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Über Fehler in der Forschung sprechen

Fehler sind vielen Wissenschaftler*innen unangenehm, gerade weil sie bemüht sind, nach höchsten wissenschaftlichen Standards zu arbeiten. Die beiden Forscherinnen und Mitbegründerinnen der Initiative für Wissenschaftskommunikation PhDSciCom e.V. Mona Plettenberg und Christine Nussbaum plädieren dafür, häufiger auch über das zu sprechen, was schiefläuft.

Frau Plettenberg, Frau Nussbaum, Sie moderieren beim Forum Wissenschaftskommunikation 2024 einen Workshop zum Thema Fehlerkultur in der Wissenschaftskommunikation. Welchen Fehler haben Sie zuletzt in Ihrer Forschung gemacht?

Schwarz-weiß-Foto einer lächelnden Frau mit langem Haar
Dr. Christine Nussbaum ist Neuropsychologin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Wahrnehmung der menschlichen Stimme und ihre Lehrtätigkeit beinhaltet derzeit einen Masterkurs „Gute Wissenschaftliche Praxis“. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Vereins PhDSciCom – WissKomm Initiative für Nachwuchswissenschaftler*innen. Foto: privat

Mona Plettenberg: Fehler passieren uns im Forschungsalltag immer wieder. Aber es ist schwierig, genau zu sagen, das ist der Fehler, den ich gemacht habe. Das fängt bei kleinen Sachen an, wie zum Beispiel bei der Verarbeitung und Dokumentation von Daten, wenn ich versehentlich eine Datei überschrieben habe oder nach einiger Zeit nicht mehr genau weiß, wofür eine Zeile Code eigentlich steht. Und dann ist wichtig, daraus zu lernen und in der nächsten Auswertung besser auf sein Datenmanagementsystem zu achten. Das sind Dinge, über die ich während meiner Doktorarbeit viel gelernt habe.

Christine Nussbaum: Ich habe im Rahmen meiner Promotion eine aufwändige EEG-Messung gemacht. Ich bin Neuropsychologin und das ist eine Methode, die in der Messung sehr störanfällig ist. Da muss man sich wirklich Mühe geben, um ein sauberes Signal zu bekommen. In meinen Daten tauchte dann monatelang etwas auf, was ungewöhnlich war. Also habe ich ein halbes Jahr lang das komplette Labor abgesucht und mir alles angeschaut, woran es liegen könnte. Und am Ende stellte sich heraus, dass ich einen Fehler in der Datenprozessierung hatte, also in der anschließenden Weiterverarbeitung der Daten. Das Problem war nie die Messung selbst. Darüber war ich zum einen erleichtert, aber zum anderen auch frustriert, denn ich hatte ja Monate gebraucht, um den Fehler zu finden. Im Nachhinein war er aber unglaublich wertvoll für mich. Ich habe so viel gelernt über die Messung selbst und über mögliche Störquellen. Hinterher kannte ich mich sehr gut aus – sowohl mit der Messung als auch der Datenverarbeitung.

Foto einer lächelnden Frau mit kurzen Haaren
Mona Plettenberg ist Medizinphysikerin und Doktorandin am DLR. Sie ist Mitgründerin und Teammitglied von PhDSciCom e.V. Gemeinsam unterstützen sie ehrenamtlich Promovierende aller Fachrichtungen erste Erfahrungen in der Wissenschaftskommunikation zu sammeln und mit ihrer Forschung sichtbar zu werden. Foto: privat

In welchen Fällen würden Sie in der Wissenschaft von einem Fehler sprechen?

Mona Plettenberg: Wichtig ist, wir sprechen hier nicht von vorsätzlichen Fehlern. Das ist ein ganz anderes Themengebiet, in dem man aktiv die gute wissenschaftliche Praxis verletzt. Wir sprechen von Fehlern, die einem unbewusst und ohne Vorsatz unterlaufen. Damit meine ich vor allem Fehler im Forschungsprozess, die zum Beispiel mit unsauberer Datenverarbeitung und Dokumentation einhergehen. Viele Fehler passieren auch aus Unsicherheit und fehlender Erfahrung, wenn man zum Beispiel eine neue Methode anwendet oder ein Experiment macht, was man vorher noch nie gemacht hat. Häufig wird man als Forscher*in ins kalte Wasser geworfen. Das ist sicherlich vielen schon einmal in irgendeiner Form passiert.

