend versuchen, journalistische Projekte auch langfristig zu fördern und zu unterstützen. 

Wenn es aber konkret um eine Stiftung für den Wissenschaftsjournalismus geht, dann muss man ganz genau ausloten, wie eine solche Stiftung aufgebaut sein soll, wer sie finanziert und wie sichergestellt wird, dass sie staatsfern organisiert und ihre Mittelvergabe pluralistisch organisiert ist. Es darf beispielsweise nicht der Eindruck entstehen, dass Medienpolitik direkt Staatsgelder nutzt, um Berichterstattung zu unterstützen. Das wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ohnehin den „Fake News“ oder der sogenannten „Lügenpresse“ das Wort reden. 

"Man muss ganz genau ausloten, wie die Stiftung aufgebaut sein soll, wer sie finanziert, dass sie staatsfern und ihre Mittelvergabe pluralistisch organisiert ist." Christopher Buschow

Ist der Journalismus denn überhaupt noch zu retten?

Aus meiner Sicht ja. Wir müssen da über alle möglichen verschiedenen Modelle reden. Ich denke auch, dass der Weg, innovative Ideen aus der Privatwirtschaft in ihrer Entstehung zu befördern, einer ist, den wir noch nicht zu Ende gegangen sind. Damit hier Potenziale ausgelotet werden können, braucht es finanzielle Mittel, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen können. Jede dieser Finanzquellen muss aber unbedingt auf den potenziellen Einfluss, den sie auf den Journalismus haben könnte, geprüft werden und es braucht Maßnahmen, um diese abzufedern. 

Insgesamt wird es aber notwendig sein, im Journalismus zukünftig kostengünstiger zu arbeiten. Dazu braucht es auch neue Ideen in seiner Organisations- und Redaktionsstruktur. 

Was meinen Sie damit?

Wir müssen aus meiner Sicht Redaktionen neu denken, weil wir neue Formen der Zusammenarbeit und kostengünstigere Wege des Wirtschaftens im Journalismus benötigen. Das bedeutet nicht, den Qualitätsjournalismus aufzugeben, sondern es muss darum gehen, wie man ihn neu organisieren kann. Da gibt es erste Projekte, die so etwas wagen und probieren. Ich spreche in dieser Hinsicht vom „Postredaktionellen Journalismus“. Da brauchen wir Ansätze und neue Wege, denn so viel Geld, wie einmal im Markt war, wird es aus meiner Sicht künftig einfach nicht mehr geben. 

Gibt es Beispiele, wo Innovationen dazu geführt haben, dass es besser läuft?

Es gibt natürlich individuelle Beispiele in Europa für neue Formate und Formen des Journalismus. Mediapart in Frankreich ist eines dieser Beispiele, wo ehemalige Le Monde-Redakteure sich selbstständig gemacht haben, um Qualitätsjournalismus und investigative Reportagen zu schaffen. Ihnen ist es gelungen, sich über Leserzahlungen zu finanzieren und an ihnen orientieren sich viele in Europa, beispielsweise Krautreporter hier in Deutschland. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass Mediapart in der Startphase sechs Millionen Euro gebraucht hat, um ans Laufen zu kommen. Auch Gabor Steingarts neues Projekt Media Pioneer hat erstmal viel Geld gekostet, welches er aus eigener Tasche gezahlt hat. Das unterstreicht nochmals den Bedarf einer soliden Anschubfinanzierung, denn nicht jede Gründerin und jeder Gründer im Journalismus hat einen Millionenbetrag an eigenem Startkapital verfügbar. 

Was braucht es denn für eine erfolgreiche Gründung?

Ich habe mich in meiner Studie in erster Linie mit den Misserfolgsfaktoren von journalistischen Gründungen befasst. Natürlich kann man die nun umdrehen – dass damit alle Erfolgsfaktoren gefunden sind, wäre aber ein Trugschluss. Unternehmerischer Erfolg hat auch immer viel mit Glück zu tun, man hat es nicht komplett selbst in der Hand. Scheitern ist keine Schande in diesem Bereich und gehört zum Unternehmertum dazu. 

"Gründerinnen und Gründer im journalistischen Bereich starten häufig mit einer illusorischen Vorstellung von Aufwand und Tätigkeiten." Christopher Buschow

Einer der größten Fallstricke für Gründerinnen und Gründer im journalistischen Bereich ist, dass sie häufig mit einer illusorischen Vorstellung von Aufwand und Tätigkeiten starten. Sie gehen als Medienmacher an ihr Projekt ran und möchten eigentlich fortsetzen, was sie zuvor beruflich gemacht haben. Das ist aber natürlich eine Illusion, da es viele andere Aspekte gibt, die viel wichtiger sind für das Gelingen des Projekts. Verlage bieten einem ja ein Unterstützungsnetzwerk und dieses muss man ersetzen. Das zweite Problem, was viele haben, ist ein Rollenkonflikt. Klassischerweise ist der wirtschaftliche Bereich eines Verlags klar vom redaktionellen Bereich getrennt. Diese Trennung wird in Gründungen häufig aufgeweicht und führt dann zu Problemen. Eine dritte Herausforderung ist die Teamkonstellation. Es erweist sich als problematisch, wenn allein Journalistinnen und Journalisten zusammen gründen. Neugründungen brauchen eigentlich heterogene Teams, die verschiedene Kompetenzen zusammenbringen, und zudem Außenseiterinnen und Außenseiter, die anders auf den Journalismus blicken können. 

 

Die Veranstaltung „Journalismus in der Krise: Sind Start-ups ein Ausweg für die Medienbranche?“ findet am 13. November um 19 Uhr an der Bauhaus Universität Weimar statt.