Wissenschaft und Wirtschaft können viel voneinander lernen, meint Volker Meyer-Guckel. Der Generalsekretär des Stifterverbandes sieht gute Gründe, warum die Wissenschaftskommunikation forschender Unternehmen an Relevanz gewinnen wird.
„Transparenz ist nicht die schlechteste PR“
Herr Meyer-Guckel, der Stifterverband hat den Fonds der Wirtschaft für die Wissenschaftskommunikation ins Leben gerufen. Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Fonds?
Bisher haben wir eine Wissenschaftskommunikations-Community, die sich weitgehend aus den akademischen Einrichtungen speist. Man darf aber nicht vergessen, dass 70 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland von Unternehmen getätigt werden. Weder ist das der Gesellschaft so richtig klar, noch weiß die Bevölkerung, was in Unternehmen konkret für das Geld erforscht wird.
Ebenfalls weitgehend unbekannt sind die Beziehungen zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Da gibt es zahlreiche Kooperationen, über die relativ wenig geredet wird. Diese Intransparenz ist nicht im Interesse der Gesellschaft. Unsere Hauptmotivation ist es deshalb, die beiden Welten, also Wissenschaft und Wirtschaft, zusammenzuführen und zu zeigen, wie spannend und differenziert auch Forschung in Unternehmen sein kann.
Warum sollte die Sichtbarkeit von Wissenschaftskommunikation im Kontext der Industrieforschung gestärkt werden?
Viele denken, dass in Unternehmen hauptsächlich zu Produktentwicklungen und konkreten Anwendungen geforscht wird. Doch das stimmt nicht. In Bereichen wie der IT-Branche oder den Life Sciences erkennt man sehr deutlich: Unternehmen sind auch in vielfältiger Weise in der Grundlagenforschung tätig. Diese unternehmerische Grundlagenforschung kann zu echten Durchbrüchen führen.
Ein gutes Beispiel dafür sind die Fortschritte im Bereich der generativen KI, die allesamt in Unternehmen stattfanden und die zu Produkten wie ChatGPT geführt haben. Hier lässt sich Grundlagenforschung von Anwendungsforschung überhaupt nicht mehr trennen. Wissenschaft und Wirtschaft sind zwei Systeme, die wir gedanklich immer eher separieren, die aber viel mehr Überschneidungspunkte haben, als wir glauben.
Welche Gründe haben Unternehmen, Ressourcen in Wissenschaftskommunikation zu stecken?
Das hat eine Reihe von Gründen, von der Suche nach Nachwuchskräften bis hin zur Schaffung von gesellschaftlicher Akzeptanz für Themen, die für Unternehmen relevant sind. Das gilt insbesondere vor der Einführung neuer Technologien und Anwendungen, für die es eine gewisse kulturelle Bereitschaft in der Bevölkerung braucht. Eine Transparenz über gesellschaftliche Benefits durch wissenschaftliche Fortschritte zu schaffen, ist nicht die alleinige Aufgabe der öffentlichen Wissenschaften.
Die meisten Unternehmen müssen dafür nicht unbedingt eine eigene Abteilung für Wissenschaftskommunikation einrichten. Es macht aus meiner Sicht mehr Sinn, ihre Forschenden sichtbarer zu machen. Weil sie am authentischsten erklären können, woran und warum sie arbeiten. Zusätzlich wird es Unternehmen immer wichtiger, ihre Forschung selbst in die Öffentlichkeit zu tragen. Sich nur auf Produktmarketing zu konzentrieren, kann im Nachhinein viel teurer werden, als im Vorfeld über die Wirkungen und Grenzen von Produktentwicklungen zu kommunizieren und eine gewisse Nachvollziehbarkeit für die zugrunde liegende Forschung herzustellen. Aus meiner Sicht ist es nicht nur strategisch, sondern auch aus ressourcentechnischer Sicht für Unternehmen wichtig, ihre Forschung von Beginn an transparent und gut zu kommunizieren.
Auf der Website des Stifterverbands wird argumentiert, dass das Potenzial für Wissenschaftskommunikation aus Unternehmen unter anderem für die Vermarktung neuer, innovativer Produkte groß sei. Wie können Laien zwischen wissenschaftlich klingender Werbung und guter Konzern-Wissenschaftskommunikation unterscheiden?
Ich möchte die Frage mal zurückgeben. Denn auch bei den Wissenschaftsorganisationen kann man sich die Frage stellen, ob manche Kommunikationsaktivitäten Marketing oder gute Wissenschaftskommunikation sind. Die Qualitätsstandards für gute Wissenschaftskommunikation sollten gleichermaßen für alle gelten. Auch in der Kommunikation öffentlicher Forschungseinrichtungen vermischen sich oft PR und wissenschaftliche Aufklärung. Ich würde aber der Öffentlichkeit und Instanzen wie dem Journalismus vertrauen, zwischen dem einen und dem anderen unterscheiden zu können.