Christine Nussbaum: Die Übergänge zwischen Fehler und Fortschritt sind fließend in der Wissenschaft. Man kann das sicherlich auf viele Arten klassifizieren. Neben Fehlern, die man wegen fehlender Erfahrung oder Routine macht, gibt es oft die Situation, dass man in der Wissenschaft Neuland betritt. Das heißt, man hat zu dem Zeitpunkt, zu dem man eine Entscheidung zu treffen hat, schlicht noch nicht alle Informationen. Im Nachhinein, wenn man diese Informationen im Prozess erhalten hat, kommt man eventuell zu dem Schluss, dass man den falschen Weg gewählt hat. Das würde ich dann nicht als Fehler verbuchen, sondern schlicht als wissenschaftlichen Fortschritt. Für die Betroffenen selbst fühlt sich das dennoch oft als Fehler an, und ist mitunter sehr unangenehm.

Inwiefern ist es für Menschen außerhalb der Wissenschaft möglich, Fehler zu erkennen und beispielsweise von Unsicherheiten in Form von Forschungslücken zu unterscheiden?

Christine Nussbaum: Für Lai*innen ist es sehr schwierig zu unterscheiden, ob das jetzt ein Fehler aus Unsicherheit und im Rahmen von wissenschaftlichem Fortschritt ist, oder ob es wirklich methodische oder handwerkliche Schwächen sind. Deshalb ist es für uns als Wissenschaftler*innen ganz wichtig, Fehler ausreichend zu kommunizieren, um eine gewisse Fehlerkultur aufzubauen. Wir sollten zeigen, dass Irrtümer zu unserem Alltag dazugehören, wir uns den Fehlern bewusst sind und sie reflektieren.

Wie stellen Sie sich eine konstruktive Fehlerkultur innerhalb der Wissenschaft vor?

Christine Nussbaum: Für mich beginnt das in der Ausbildung und Supervision. Eine konstruktive Fehlerkultur beginnt mit der pragmatischen Anerkennung, dass sich Fehler nicht vermeiden lassen, zum Wissenschaftsalltag dazugehören und teilweise auch wichtig für den Fortschritt sind. Dennoch sollte man sie vermeiden, so gut es eben geht. Und genau da liegt die Gratwanderung, die wir unserem wissenschaftlichen Nachwuchs vermitteln müssen. Da kommt aus meiner Sicht den Betreuenden eine ganz wichtige Verantwortung zu.

Gute Wissenschaft ist ein Handwerk und meiner Erfahrung nach passieren die meisten Fehler im Bereich Forschungsdatenmanagement. Das muss man einfach lernen. Dafür braucht man Arbeitsroutinen, Guidelines und eine engmaschige Betreuung innerhalb der Arbeitsgruppen. Das ist für mich der Kern einer gesunden Fehlerkultur in der Wissenschaft. Zusätzlich hält das Thema inzwischen auch bei Konferenzen oder generell beim wissenschaftlichen Austausch über Arbeitsgruppen hinweg Einzug. Es gibt beispielsweise sogenannte „Fuckup-Nights“, wo alle einfach mal erzählen können, wo sie Fehler gemacht haben oder so richtig gescheitert sind. Und nicht selten werden Fehler dann später selbst zum Forschungsgegenstand gemacht.

Wie würde sich ein konstruktiver Umgang mit Fehlern in der Wissenschaftskommunikation widerspiegeln?

Mona Plettenberg: Ich würde sagen, dass ein wichtiger Teil der Wissenschaftskommunikation darin besteht, die Methoden und vor allen Dingen den Forschungsprozess zu kommunizieren. Das fokussieren wir auch sehr auf unserem Kanal PhDSciCom. Diese Prozesskommunikation kann mit unterschiedlichen stilistischen Mitteln dargelegt werden und auch Fehler im Forschungsprozess dürfen ein Teil davon sein. Zum Beispiel in „Fehler-Überwindungs-Storys“, kann man schildern, welche Umwege man genommen hat, bis man zu den Ergebnissen gekommen ist.

