Sie sind in unseren Kleidern, Pfannen und sogar im Blut: PFAS. Die sogenannten Ewigkeitschemikalien sind umstritten. Während sie in der Industrie unverzichtbar sind, warnen Umweltschützer*innen vor ihren Gefahren. Johanna Kramm und Carolin Völker stellen ihr Forschungsprojekt zur Kommunikation über PFAS vor.
Über diese Chemikalien streiten Wissenschaft und Industrie
Die EU prüft derzeit eine Beschränkung der gesamten PFAS Stoffgruppe. Warum haben Sie sich entschieden, gerade jetzt die Kommunikation über die Risiken der sogenannten Ewigkeits-Chemikalien zu untersuchen?
Johanna Kramm: Die Entscheidung für dieses Forschungsprojekt fiel unter anderem auch, weil der Beschränkungsvorschlag kam. Das Interessante daran ist, wie Organisationen wissenschaftliches Wissen nutzen, um ihre Entscheidungen zu legitimieren. Das können wir nun anhand dieses aktuellen Falls beobachten.
Der Beschränkungsvorschlag wird derzeit von der europäischen Chemikalienagentur geprüft, unterschiedliche Ergebnisse sind möglich. Verschiedene Industriezweige und NGOs kommunizieren über PFAS und die Beschränkung ihres Einsatzes. Ihre Kommunikation und die Art der Argumentation werden daher eine Rolle dabei spielen, wie das Verbot letztendlich gestaltet wird.
Was sind PFAS?
PFAS (Per- und polyfluorierte Chemikalien) sind eine Gruppe von einigen tausend synthetischen Verbindungen, die in zahlreichen Industrieprodukten wie Imprägniermitteln, Feuerlöschschaum und Verpackungen verwendet werden. In Deutschland und der EU werden Maßnahmen ergriffen, um die Verwendung von PFAS einzuschränken, da sie persistent, bioakkumulativ und potenziell gesundheitsschädlich sind. Einige dieser Chemikalien gelten als problematisch, da sie Umwelt- und Gesundheitsrisiken darstellen können, insbesondere, wenn sie in die Nahrungskette gelangen.
Kramm: Der Beschränkungsvorschlag für PFAS sieht ein Substanzgruppenverbot vor, mit dem die gesamte Gruppe von bis zu 10.000 Stoffen reguliert werden soll. Das ist ein neues Vorgehen. Früher wurden einzelne Stoffe verboten und durch andere ersetzt. Diese haben sich jedoch oft als genauso problematisch erwiesen. Auch diese Stoffe reicherten sich in der Umwelt an, so dass letztendlich weder die Umwelt noch die Gesundheit der Menschen geschützt wurden. Vor diesem Hintergrund wird im Beschränkungsvorschlag ein Verbot der gesamten Substanzgruppe angestrebt.
Die chemische Industrie argumentiert, dass damit die gesamte Substanzgruppe unter Generalverdacht gestellt wird. Sie vertritt die Ansicht, dass Substanz A nichts mit Substanz B zu tun habe, außer, dass sie beide Fluor enthalten. Die Industrie fordert daher ein Verbot auf Einzelstoffbasis. In der Vergangenheit wurden bisher allerdings nur sehr wenige der 10.000 Stoffe der Substanzgruppe überprüft. Eine Bewertung jedes einzelnen Stoffes ist sehr aufwändig und kaum zu leisten.
Carolin Völker: So, wie der Beschränkungsvorschlag jetzt konzipiert ist, folgt er dem Vorsorgeprinzip. Man entscheidet hier unter Unsicherheit, da nicht alle Daten vorliegen. Das Vorsorgeprinzip besagt, dass man trotz fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu möglichen Schadensfällen vorbeugend handelt, um diese Schäden zu vermeiden.
Warum lohnt es sich, bei diesem Thema besonders auf die organisationale Wissenschaftskommunikation zu blicken?
Kramm: Aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen münden häufig in einem Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem Schutz von Gesundheit und Umwelt. Es ist daher aufschlussreich zu untersuchen, wie die verschiedenen Organisationen der Industrie, des Gesundheits- und Umweltschutzes wissenschaftliches Wissen einsetzen, um damit ihre Positionen zu legitimieren.
Völker: In der politischen Kommunikation sehen wir regelmäßig, dass sich Interessengruppen positionieren, sobald neue Gesetze oder Normen debattiert werden. Das ist ein ganz alltäglicher Vorgang. Wir konnten das auch nach Einreichung des Beschränkungsvorschlags beobachten. Wir haben zum Beispiel an einem Webinar teilgenommen, in dem sich Polymerhersteller*innen auf eine gemeinsame Kommunikationslinie verständigt haben. Das zeigt, wie intensiv in solchen Fällen in den Verbänden diskutiert wird.
Wie unterscheidet sich die Kommunikation der wissenschaftlichen Organisationen und der Industrie?
Völker: Die Wissenschaft ist nicht homogen, auch hier gibt es unterschiedliche Darstellungsweisen. Forschende aus den Umweltwissenschaften, die ein Verbot befürworten, argumentieren eher mit dem Vorsorgeprinzip und betonen die Unsicherheit und die potenziellen Risiken von Chemikalien. Die Industrie hingegen bevorzugt eine risikobasierte Einzelfallbewertung von Stoffen, anstatt diese pauschal zu beschränken.