Um das einmal am Beispiel von Bayer und Glyphosat zu verdeutlichen: PR wäre, ausschließlich zu sagen, dass das Produkt nicht schädlich ist und es dabei zu belassen. Gute Wissenschaftskommunikation zu diesem Thema würde hingegen den wissenschaftlichen Kontext herstellen, auf nachvollziehbare Quellen in der Literatur verweisen und transparent die wissenschaftlichen Methoden und Prozesse in der Forschung zu diesem Produkt kommunizieren.
Welche Anreize haben Unternehmen, transparent über ihre internen Forschungsprozesse, insbesondere kontroverse Ergebnisse und Entscheidungen, zu kommunizieren?
Ein gute Kommunikationsabteilung eines Unternehmens wird natürlich darauf achten, die Kommunikation über kontroverse Ergebnisse und Entscheidungen in Bahnen zu lenken, die für den Konzern nicht schädlich sind. Dafür ist sie da. Ich glaube aber, dass auch die Kommunikationsabteilungen von Unternehmen mittlerweile verstanden haben, dass Transparenz nicht die schlechteste PR ist.
Dennoch ist es meiner Meinung nach ein Unterschied, reines Produktmarketing oder Lobbyismus in eigener Sache zu betreiben oder tatsächlich in einen Dialog mit der Öffentlichkeit zu treten, der letztendlich der gesellschaftlichen Aufklärung dient. Je mehr Akteure in diesen Dialog eintreten, desto mehr Perspektiven kann die Öffentlichkeit für ihre Urteilsfindung in Betracht ziehen. Das ist gut so und muss gestärkt werden.
Was sind die größten Herausforderungen für Forschende in Unternehmen, die verstärkt mit der Öffentlichkeit über ihre Arbeit kommunizieren wollen?
Das Bewusstsein, dass man eben auch in den Dialog mit der Öffentlichkeit zu treten hat, muss sowohl in der öffentlichen Wissenschaft als auch in der Wirtschaft stärker verankert werden. Die meisten Forschenden sind ja nicht Wissenschaftler*innen geworden, um zu kommunizieren, sondern in erster Linie, um zu forschen. Für Forschende ist das sowohl eine Ressourcen-, als auch eine Motivationsfrage. Für Unternehmen kommen Fragen der Organisations- und Personalentwicklung hinzu. Es müssen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Kommunikation geschaffen werden, denn im öffentlichen Raum kann es plötzlich auch ungemütlich werden kann. Aber wir erleben ja gerade auch sehr aktuell, dass viele Hochschulen vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Außerdem muss man sich als forschendes Unternehmen überlegen, was geeignete Plattformen für die eigene Wissenschaftskommunikation sind. Die Kunst besteht darin, in Foren aufzutreten, die Begegnungen mit der Öffentlichkeit, aber auch mit der öffentlichen Wissenschaft bieten. Wo auch mal kontroverse Standpunkte zu bestimmten Dingen verhandelt werden, die gesellschaftlich noch nicht geklärt sind. Warum kamen Unternehmen zum Beispiel in der Vergangenheit so wenig in den Wissenschaftsjahren des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor? Zum Glück hat sich das inzwischen geändert. Aus meiner Sicht ist es auch für Unternehmen wichtig, sich aktiv in Foren und auf Plattformen einzubringen, wo eine Vielfalt an Expertise und Wertvorstellungen vertreten ist. Auf Veranstaltungen ebenso wie im Internet.
Was können aus Ihrer Sicht Wissenschaft und Industrie voneinander lernen?
Zum Beispiel kann sich die Wissenschaft von Unternehmen abschauen, wie professionelle Kommunikation, etwa im Bereich der Emotionalisierung oder Mobilisierung von Zielgruppen, aussieht. Umgekehrt sollte man auch die Kommunikationsdesaster mancher Unternehmen und ihren Umgang damit analysieren.
Wissenschaft und Wirtschaft können daraus Lehren für eine gemeinsame Weiterentwicklung ihrer Kommunikationsmaßnahmen ziehen. Ein gegenseitiger Erfahrungsaustausch ist auch im Bereich der Nachwuchsförderung und Qualifizierung von Mitarbeitenden notwendig. All diese Potenziale sind sehr fruchtbar und sollten auch im Interesse der Gesellschaft künftig von Wissenschaft und Unternehmen gemeinsam ausgeschöpft werden.
* Volker Meyer-Guckel ist derzeit Vorsitzender der Gesellschafterversammlung von Wissenschaft im Dialog. Der Beitrag wurde von Jana Fritsch redaktionell unterstützt .