„Zum Beispiel in „Fehler-Überwindungs-Storys“, kann man schildern, welche Umwege man genommen hat, bis man zu den Ergebnissen gekommen ist“ Mona Plettenberg

Es ist wichtig, auch diesen Teil der Wissenschaftskommunikation zu üben, weil er heikel sein kann, weil er angreifbar macht. Wir möchten gerade junge Wissenschaftler*innen ermutigen, sich auch diesbezüglich auszuprobieren, um einen eigenen authentischen Umgang mit Fehlern zu finden. Auf diese Weise stellt man sich selbst nicht als unfehlbar dar und die Geschichten hinter den Ergebnissen hört auch jede*r gerne. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es für viele teilweise sogar einfacher ist, Fehler außerhalb des Forschungsalltags zu kommunizieren. Gerade wenn man sich in einer für sich sicheren Bubble befindet, seien es die eigenen Follower*innen auf Instagram oder Kolleg*innen bei einem Netzwerktreffen. Da hat man einen gewissen Vertrauensvorschuss und ein ermutigendes und unterstützendes Umfeld, wo man Zuspruch bekommt, dass Fehler passieren und dass es weitergeht. Trotzdem sehen wir auch hier, dass zum Beispiel auf Instagram Fehler häufig nur in Stories gezeigt werden, weil man das dann doch irgendwie nicht für immer im Internet stehen haben möchte.

Was würde einen offeneren Umgang mit Fehlern in der Forschung erleichtern?

Mona Plettenberg: Es bräuchte noch mehr sichere Räume, in denen man offen über Fehler sprechen kann, ohne dass man gleich in irgendeiner Form Sorge vor Konsequenzen in der Forschungskarriere haben muss. Man muss sich darüber bewusst sein, dass Fehler mit zusätzlichem Zeitaufwand und mit hohen Kosten einhergehen können. Wenn man zum Beispiel bei einem Experiment einen Fehler macht und die Laborzeit nicht nutzen kann und dann Wochen oder sogar Monate bis zur nächsten Gelegenheit warten muss. Den Raum zu haben, sich offen über Erfahrungen im Forschungsprozess auszutauschen und gegenseitig voneinander lernen zu können, kann dazu beitragen so etwas zu vermeiden.

Christine Nussbaum: Ich glaube, dass eine pauschale Antwort sehr schwierig ist, weil die Fehlerkultur unglaublich disziplinabhängig ist. In meinem Bereich, der Psychologie, wird derzeit eine lebendige Debatte zu Open Science geführt, wo es um Transparenz, Reproduzierbarkeit und Offenheit geht. Und das rückt das Thema Fehler in den Fokus. Eine Disziplin, in der man verschlossener ist und in der man vielleicht auch aus Datenschutzgründen weniger Offenheit und Open Science zulassen kann, hat da mehr Probleme.

Aus meiner Sicht kommt den Betreuenden immer wieder eine ganz zentrale Rolle zu, einen geschützten Rahmen für offene Fehlerkultur zu schaffen. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel: Ein Student von mir hat mal eine ganze Stichprobe falsch erhoben. Das fühlte sich für die Person wie der Weltuntergang an. Gerade in solchen Momenten ist es wichtig, hinter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu stehen und ihm den Rücken zu stärken. Wir haben uns dann später bei der Begutachtung gefragt, inwieweit wir den Fehler in die Bewertung einfließen lassen. In dem Fall war es so, dass dieser Student den Fehler sofort und ohne Umwege an uns gemeldet hatte, als er ihn bemerkt hat. Und das fanden wir wichtig! Den Fehler haben wir dann kaum in die Bewertung einfließen lassen, weil wir die Tatsache, dass er ihn sofort gemeldet hat, viel höher gewichtet haben. Das ist das, was wir aus meiner Sicht flächendeckend in allen Arbeitsgruppen und allen Disziplinen brauchen.

„Aus meiner Sicht kommt den Betreuenden immer wieder eine ganz zentrale Rolle zu, einen geschützten Rahmen für offene Fehlerkultur zu schaffen.“ Christine Nussbaum

Gibt es in der internationalen Forschungslandschaft, zum Beispiel im angloamerikanischen Raum, andere Ansätze, von denen wir uns hierzulande inspirieren lassen könnten?

Christine Nussbaum: Ich war im Frühjahr auf einer Konferenz in Großbritannien und habe beobachtet, dass die Präsentationskultur sich zwischen den Ländern teilweise unterscheidet. In der deutschen Forschungskultur zeigen wir tendenziell eine sehr professionelle Seite von uns. Das wirkt häufig sehr strukturiert und wissenschaftlich, aber auch unpersönlich. Dabei machen wir doch Wissenschaft mit Herzblut und Emotionen! Wir sollten deshalb zeigen, wenn wir von etwas begeistert oder frustriert waren. In Großbritannien schien mir die Kultur diesbezüglich etwas offener. Da spielt das Geschichtenerzählen, auch von Irrwegen in der Forschung, eine größere Rolle und werden mit Humor und Selbstironie in die Präsentation eingebunden.