Kramm: Wir gehen davon aus, dass sich die Kommunikation von Wissenschaftler*innen, die sich mit Umweltthemen befassen und solchen, die sich mit Produktentwicklung befassen, unterscheiden. Während Umweltforscher*innen auf die Langlebigkeit und die Verbreitung der Stoffe in der Umwelt hinweisen, beschäftigen sich Produktentwickler*innen mit der Leistungsfähigkeit von PFAS. Sie müssen natürlich wirtschaftliche Konsequenzen im Blick haben. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass sie eher mit den Aussagen der Industrie übereinstimmen. Entsprechend stimmen sie sich tendenziell eng mit der Industrie ab.
Umweltorganisationen bezeichnen PFAS als „Jahrhundertgift“, Industrieunternehmen sagen: „Ohne PFAS keine Energiewende“. Könnten Sie einige Beispiele für Framing-Strategien verschiedener Gruppen in der PFAS-Debatte nennen?
Kramm: Die Industrie betont in ihren Botschaften sehr stark die vermeintlich drastischen Folgen eines Verbots der gesamten Substanzgruppe und illustriert dies mit Bildern, die zeigen, dass Zukunftstechnologien wie Lithiumbatterien und Windkraftanlagen nicht mehr möglich wären. Auf der anderen Seite betonen Umweltorganisationen die Langlebigkeit von PFAS als „Jahrhundertgift“, um die Dringlichkeit der Problematik zu unterstreichen.
Völker: Die Strategie der Industrieverbände zielt darauf ab, die Rezipient*innen emotional zu erreichen, indem sie zum Beispiel von einem „Tsunami“ oder „Supergau“ reden. Das soll die Dringlichkeit des Themas hervorheben. Aber auch Umweltorganisationen verfolgen ähnliche argumentative Muster. Von wissenschaftlicher Seite wird hingegen sachlich argumentiert, mit Fokus auf die Eigenschaften der Stoffe und die entsprechenden wissenschaftlichen Daten.
Welche Rolle spielt die mediale Berichterstattung und wie beeinflusst sie die öffentliche Wahrnehmung?
Kramm: Viele Menschen kennen PFAS noch nicht wirklich, aber das könnte sich langsam ändern. Vielleicht haben einige schon von PFAS in Bratpfannen oder Outdoor-Jacken gehört, aber die genaue Bedeutung ist vielen unbekannt. Ich denke, die Beschränkung und die Diskussionen werden dazu führen, dass mehr darüber gesprochen wird. Das könnte zu einem zunehmenden Bewusstsein führen.
Völker: In unserer Arbeit zum Thema Mikroplastik haben wir in der Tat einige Erkenntnisse gewonnen. Wir haben eine repräsentative Umfrage durchgeführt, um zu sehen, wie die Menschen das Risiko von Mikroplastik einschätzen. Dabei stellten wir fest, dass Personen, die Kenntnis von bestimmten Medienberichten hatten, wie zum Beispiel „Mikroplastik landet im Fisch und auf unserem Teller“, das Risiko höher bewerteten. Medienberichte haben daher tatsächlich Einfluss auf die Risikowahrnehmung der Menschen. Bei dem Thema PFAS sind wir gerade mitten in der Erhebung unserer Daten.
Kramm: In unserem Forschungsprojekt werden wir sowohl die Medienberichterstattung untersuchen als auch Fokusgruppen und qualitative Interviews durchführen, um herauszufinden, was sie über PFAS wissen und wie sie das interpretieren, was sie darüber hören oder lesen.
Ihre Praxispartner sind zwei Journalist*innen. Wie beziehen Sie sie in das Projekt ein?
Völker: Sie unterstützen uns mit einem interessanten Kommunikationsformat, das wir in unserem Projekt anwenden wollen: Citizens’ Initiative Review. Das ist ein Verfahren, das in den USA bei Wahlen angewendet wird. Es ist ein Gremium aus Lai*innen, denen ein Thema von verschiedenen Expert*innen erklärt wird, einschließlich der Pro- und Contra-Argumente. Diese Lai*innen diskutieren dann in moderierten Gruppen, bilden sich eine Meinung und erstellen am Ende ein Informationsblatt. Unser Ziel ist es, Entscheidungsprozesse über PFAS zu demokratisieren und die Partizipation zu fördern, aber auch zu überprüfen, ob und wie Wissenschaftskommunikation bei Lai*innen tatsächlich ankommt.
Kramm: Für Lai*innen ist es herausfordernd, die vielen unterschiedlichen Sichtweisen auf PFAS einzuordnen und zu bewerten: Von Industrieverbänden und –unternehmen hört man, dass PFAS nicht so gefährlich seien und von Umweltschutzorganisationen, dass die Stoffe total schlimm seien. Aus diesen unterschiedlichen Botschaften muss man sich dann irgendwie eine Meinung bilden. Die Frage ist, wie können wir das tun, wenn alles, was kommuniziert wird, strategisch und mit Interessen verbunden ist? Was bedeutet das dann für die Frage, welcher Quelle man vertrauen kann? Die Idee ist, dass man dieses Tool nutzen kann, um verschiedene Expert*innen zu befragen und sich ein Bild zu machen, um eine Entscheidung zu treffen und sich eine Meinung zu bilden.